Die Erstarrung der Michelle Pfeiffer

Die Antithese des US-Traums: Michelle Pfeiffer bewegt sich als vereinsamte Kyra zwar unablässig – aber nicht hinauf, sondern die Abwärtsspirale hinunter.
Die Antithese des US-Traums: Michelle Pfeiffer bewegt sich als vereinsamte Kyra zwar unablässig – aber nicht hinauf, sondern die Abwärtsspirale hinunter.(c) Kinostar
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„Wo ist Kyra?“ ist eines der pessimistischsten Sozialdramen, die das US-Independent-Kino seit Langem hervorgebracht hat. Mit einer subtilen Michelle Pfeiffer in der Hauptrolle.

Eine alte Frau schleppt sich auf einen Gehstock gestützt eine Straße entlang. Ihre Augen sind hinter einer Sonnenbrille versteckt, auf dem Kopf trägt sie eine dicke Haube, in der Hand zwei schwere Einkaufstaschen. „Nicht stehen bleiben – zu keiner Zeit!“, heißt es auf einem Verkehrsschild, das in der trostlosen Umgebung an einem schief stehenden Pfosten befestigt ist. Es könnte das Überlebensmotto von Kyra (Michelle Pfeiffer) sein, die mit der pflegebedürftigen Greisin, ihrer Mutter, ein rustikal eingerichtetes Apartment in Brooklyn bewohnt.

Immer ist sie in Bewegung, aber sie könnte genauso gut stehen bleiben und aufgeben. Es würde keinen Unterschied machen. Da kann sie sich noch so oft die Haare färben und Make-up auftragen, um ähnlich wie die Mutter, die sich gleich komplett verhüllt, ihr gehobenes Alter zu kaschieren. Auf dem Arbeitsmarkt hat sie keine Chance mehr. Das nächste Vorstellungsgespräch wird wieder scheitern. Das ist gewiss.

„Wo ist Kyra?“ ist eines der pessimistischsten Sozialdramen, die das US-Independent-Kino seit Langem hervorgebracht hat. Regisseur Andrew Dosunmo, der in den 1990ern mit Musikvideos für Wyclef Jean und Isaac Hayes berühmt wurde, hat eine Antithese zu den optimistischen US-Aufsteigermärchen inszeniert, in denen sich die Helden stets durch reinen Tatendrang aus jeder Misere zu retten vermochten. Die Ästhetik lässt an Noir- und Horrorfilme denken. Eine gefräßige Finsternis droht in dem größtenteils nachts spielenden Film alle Plätze, Räume, Personen und Objekte zu verschlucken. Es sind jedoch keine abgründigen Triebdynamiken oder metaphorisch übersetzten Ängste vor dem Fremden, von dem der Schrecken seinen Ausgang nimmt, sondern prekäre ökonomische Lebensbedingungen, wie man sie aus der Realität kennt.

Unschärfe als visuelles Stilmittel

Die Bildsprache ist indes ungewöhnlich. Immer wieder fokussiert die Kamera Details, vor allem Hände und Berührungen, während von bestimmten Farben, Kleidungsstücken, Lichtern eine hypnotische Strahlkraft ausgeht. Passanten, Bankangestellte, Portiere treten entweder bloß als Silhouetten in Erscheinung oder sind nur als dumpfe Stimmen zu hören. Unschärfen sind ebenfalls ein häufig eingesetztes Stilmittel, um den Eindruck mangelnder Klarsicht zu verstärken. Diese Kunstwilligkeit kann man als aufdringlich empfinden, aber sie schafft eine Nähe zur Wahrnehmung der sozial entfremdeten Titelheldin, die nach dem Tod ihrer Mutter vollends in die Abwärtsspirale gerät.

Michelle Pfeiffer verkörpert die Rolle der schwermütigen Einzelgängerin auf beeindruckend subtile Weise. Nur momentweise entweichen ihrem zumeist in Großaufnahme fixiertem Gesicht notdürftig zurückgehaltene Gefühlsregungen. Manchmal bricht ihr die Stimme, huscht ihr eine Träne über die Wange. Später tritt ihr Kiefer Sutherland zur Seite, der einen gutmütigen Altenpfleger spielt. Kyra lässt sich auf eine Liebesbeziehung mit ihm ein. Er ist nicht ihr strahlender Retter, eher ein abgehalfterter Romantiker, bei dem sie Trost findet. Als er dahinterkommt, dass sie durch eine betrügerische Machenschaft an Geld gelangt, wird er aus Mitleid zu ihrem Komplizen. Der Stillstand kann am Ende nur noch von außen erzwungen werden. Ob Kyra da noch etwas fühlt, bleibt unklar. Ihre Miene ist jedenfalls erstarrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2019)

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