Kulturpolitik: "Wiens katastrophaler Irrtum"

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Wie ausländische Medien die überraschende Kür des künftigen Wiener Operndirektors kommentieren. Ein Nachschlag.

Die Meinungen über die Kür von Bogdan Roščić zum Nachfolger Dominique Meyers gingen hierzulande nach der Pressekonferenz mit Kulturminister Drozda auseinander. Kommentatoren, die die Ankündigung einer „Staatsoper 4.0“ als Innovationsschub begrüßten, stand Unverständnis gegenüber, das in den Internet-Foren bald deutlich die Oberhand gewann.

Dass der Minister selbst nicht erklären konnte, was das Epitheton bedeuten sollte, irritierte aber auch die ausländischen Medienvertreter. Selbst in Deutschland, wo Axel Brüggemann, einer der profiliertesten Kulturkolumnisten des Nachbarlandes, zwar froh über das Ende des „langweiligen ewigen ,Weiter so‘“ ist, Zweifel anmeldet, ob Sony-Manager Roščić der richtige Mann für die Neuorientierung ist. Denn, so Brüggemann, es sei diesem bei keinem der von ihm betreuten Labels gelungen, „Inhalte in den Vordergrund zu stellen, Künstler aufzubauen und langfristig zu fördern“.

Ins selbe Horn stößt „Welt“-Kritiker Manuel Brug, Dominique Meyer nicht eben freundlich gesinnt, wenn er meint, Roščić hätte bis jetzt lediglich „Absichtserklärungen zu bieten“, keine wie immer gearteten Erfahrungen mit dem Theaterbetrieb gesammelt und bei Sony „vor allem mit Geld Programm gemacht“. Unter anderem hätte er „den schrägen Dirigenten Teodor Currentzis“ (in der Antrittspressekonferenz tatsächlich mehrmals erwähnt) „als Mythos von Perm aufgebaut, ohne dass der jetzt etwa für die Staatsoper kompatibel wäre. Dessen Einstand bei den Wiener Philharmonikern, die ja auch das Staatsopernorchester stellen, war ein Fiasko.“

Kein gutes Haar an dem nunmehr zum Operndirektor designierten Platten-Boss wie am entscheidenden Minister lässt der englische Musikpublizist und BBC-Journalist Norman Lebrecht („Who Killed Classical Music“), Autor des weltweit meistgelesenen Klassik-Blogs. Er titelt mit „Wiens katastrophaler Irrtum“ und verweist auf die stolze künstlerische wie finanzielle Bilanz der bisherigen Jahre Dominique Meyers.

Es werde, so Lebrecht, für jeden Nachfolger problematisch, die Qualität der täglichen Besetzungen wie auch die Auslastungs- und Einnahmequoten zu erreichen, die derzeit erreicht würden. Wiens Kulturpolitik hätte es dennoch vorgezogen, „auf einen erfahrenen, populären Direktor zu verzichten“, womit man „von einem objektiven Standpunkt aus ein unnotwendiges Risiko“ eingehe.

Das meint auch die französische „Le Monde“ in ihrem Kommentar: „Never Change a Winning Team“, heißt es da. Dominique Meyers Amtsführung sei gekennzeichnet von kluger Programmplanung, hohem künstlerischem Niveau bei extrem breitem Spielplan und einer Entscheidungskultur, „die jede Polemik vermeidet“.

Zudem verweist der französische Kommentator als einziger auf den Höhenflug des Balletts in der Ära von Manuel Legris – ein Aspekt, der bei den Betrachtungen im deutschsprachigen Raum wie auch in Wien selbst völlig vernachlässigt wurde. „Auch wenn ich selbst in Wien nicht mit allem einverstanden bin“, lautet das Fazit in Paris, seien offenkundig „derartig unüberlegte Schritte von anderen als künstlerischen Überlegungen diktiert“. Das Wort von der „Staatsoper 4.0“ sei ein „Marketingslogan“. Ein Haus, „das an 300 Tagen so gut wie ausverkauft ist, braucht keine Slogans“.

Der Minister antworte „auf Fragen, die sich gar nicht stellen“. Man fühle sich an einen Arzt erinnert, der unbedingt einen völlig gesunden Menschen zu behandeln versuche: „Dergleichen nennt man Scharlatanerie.“ Norman Lebrecht hat noch ein anderes griffiges Wort dafür: „Diese Ankündigung ist eine schlechte Entscheidung eines schwachen Ministers.“ (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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