Mailand: Ernstfall Zauberflöte

„Dein Ton sei Schutz in Wasserfluten“. Tamino (Martin Piskorski) und Pamina (Fatma Said) in Peter Steins Mailänder Inszenierung.
„Dein Ton sei Schutz in Wasserfluten“. Tamino (Martin Piskorski) und Pamina (Fatma Said) in Peter Steins Mailänder Inszenierung.(c) Teatro alla Scala
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Die Accademia Teatro alla Scala gab jungen Sängern und Instrumentalisten die Möglichkeit, mit Peter Stein und Ádám Fischer Mozart zu erarbeiten. Wagnis geglückt!

Ausgerechnet die „Zauberflöte“: Dieses wundersame Werk, das viele Kinder nacherzählen können, an dem sich aber auch gestandene Regisseure die Zähne ausbeißen; das so viele Hits enthält, dass man damit auch zwei Opern hätte bestücken können; und das jeder zu kennen meint, bei dem man aber, wie Nikolaus Harnoncourt sagte, doch niemals wirklich ankommt.

Diese „Zauberflöte“ wurde auserkoren, um dem – weltweit rekrutierten – Nachwuchs der Accademia der Mailänder Scala den künstlerischen Ernstfall zu ermöglichen. Orchester, Chor, Solisten, sogar Bühnentechniker und Ausstatter – allesamt Studenten, ihnen zur Seite aber ein luxuriöses Profi-Team mit Peter Stein (Regie), Ferdinand Wögerbauer (Bühne) und Ádám Fischer (Dirigent).
Und das Wagnis hat sich gelohnt. Nicht nur, dass man eine Reihe vielversprechender junger Stimmen zu hören bekam. Deren Träger ließen in ihrem Agieren auch meist vergessen, dass Stein bei null ansetzte. Das umso erstaunlichere Resultat war eine stimmig erzählte „Zauberflöte“ mit vielen starken Bildern, freilich ohne bei der Deutung zu sehr in die Tiefe zu gehen. Gelegentlich nur schien sich der unerschütterlich texttreue Stein in Details zu verlieren. Ob man jede Textzeile, die sich abbilden lässt, auch darstellen muss? Und 2016 noch Schwarze in Baströcken auf der Bühne herumhopsen lassen?

Untrügliches Tempogespür

Die Protagonisten schien es beim Ausspielen ihrer vokalen Vorzüge nicht zu stören. Da war zunächst der Wien-Export Martin Piskorski, der sich als Tamino spätestens beim Aufbruch zu Sarastros Reich ganz freigesungen hatte und einen festen, intonationssicheren Tenor hören ließ, mit einer Prise Italianità in der Höhe und auch mit schöner Tiefe ausgestattet. Berührend lyrisch, wenn er vom Ersten Priester Paminas Schicksal erfragt. Hätten die drei selbstbewussten Damen Tamino statt eines Bildes eine Hörprobe dieser von Fatma Said verkörperten Pamina geboten, er hätte sich ebenso verliebt. Mit souveräner Ruhe führte sie ihren hell-warmen Sopran durch die Partie. Unerschrocken stürzte sich Yasmin Özkan in die halsbrecherischen Arien ihrer Königin der Nacht. Intonationsmäßig saß jeder Ton, wo er sein sollte, das hat man an Opernhäusern dieser Kategorie schon wackliger gehört. Ihre Königin ist auch darstellerisch facettenreich, sie spielt Tamino glaubwürdig die liebende Mutter vor, schreckt aber dann vor Gewalt gegen ihre Tochter nicht zurück. Gewalt, das ist für den mit nettem Bürzel drapierten Papageno Till von Orlowskys ein Fremdwort. Auch er stimmlich sicher, mit angenehmem Bariton, der trefflich zum sympathischen Charakter des Federmenschen passt, der doch noch seine stimmstarke Papagena (Theresa Zisser, ebenfalls von der Wiener Musikuniversität) bekommt.

So sängerfreundlich Fischer auch dirigierte, er konnte nicht verhindern, dass der Sarastro von Martin Summer in den ganz tiefen Regionen die Grenze der Durchhörbarkeit streifte. Was Fischer aus dem Akademie-Orchester herausholte, war beachtlich: Mit seinem untrüglichen Tempogefühl für Mozart leitet er seine Jungmusiker zu feinsinnigem Spiel und humaner Phrasierung an. Bis 26. September kann man sich in Mailand ein bezaubernd schönes (Hör-)Bild davon machen.

Die Reise zur Premiere der „Zauberflöte“ fand auf Einladung der „Scala“ statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

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