„High Life": Betörend schön, aber hoffnungslos

Eine Ästhetik, die gemeinsam mit Künstlern wie ?lafur Elíasson entwickelt wurde: Robert Pattinson in einem der Raumanzüge, die wie aus Jutesäcken genäht wirken.
Eine Ästhetik, die gemeinsam mit Künstlern wie ?lafur Elíasson entwickelt wurde: Robert Pattinson in einem der Raumanzüge, die wie aus Jutesäcken genäht wirken.(c) Polyfilm
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In „High Life", der düsteren Weltraumballade von Ausnahme-Autorenfilmerin Claire Denis, ringen Juliette Binoche und Robert Pattinson im Weltraum nach Sinn. Eine Kinoperle.

Leben wir in einer Welt am Abgrund? Streift man durch die Blockbusterlandschaft der Gegenwart, drängt sich der Gedanke unweigerlich auf: Kaum ein Superheldenfilm, der ohne Apokalypse auskommt. Das Kunstkino bildete lange Zeit ein Korrektiv (oder zumindest willkommene Abwechslung) zur Todessehnsucht zeitgenössischer Multiplexspektakel. Doch Stück für Stück scheint die popkulturelle Untergangsstimmung auch im Arthaus Fuß zu fassen.

Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes pinselten etliche Wettbewerbsbeiträge finstere Sittenbilder – oder balancierten über dramaturgischen Untiefen. In der Zombiekomödie „The Dead Don't Die" unkte sogar der sonst so gelassene Leinwandhipster Jim Jarmusch, ums Menschengeschlecht sei es schlecht bestellt. Doch diese Menetekel wirken harmlos angesichts des jüngsten Werks von Jarmuschs guter Freundin und einstiger Regieassistentin Claire Denis; dessen Titel („High Life") lässt sich eigentlich nur ironisch verstehen. Vergangenes Jahr feierte die düstere Weltraumballade beim Filmfestival Toronto Premiere. Nun startet sie regulär in Österreich. Und eines muss man Denis bei allem Pessimismus lassen: Viel schöner und betörender kann man den Teufel nicht an die Wand malen.

Seit ihrem Debüt 1988 genießt die französische Kinodichterin eine Ausnahmestellung im Kunstfilmbetrieb. Das Schlagwort „Sinnlichkeit" wird ihrem eigenwilligen, von flüchtigen Gesten und haptischen Bildern zehrenden Stil kaum gerecht. Jeder Denis-Film ist als solcher erkennbar und überrascht doch stets aufs Neue: Das Schaffen der inzwischen 73-Jährigen entzieht sich Genre-Kategorien, selbst wenn es diese bedient.

„High Life" etwa ist nominell ein Science-Fiction-Film. Anfangs gemahnt er ein wenig an den Prolog der letzten „Avengers"-Episode: Ein müder Mann namens Monte treibt durchs All und führt Selbstgespräche. Doch wo dort Rettung auf dem Fuße folgt, herrscht hier Ausweglosigkeit. In der Hauptrolle brütet der einstige Schmachtvampir Robert Pattinson, schon seit längerem Aufmerksamkeitsmäzen für ästhetisch auffällige Arbeiten. Ein kleines Mädchen ist der einzige Lichtblick im öden Astronautenalltag. Das Raumschiff, in dem die beiden einem ungewissen Ziel entgegendriften, sieht aus wie ein Metallcontainer – und entpuppt sich als Gefängnis: Galgenvögel fliegen darin die Galaxis ab, als Alternative zum irdischen Todesurteil dürfen sie im Dienst der Wissenschaft schwarze Löcher auskundschaften. Verschachtelte Rückblenden schildern die psychosozialen Dynamiken zwischen den Verdammten (darunter auch Lars Eidinger).

Soundtrack vom Tindersticks-Frontman

Dass es dabei eher um Atmosphäre geht als um glaubhafte filmische Wirklichkeit, merkt man schon eingangs, als Monte beim Außenbordeinsatz einen Schraubenschlüssel fallen lässt: Dieser stürzt ins Dunkel, als wäre das Vakuum ein Brunnenschacht. Die Raumanzüge des Films muten an wie umfunktionierte Jutesäcke, seine schlichte Ausstattung erinnert an Scifi-Streifen aus den Siebzigern. Doch die Ästhetik ist fein abgestimmt und stimmig, entwickelt mit der Zeit eine hypnotische Sogwirkung – nicht zuletzt dank schummrig schimmernder Zwielichtsetzung und eines alles ummantelnden Ambient-Soundtracks des Tindersticks-Frontmannes und Denis-Stammkomponisten Stuart Staples. Teile des Produktionsdesigns entstanden zudem in Zusammenarbeit mit dem Künstler Ólafur Elíasson.

In diesem enigmatisch wabernden Milieu versuchen die kosmischen Häftlinge, ihrem Dasein etwas Sinn abzuringen. Viele Optionen gibt es nicht: Über Bildschirme flackern Erinnerungen an den Heimatplaneten, eine Masturbationskabine im Unterdeck gewährt ephemere Ekstase. Sexualität grenzt in „High Life" immer an Gewalt: Keine Menschen, nur in extremis nach Erlösung schnappende Körper scheinen hier aufeinanderzuprallen. Dennoch eignet vielen dieser Begegnungen eine verzweifelte Zärtlichkeit.

Juliette Binoche, die schon im Liebesreigen „Meine schöne innere Sonne" mit Denis drehte, spielt hier eine Medizinerin. Wider besseres Wissen will sie ein Kind in ihre triste Welt setzen: Dafür erntet sie das Sperma der Männer, führt es den Frauen ein. Monte hat indessen eine sattgrüne Gartenoase im Raketenkerker hochgezüchtet, den sonst nur ein computergesteuerter Recyclingkreislauf am Leben hält. Jedem seine Hoffnung.

Obwohl sich „High Life" keineswegs in Symbolik erschöpft, fällt es schwer, ihn nicht als Parabel über den Status quo der Conditio humana zu lesen: Als eindringliche Meditation über Einsamkeit und Begehren, die Dunkle Materie des digitalen Zeitalters. Sein Verdikt ist vernichtend, jenseits von Gut und Böse, aber frei von Nihilismus. Die Wahrheit mag zwar nirgendwo da draußen sein, die Nacht des Universums absolut – doch zwischenmenschliche Funkensprünge bleiben unauslöschlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2019)

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