Kissin ist allen Zumutungen gewachsen

Eugeny Kissin (Archivbild)
Eugeny Kissin (Archivbild)(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Im Salzburger Festspielhaus gastierte der Pianist diesmal mit Schumann, Chopin, Debussy und Skrjabin.

Er gehört zwingend zu Salzburg: Hier tauchte Eugeny Kissin im zarten Alter mit bereits so „erwachsenen“ Ansichten von Musik auf, dass Karajan ihn nicht übersehen konnte. Die Marke Kissin steht seither für unaufdringliche Qualität, selbstverständliche Brillanz und Texttreue. Da biedert sich keiner an, da schummelt auch keiner – insofern ist Kissins äußere Form von Bescheidenheit und Scheu Zeugnis seiner Kunstfertigkeit.

Die Programme scheinen einem strengen Kalkül zu unterliegen: Am Donnerstag wurden im ausverkauften Großen Festspielhaus tonmalerische Situationen mit Extrembeispielen von melodischem Überfluss und Rasanz konfrontiert. In weiser Selbsteinschätzung ließ sich Kissin nicht auf große klassische Sonaten ein, sondern probierte sich lieber an Grenzerfahrungen.

Manuelle Meisterschaft

Zum unprätentiösen Einstieg zeigten drei Chopin-Nocturnes Kissins manuelle Meisterschaft: ein klar definierter Anschlag mit allen nur denkbaren Schattierungsmöglichkeiten für Farben, Legato, Bögen und Struktur. Poesie ohne Kitsch und Parfum! So eindeutig ist die Situation bei Schumanns f-Moll-Sonate (op. 14) nicht: Kissin hat sich eine Kombination von Erst- und Zweitfassung zurechtgelegt (dazwischen liegen 17 Jahre von Schumanns Leben), die beredt Einfallsreichtum mit satztechnischen Experimenten zu verbinden sucht. Der Finalsatz ist mit „Prestissimo possibile“ eine Zumutung. Ob Franz Liszt das fehlerlos spielen konnte, ist nicht bekannt . . .

Nach der Pause bewährte sich Kissin farbenprächtig in den szenischen Miniaturen von Debussys „Préludes“: Weder Schmäh à la Rubinstein noch die Erhabenheit eines Benedetti Michelangeli, Kissin rezitiert die klingenden Gedichte spontan. Humor fehlt so wenig wie Fantasie, Imagination oder Exzentrik.

Zum Abschluss geordnetes Chaos, made 1903 in Moskau: in Skrjabins knapper Vierter Sonate explodiert ein auf Haut und Knochen abgemagertes Andante zu einem infernalischem Furioso – mit der verharmlosenden Tempobezeichnung „Prestissimo volando“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2018)

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