„Paterson“ im Kino: Poesie des amerikanischen Alltags

 Man sieht ihm gern beim Zusehen zu – und fragt sich oft, was er gerade denkt: Adam Driver, bekannt als Kylo Ren in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, als Busfahrer Paterson – mit Golshifteh Farahani als seiner etwas gar putzigen Frau, Laura.
Man sieht ihm gern beim Zusehen zu – und fragt sich oft, was er gerade denkt: Adam Driver, bekannt als Kylo Ren in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, als Busfahrer Paterson – mit Golshifteh Farahani als seiner etwas gar putzigen Frau, Laura.(c) Filmladen
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Ein Busfahrer als Dichter, eine heruntergekommene Industriestadt als Dichterparadies: „Paterson“, das neue, tiefenentspannte Werk von Jim Jarmusch. Ab Freitag im Kino.

„Paterson“. So heißt der neue Film des großen US-Regisseurs Jim Jarmusch, aber auch dessen Hauptfigur, die Stadt, in der sie lebt, und das von ihr verehrte Epos des amerikanischen Lyrikers William Carlos Williams. Eine Mehrdeutigkeit, die man durchaus als poetisch bezeichnen kann. Und „Paterson“ ist ganz vordergründig ein Film über Poesie: die Poesie des Alltags, die Poesie der kleinen Dinge, nicht zuletzt auch die Poesie im Sinn dichterischer Textarbeit.

Paterson, der Protagonist – gespielt von „Star Wars“-Star Adam Driver – verdient sein Geld als Busfahrer in Paterson, New Jersey. Jeden Morgen steht er auf, küsst seine schlaftrunkene Frau und geht zur Arbeit. Am Abend kommt er heim, führt seine Bulldogge, Marvin, spazieren, gönnt sich ein Bier im Stammlokal und geht zu Bett. Dieser Routine folgt der Film genau eine Woche lang. Sie bildet seinen meditativen Refrain, doch Kraft schöpft er vor allem aus der Spannung zwischen Wiederholung und Variation: Jeder Tag ist gleich, aber auch ein bisschen anders. Denn Paterson ist nicht nur Busfahrer, er ist auch Dichter. Inspiriert von Alltagsbeobachtungen feilt er in freien Minuten an kurzen Texten, und Jarmusch macht uns zu Zeugen ihrer allmählichen Gestaltwerdung: etwa, wie sich aus dem flüchtigen Eindruck des markanten Logos einer Streichholzschachtel im Lauf des Tages ein Liebesgedicht entwickelt.

Die Darstellung dieses Kreativprozesses per Voice-over, Texteinblendungen und Bildüberlappungen ist nicht sehr originell, aber sie bildet nur einen kleinen Teil des filmischen Konzepts. Jarmusch studierte vor seiner Regiekarriere bei den Avantgardelyrikern Kenneth Koch und David Shapiro Literatur (ebenso wie der Autor Ron Padgett, der für Patersons impressionistische Gedichte verantwortlich zeichnet). Er weiß, wie wesentlich das scheinbar Nebensächliche für Dichtung ist – und „Paterson“ erscheint weniger als Erzählung denn als filigraner Fleckerlteppich aus betörenden Beiläufigkeiten.

Seltenheit im Kino: Eine glückliche Ehe

Bei den Kreisbewegungen der Hauptfigur durch die geschichtsträchtige „Silk City“ – heute gehört Paterson zu den ärmsten Städten New Jerseys, aber früher war es ein Textilproduktionszentrum der USA – schnappt man einiges auf, etwa die Gespräche der Buspassagiere: Männer reden über erhoffte Affären, frühreife Jugendliche über die Laufbahn des stadteigenen Anarchisten Gaetano Bresci. Auf dem Heimweg wartet die Schönheit der Wasserfälle des Pessiac River, später belauscht man einen Rapper im Neonlicht eines Waschsalons beim Proben seiner Zeilen.

Den täglichen Schlummertrunk begleiten ein Ehekrach des Barbesitzers oder die Tresenlamentos eines unglücklich Verliebten. Patersons Beziehung zu seiner Frau, Laura, verläuft indes wunschlos glücklich – eine Kinorarität. Als Figur ist Laura zwar einen Deut zu putzig angelegt, mit betulichen, ständig wechselnden Hobbys – Kleidermachen, Törtchenbacken, Gitarrespielen –, aber die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani verleiht ihr eine einnehmende Natürlichkeit und verhindert so, dass sie zur Karikatur verkommt. Das stille Zentrum des Films bildet aber ohnehin Drivers reservierte Performance. Man sieht ihm gern beim Zusehen zu, fragt sich zumeist, was er gerade denkt: In seiner Undurchsichtigkeit wirkt er zuweilen wie ein pazifistischer Verwandter des Auftragskillers aus Jarmuschs „Ghost Dog“.

„Paterson“ bietet eine angenehme und tiefenentspannte Sichtungserfahrung, die auf nichts hinausläuft. Was natürlich Absicht ist: Schließlich geht es nicht zuletzt um das Abenteuer Langeweile. Der Film hat Humor (ein trockener Dauerwitz: Gegenschnitte auf Patersons ulkige Bulldogge), aber sein Tonfall bleibt stets wohlig melancholisch und lässt sich gut mit einem Zitat aus Jean-Luc Godards „Pierrot le fou“ umschreiben: „Das Leben mag traurig sein, aber es ist immer schön.“ Vielleicht liegt in der „Poetisierung“ eines Busfahrers zum Schöpfergeist und einer heruntergekommenen Industriestadt zum Dichterparadies auch ein politisches Moment, doch im Kern riecht die beschauliche Alltagsromantik von „Paterson“ auch ein bisschen nach Biedermeierkino, besonders im Kontext der jüngsten US-Wahl: Man kann den Film durchaus als verlockende Schablone für die innere Emigration von Trump-Katastrophendenkern interpretieren. Trotzdem ist es Jarmuschs beste Arbeit seit Langem: Oft wirkt die schwebende Zen-Atmosphäre seiner Filme angestrengt, hier geht sie ihm ganz locker von der Hand. Und wer weiß: Vielleicht wird der eine oder andere Zuschauer nach dem Film tatsächlich Lust bekommen, wieder einmal zu einem Gedichtband zu greifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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