Dieses Timbre bringt Turandots Eis zum Schmelzen

Symbolbild Staatsoper Wien.
Symbolbild Staatsoper Wien.(c) imago/imagebroker (imageBROKER/Marc Rasmus)
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In Puccinis „Turandot“ lässt sich Lise Lindstrom erstmals von Roberto Alagna erweichen. Aleksandra Kurzak als selbstlos sich opfernde Sklavin rührt mit einem Schuss Herbheit: Das lässt über erhebliche Wackler hinweghören.

Zugegeben: Man musste gar kein ausgewiesener Präzisionsfanatiker sein, um bei dieser zwölften Staatsopernaufführung von Puccinis „Turandot“ in der weit gereisten, mehrfach (auch für die Bregenzer Seebühne) adaptierten und jedenfalls pittoresken Inszenierung Marco Arturo Marellis unter Symptomen von Seekrankheit zu leiden. Mochten ihre einzelnen Beiträge im besten Fall noch so klangschön, monumental oder glitzernd ausfallen, immer wieder waren die Kollektive unter Leitung von Frédéric Chaslin verschiedener Ansicht: Dort der schallkräftige Chor, meist etwas ungünstig als vergnügungssüchtig gaffendes Publikum auf Sitzreihen in den Hintergrund verbannt, und hier das Orchester, ja sogar dessen verschiedene Instrumentengruppen. Und dann auch noch die Solisten, umschwirrt von kleinen Tenornervenflatterern oder beflügelt von gesundem Sopranselbstbewusstsein! Wo denn die gemeinsame Eins wäre und mit welcher exakten Neigung man sich in die zahlreichen Rubato-Kurven legen sollte, das schien diesmal größere Rätsel aufzugeben als die blutrünstig-unnahbare Turandot persönlich.

Doch Wackler hin oder her, es zählt zu den Eigentümlichkeiten der Gattung Oper, dass Perfektion nicht ihr Nonplusultra darstellt – und dass ein und dieselben Unzulänglichkeiten an verschiedenen Abenden ganz unterschiedlich ins Gewicht fallen können. Der emotionalen Wirkung taten sie diesmal jedenfalls wenig Abbruch. Das lag vor allem am Publikumsliebling Roberto Alagna, der sich bei seinem ersten Wiener Calaf in insgesamt beeindruckender Form präsentieren konnte. Mochte er sich anfangs noch etwas zu sehr auf die gleichsam nackte Attraktivität seines Timbres verlassen, gewann sein Vortrag bald an Finesse in Dynamik und Phrasierung. Die Rätselszene krönte er mit einem (nahezu) unerschrocken eingelegten, sicheren hohen C; beim „Nessun dorma“ setzte er zwar zunächst zu tief ein, kam aber auch ohne Fehl und Tadel über die Runden. Vor allem aber gelang es ihm, die Leidenschaft zu zeigen, die hier von Marellis Gnaden in der Doppelrolle des Komponisten wie des Freiers von ihm verlangt ist, welche beide auf ihre Weise Turandot bezwingen wollen.

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