Claudia Abbado: Der Weg ins Paradies und zurück

(c) EPA (Urs Flueeler)
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Claudio Abbado triumphiert in Luzern mit einer innigen Mahler-Interpretation.

Als die letzten Klänge von Mahlers 4. Sinfonie verklungen waren, herrschte tiefe Stille. Die mehr als 1800 Besucher im Luzerner Kultur- und Kongresszentrum hielten fast eine Minute lang den Atem an, sie mussten das eben Erlebte erst verdauen: Claudio Abbado hatte mit seiner Reise ins Paradies, die Mahler in der Partitur vorgezeichnet hatte, voll in das Innere des Menschen, in das Innere dessen, was Musik dort vermag, getroffen. Der Stille folgte frenetischer Jubel, minutenlange Standing Ovations, die der gealterte Maestro gerührt genoss – und an das Orchester weitergab. Auch dieses hatten am Freitagabend beim Luzern-Festival Außergewöhnliches geleistet.

Die Schweizer lieben „ihren“ Abbado. Seit er im Jahr 2002 das Lucerne Festival Orchestra gegründet hat – die Basis ist das Mahler Chamber Orchestra, alljährlich ergänzt um die besten verfügbaren Solisten –, folgt in Luzern einem Triumph der nächste. Nach schwerer Krankheit Ende der 1990er-Jahre zog sich Abbado ja aus dem internationalen Konzertleben weitgehend zurück, abgesehen von vereinzelten Gastspielen liegt der wichtigste Ort seines musikalischen Gestaltungswillens am Ufer des Vierwaldstätter Sees.

Ein anderer Mahler

Von der Krankheit, aber auch vom voranschreitenden Alter – er beendete im Juni das 76. Lebensjahr – ist Abbado gezeichnet. Die Generalprobe konnte er nicht selbst abhalten, doch am Podium kehren die Lebensgeister zurück. Dem Orchester, das mehr auf Klangfülle, weniger auf unbedingte Exaktheit Wert legt, vermittelte er seine Ideen mühelos, die Musiker verehren ihn, der kleinste Fingerzeig wird sofort umgesetzt.

Wie als Beweis dafür, dass Krankheit Menschen verändern kann, ist es ein anderer Mahler als jener, den man noch vor einem Jahrzehnt von Abbado hören konnte. Der Weg des Menschen vom irdischen in das ewige Leben, gipfelnd in dem von Magdalena Ko?ena fulminant interpretierten Orchesterlied „Das himmlische Leben“, wird zu einem intensiven Wechselbad der Gefühle, man möchte gleichzeitig lachen und weinen, so treffen den Zuhörer die expressiv durchmodellierten Klänge, in die Abbado das komplexe Mahler'sche Notenmaterial umsetzt. Meist schaltet er dabei um einen Gang zurück – zu rasche Tempi „passieren“ ihm nicht, auch vor einem Gehörschaden muss sich niemand fürchten. Innigkeit, das ist das, was Abbado nun in seinem Spätwerk will.

Der Maestro gibt sich der Natur freilich noch lange nicht geschlagen. Seinen Vertrag als musikalischer Leiter des Lucerne Festival Orchestra hat er bis Ende 2014 verlängert. Und nächstes Jahr will er nach Mailand zurückkehren: Am Programm steht – kaum verwunderlich – Mahler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2009)

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