Aviso: „Vitalist“ gegen jede Skepsis: Paul Gulda spielt Friedrich Gulda

Metaphysische Übungen: die Messkomposition von Friedrich Gulda am Ort der Uraufführung, der Pfarrkirche Neusimmering.

Eine Messe aus der Feder von Friedrich Gulda? Paul Gulda, Sohn des Pianisten und Komponisten, selbst exzellenter Pianist, hat das Frühwerk seines Vaters zu Ehren von dessen 80. Geburtstag einstudiert, in Linz aufgeführt und bringt es nun nach Wien, in die Pfarrkirche Neusimmering. „Ich wollte“, sagt Paul Gulda, „dass das Stück dort noch einmal erklingt, wo es seinerzeit uraufgeführt worden ist“. Die Messe entstand als Abschlussarbeit des Kompositionsstudenten der Klasse von Joseph Marx.

Gulda und die katholische Messe? Sohn Paul: „Der möglichst universell Terrain erobernde junge Friedrich Gulda will nach Klavierstücken, Chorsätzen und Liedern seine Hand an Sakralem und nicht zuletzt auch an den in der Messkomposition enthaltenen strengen Formen erproben.“ Und überdies: „Er hat alles nur einmal gemacht, er wollte ja weiter, ins Eigene, schielte bereits auf das moderne Idiom, welches für ihn der Jazz werden und bleiben sollte.“

In der Messe finden sich denn tatsächlich strenge Formen wie Passacaglia, Fuge, „auch Bach'sche Festtrompeten erklingen, ein Moment im Benedictus gemahnt an Mozarts c-moll-Messe, einige Maestoso-Stellen an das Verdi-Requiem, das Sanctus ist quasi Bruckner. Alles wird assimiliert, erprobt, durchgearbeitet“, frei nach Goethe: „erworben, um es zu besitzen“.

Glaube, Schöpferlust und die Moderne

Die Mutter Friedrich Guldas war, so weiß dessen Sohn zu berichten, eine „fromme Frau. Der Vater war zwar SP-nahe und Atheist, stand aber der christlichen Lehre sehr respektvoll gegenüber“. Und schließlich: „Wie jede musikalische Messe ist auch diese nur durch das Ernstnehmen der Bedeutung des Gesagten/Vertonten erfahrbar – Eklektizismus hin oder her.“ Für den Sohn ist und bleibt der Vater „nur als Gesamterscheinung zu sehen“, als Interpret und Komponist: „Gerade das Spannungsfeld zwischen Interpret und Eigenschöpfer ist das Entscheidende, die Kompositionen, gleich wie man sie bewerten mag, bringen die Schöpferlust, den Aufbruch zum Ausdruck, trotz der Loyalität und Bewunderung für das Erbe der Meister.“„Persönlich“, ergänzt Paul Gulda, „finde ich es schade, dass mein Vater der Moderne des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel Meistern wie Schostakowitsch, nicht die lautere Absicht zugestanden hat. Seine Ablehnung von Bartók, Schönberg, Strawinsky und anderen verstehe ich aus seinem oft einbekannten und geradezu selbst verordneten Optimismus. Die Absage an das Happy End, die in der Romantik beginnt, das war nichts für Friedrich Gulda. Er war Vitalist, er wollte jede Skepsis überwinden.“ Sein Wahlspruch: „Was nicht swingt, ist schlecht oder zumindest überflüssig.“

„Es ist der Ausdruck von Lebensmut und Schöpferlust, der Friedrich Guldas Kompositionen attraktiv macht, nicht eine ,Philosophie‘“, die dahinterstehen könnte. „Er hat seine Werke ,ergriffen‘ erfasst, nicht ergrübelt – und so erfasst, ergreift auch er die Nachwelt“, meint Paul Gulda.

Guldas „Messe in B“

Paul Gulda präsentiert Friedrich Guldas Abschlussarbeit in der Kompositionsklasse von Joseph Marx, „Messe in B“ (1949), sowie Werke von Mozart, Bach und Marx. In der Pfarrkirche Neusimmering, 1110 Wien, Enkplatz (U3), 30.Mai, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2010)

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