„Macchiavelli mit Kinderseele“

Der ORF zeigt zum Jubiläum Robert Dornhelms Karajan-Porträt: Eine Apologie mit kleinen Widerborsten.

Hätte der entlassene Konzertmeister vor einem Dreivierteljahrhundert in der deutschen Provinz den nicht sonderlich beliebten jungen Dirigenten wirklich aus Rache erschossen, dann sähe unsere Musikwelt heute grundlegend anders aus: Herbert von Karajan hat sie geprägt wie kaum ein anderer. Durch Live-Auftritte, Plattenaufnahmen und Filme, aber auch durch eine spezielle Art Jet-Set und Glamour – hinter der sich der Privatmensch, so eine zentrale These der aktuellen Karajan-Betrachtungen zu dessen 100. Geburtstag, wohl versteckt haben mag.

Auch Robert Dornhelms 90-minütige Dokumentation „Karajan oder Die Schönheit, wie ich sie sehe“, schlägt in diese Kerbe. Reiches Archivmaterial, alte und neue Interviews mit Wiener und Berliner Orchestermusikern, Sängern, Kritikern, Schülern sowie mit der Familie fügen sich zum Kaleidoskop eines vielschichtigen, zuweilen rätselhaften Menschen – ein Porträt, das kritische Nebenbemerkungen einbettet in die übergeordnete Faszination für eine ungemein starke Persönlichkeit. Und faszinierend war er unbedingt, der Salzburger Chirurgensohn, der sich neben dem älteren Bruder stets zurückgesetzt fühlte und deshalb unbändigen Ehrgeiz entwickelt haben könnte.

Als „Ausbund an Disziplin“ sieht ihn Altbundeskanzler Helmut Schmidt, „fast ein bisschen ekelhaft“ – um das mehrfache Parteimitglied später, ganz Grandseigneur, mit dem Satz „Die Kunst geht nach Brot“ von aller direkter Nazi-Schuld loszusprechen. Einer jener Punkte, an denen Dornhelms Konzept, auf Erzähler und Kommentar zu verzichten und nur mit Montage zu arbeiten, klare Schwächen offenbart: Der direkten, unmittelbaren Wirkung sowohl Karajans als auch seiner Wegbegleiter und dem grandiosen Filmschnitt steht ein Vakuum an Fakten gegenüber, die nicht auf die Leinwand finden. Zugespitzt gesagt: „Wahr“ ist und stattgefunden hat nur, was auch gezeigt werden kann. Zentrale Krisen und Konflikte, etwa der Abgang von der Wiener Staatsoper oder das Zerwürfnis mit den Berliner Philharmonikern, werden nur kurz angedeutet; seine für seine Entwicklung maßgebliche Schallplatten-Zusammenarbeit mit Walter Legge wird ganz übergangen.

Dergleichen wiegt schwerer als ungenannte Manipulationen, wenn etwa altes Material im 4:3-Bildformat auf 16:9 zugeschnitten und dadurch schon verfälscht wird. „Ich möchte nicht nur, dass es schön klingt, ich möchte auch, dass es schön aussieht“ – Karajans Maxime nicht nur für Filme und Inszenierungen, sondern auch für Kleidung und Auftreten. „Bernstein hat geschwitzt, Karajan nicht“, lächelt Christa Ludwig, „Bernstein war Musik, Karajan machte Musik.“ Réne Kollo: „Ein Macchiavell mit der Seele eines Kindes“.

Perfekter Ausdruck der Schönheitssucht

Treffende Sentenzen, die mehr sagen als die Bilder von verwirklichten Bubenträumen vom Fliegen und Segeln, die Späße am Pool und im Schnee. Die spannendsten sind aber jene, die Einblick in seine Orchesterund Bühnenproben geben: Zum Teil bisher unzugängliches Material dokumentiert die enorm effiziente, zielgerichtete Arbeit des Maestrissimo. Von einer fundiert kritischen Auseinandersetzung, die eine Film-Doku wohl streng genommen ohnehin nicht leisten könnte, ist Dornhelm weit entfernt. Als Ausdruck der Karajanschen „Schönheit, wie ich sie sehe“ funktioniert dieser eindrucksvolle Streifen jedoch perfekt – und macht durchaus neugierig, seine Aufnahmen (wieder) zu hören. Was kann sich die darnieder liegende Klassik-Branche Besseres wünschen? Im TV am 4. April: um 20.30 auf ORF 2

"Die Presse" Printausgabe 3. April 2008

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