Beethoven, der liebe Gott und die Salamitaktik

Philharmonisches aus Wien (unter Jansons) und Venezuela (unter Harnoncourt) nebst sozialpolitischen Erkenntnissen in Salzburg.

Die einen geben sich zufrieden, als Musikland bekannt zu sein, die anderen setzen alles daran, eines zu werden. Letzteres passiert in Venezuela. Es begann vor mehr als drei Dezennien in einer Garage in Caracas. Dort wurde das erste nationale Orchester gegründet. Mit Musik Menschen von der Straße zu holen, um ihnen eine Chance in ihrem Leben zu geben, so lautet das Credo dessen, der dieses venezolanische Orchesterwunder ermöglicht hat: der heute 68-jährige ehemalige Kulturminister, Musiker, Ökonom und Manager José Antonio Abreu.

Er darf nun den Erfolg seiner Bemühungen ernten. Kein Kind im Lande, das nicht die Möglichkeit haben soll, in einem der zahlreichen Kinder- und Jugendorchester des Landes zu spielen. Die mittlerweile 30 Symphonieorchester sind längst die Quelle hervorragender Begabungen, darunter der direkt von der Straße zur Musik geholte Kontrabassist Edicson Ruiz – er ist mit 17 Jahren jüngstes Mitglied des Berliner Philharmonischen Orchesters, aber auch der neue Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra Gustavo Dudamel.

Sechsteilig präsentiert sich der Auftritt der Venezolaner bei den Festspielen, die damit nach Daniel Barenboims palästinensisch-israelischem West-East Divan Orchestra im Vorjahr einem weiteren wichtigen Jugendorchester die internationale Plattform bieten. Begonnen wurde mit einer „Schule des Hörens“: Nikolaus Harnoncourt erklärte vor und mit dem Simón Bolívar Orchestra seine Sicht auf Beethovens Fünfte.

Harnoncourts diktatorische Assoziationen

Er begann seine Demonstration mit dem C-Dur-Finale, stieß von dort zum c-Moll-Beginn vor. Bilder, wie gefesselt durch ein diktatorisches System, Akzente, so scharf gesetzt, als würde man Salami schneiden. Im zweiten Satz darf man ein Gebet an Gott erkennen. Die Aufforderung, keine Instrumentengruppe möge die andere verdecken, ließ nicht nur das Publikum zweieinhalb Stunden fasziniert lauschen. Was anfangs gut vorbereitet, aber routiniert klang, atmete bald aufregende Spannung.

Für die sorgte tags darauf auch das Venezuelan Brass Ensemble unter Thomas Clamour, das schließlich tanzend die Bühne der Felsenreitschule verließ, mit seinem von strengem Bach bis in die südamerikanische Gegenwart reichendem, sprühend-vital servierten Programm. Das Publikum tobte, Mariss Jansons als prominenter Zaungast der „Schule des Hörens“ mit ihm. Er dirigierte am Wochenende Konzerte der Wiener Philharmoniker, deren Hauptwerk Brahms' Zweite bildete, ein Werk, das den einen in Anlehnung an Beethovens Sechste eine zweite „Pastorale“ zu sein scheint, während die anderen hinter der freundlichen Melodik tiefernste Schwermütigkeit erkennen. Jansons neigt deutlich der letzteren Ansicht zu. Langsam geht er den ersten Satz an, auch auf die Gefahr, dass die Farben der Coda nicht im gewohnt geheimnisvollen Glanz erstrahlen.

Sommerfarben bei Jansons & Garanca

Auch in den Mittelsätzen bleibt der Dirigent diesem Konzept treu. Der tänzerischen Attitüde des Allegretto grazioso tut dies keinen Abbruch. Und das als Mittelachse dieses dritten Satzes konzipierte „Presto ma non assai“ entwickelt eine Vitalität, an die der Dirigent im wirbelnden Brio des Finalsatzes anknüpfen kann. Mit seiner quasi herbstlich getönten Sicht spannte Jansons einen jahreszeitlichen Bogen zu den Stücken vor der Pause, die das Thema Sommer einte.

„Meister der Farben und Schattierungen“ übertitelt das Programmheft die Anmerkungen zu Hector Berlioz' Liederzyklus „Les Nuits d'été“. Doch auch in Anton Weberns frühem, der Spätromantik huldigenden Tongemälde, der Idylle „Im Sommerwind“ ließen sich die von Jansons perfekt vorbereiteten, mit hervorragenden solistischen Leistungen aufwartenden Wiener Philharmoniker keine Möglichkeit entgehen, den schwärmerischen Tonfall der Musik differenziert auszukosten.

Für den sommernächtlichen Liederzyklus von Berlioz breiteten sie dann einen samtweichen Klangteppich für Elina Garanca aus, die gleichfalls mit lyrischem Charme, deutlicher Artikulation und impressionistischen Reizen nicht geizte.

Fortsetzung des Simón Bolívar Projekts bei den Festspielen: 26. August, 11 Uhr: Symposion „Verliert das Land der Musik die Musik?“ in der Universitätsaula, Orchesterkonzerte am 27. und 29. August unter Gustavo Dudamel, Kammermusik mit Mitgliedern des Simón Bolívar Orchestra am 28. August im Mozarteum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.