Eine unmögliche Liebe in Mumbai

Zwei Menschen aus so unterschiedlichen Klassen würden in der Realität nie so viel Zeit miteinander verbringen wie in diesem Film: Nawazuddin Siddiqui und Sanya Malhotra als Rafi und Miloni.
Zwei Menschen aus so unterschiedlichen Klassen würden in der Realität nie so viel Zeit miteinander verbringen wie in diesem Film: Nawazuddin Siddiqui und Sanya Malhotra als Rafi und Miloni.Amazon
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Die am Freitag startende Amazon-Produktion „Photograph“ erzählt subtil von der Annäherung eines Slumbewohners und einer Mittelschichtsfrau aus Mumbai: „Die Presse“ sprach mit dem in New York lebenden Regisseur Ritesh Batra.

„Heutzutage sind alle Filmgeschichten gleich“, meint eine Hauptfigur in Ritesh Batras „Photograph“ zur anderen. Obwohl die beiden soeben im Kino gewesen sind, kann man den Satz auf den Film beziehen, den man gerade selbst sieht: Handelt er doch von einem Paar in spe, dessen Zuneigung auf soziale Schranken stößt. Eine der ältesten Storys der Welt. Nur macht „Photograph“ ein weiteres Mal klar: Mehr als das „Was“ einer Erzählung wiegt das „Wie“.

Ersteres ist zügig abgehandelt: Rafi (Nawazuddin Siddiqui) verdingt sich als Fotohändler in Mumbai. Im Schatten des Gateway-of-India-Triumphbogens versucht er, Touristen analoge Schnappschüsse anzudrehen. Eine junge Frau gibt seinem Drängen nach, lässt ihn dann aber mit dem Porträt in den Händen stehen. Das unbekannte Antlitz fasziniert den Tagelöhner. Und weil seine Großmutter soeben damit gedroht hat, ihre Medikamente abzusetzen, sollte ihr Enkel sich nicht bald eine Gattin suchen, macht er sich auf die Suche nach der Fremden – um sie darum zu bitten, für ein paar Tage seine Verlobte zu spielen. Wird aus Wunschvorstellung Wirklichkeit?

Klingt wie eine romantische Komödie – oder ein typischer Bollywoodfilm. Im Gespräch mit der „Presse“ macht der indischstämmige, in New York lebende Regisseur Ritesh Batra daraus keinen Hehl: „Es gibt unzählige Hindiromanzen über die Liebe zwischen einem armen Mann und einer reichen Frau. Die meisten davon sind indirekte Remakes von Shakespeares ,Der Widerspenstigen Zähmung‘. Ich wollte das Konzept gegen den Strich bürsten, es erden und glaubhafter machen.“

Überzeugende Milieuschilderung

Das ist ihm gelungen. Der Plot von „Photograph“ mag überzogen wirken. Rhythmus und Ästhetik tun es nicht. Wie schon in seinem Durchbruch, dem Publikumshit „The Lunchbox“, verankert Batra die Romantik der Handlung in überzeugender Milieuschilderung, zieht subtile Zwischentöne knalliger Melodramatik vor. „Realistisch ist mein Film natürlich nicht“, gibt er zu: „Zwei Menschen aus so unterschiedlichen Klassen würden niemals so viel Zeit miteinander verbringen.“ Doch die Aufmachung von „Photograph“ lässt solche Gedanken nie aufkommen.

Beiläufig skizziert das feinfühlige Drama die Lebensverhältnisse seiner Protagonisten. Miloni, die Frau auf dem Foto, steckt als Tochter einer aufstrebenden Mittelstandsfamilie mitten in einer Buchhalterausbildung. Auch auf ihr lastet großer Heiratsdruck, dem sie nur passiven Widerstand leistet: Darstellerin Sanya Malhotra spricht den ganzen Film über kaum ein Wort. „Bei den Proben strich ich Zeile für Zeile aus ihrem Dialog“, erklärt Batra: „Ich wollte den inneren Konflikt der Figur nicht an die Wand malen, ihn eher über die Bilder vermitteln.“ Oft ist Miloni von Verwandten umgeben, die auf sie einreden – doch ihre Schemen verschwimmen und gleiten ins Off. Rafi, ein dunkelhäutiger Muslim, haust indes in einer Arbeiter-WG. Eines Nachts wird diese von einem Geist heimgesucht: Ein unaufdringliches Tröpfchen Fantastik, das dem Film nichts von seiner Bodenständigkeit raubt.

Selbige gründet auch auf authentischen Kulissen. Für Batra war Mumbai der einzig denkbare Schauplatz: „Denke ich an meine Kindheit dort zurück, werde ich nostalgisch. Aber ich wollte nicht verklären, wir haben großteils vor Ort gedreht. Eine Herausforderung: Mumbai ist überfüllt, chaotisch, man muss schnell sein, hat kaum Bewegungsspielraum.“ Manchmal wurde nachgeholfen, Rafis Slumwohnung als Set gebaut. „Wir bemühten uns, den Raum zu beseelen: Man sollte spüren, dass sich hier jemand ein würdiges Zuhause geschaffen hat.“

Die Sitten und Gebräuche, die Rafi und Miloni zusetzen und ihre zögerliche Annäherung hemmen, wirken anachronistisch – doch nur aus westlicher Sicht: „In Indien existieren viele Zeitebenen nebeneinander“, so der Regisseur. „Menschen können in einem Bereich modern und in einem anderen traditionsverhaftet, politisch progressiv und privat konservativ sein. Aber die Klassengesellschaft ist aus meiner Sicht nicht landesspezifisch: Auch in Berlin gehen Banker und Klempner selten auf ein Bier.“

Inder gehen öfter ins Kino

Batra selbst bewegt sich zwischen den (Film-)Kulturen. Er adaptierte ein Buch von Julian Barnes mit Charlotte Rampling, drehte für Netflix mit Jane Fonda und Robert Redford. Bei „Photograph“ hat er mit Amazon zusammengearbeitet – auch, weil die Firma ihre Eigenproduktionen nebst Streamingauswertung ins Kino bringt. Diesmal war das dem Regisseur wichtig, nicht zuletzt im Hinblick auf indisches Publikum: „In Indien gehen die Menschen viel öfter ins Kino als im Westen.“ Die betörend offene Melancholie von „Photograph“ passt jedenfalls hervorragend in den Resonanzraum eines dunklen Saals. „Sobald man anfängt, den Zuschauern etwas aufzudrücken“, meint Batra, „ist man im Begriff, einen schlechten Film zu machen.“

ZUR PERSON

Ritesh Batra, geboren 1979 in Indien, machte 2013 mit seinem Debütfilm „Lunchbox“ in Cannes auf sich aufmerksam. Er verfilmte Julian Barnes' Roman „Vom Ende einer Geschichte“ (2017) mit Charlotte Rampling und drehte die Netflix-Produktion „Unsere Seelen bei Nacht“ mit Jane Fonda und Robert Redford.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2019)

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