Operette – was heißt hier wienerisch? Ungarn rettet das Pariser Genre!

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Eine reiche Ausstellung über das musikalische Unterhaltungstheater wird im Theatermuseum (Palais Lobkowitz) gezeigt.

Operette, das ist, wenn Robert Meyer in der Volksoper brilliert und im Rahmenprogramm einige Sänger nette Melodien singen. So könnte bei einer Umfrage die spontane Definition durch künftige Generationen von Wiener Theaterbesuchern lauten. Zumindest, wenn sie sich an den Spielplänen der Volksoper orientieren. Was ihnen nicht zu verdenken wäre, denn das Haus soll ja die Leichte Muse pflegen; in ihrer wienerischsten Ausprägung zumal. Gottlob gibt es Möglichkeiten, den Horizont ein wenig zu weiten – man kann nach Baden fahren, um Produktionen von Robert Herzl zu sehen. Oder sommers nach Ischl.

Aber auch Wien ist nicht ganz untätig, wenn es darum geht, das musikhistorische Geschichtsbewusstsein zu fördern. Dass es hier bis vor Kurzem noch eine wirklich profunde Pflege der Operette gegeben hat, aber auch welche Wurzeln im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu mehreren Blüteperioden der Gattung geführt haben, wird in der Ausstellung im Theatermuseum (Palais Lobkowitz) behandelt. Und zwar gründlich.

Über das Phänomen Operette ist in der jüngeren Vergangenheit – erstaunlicherweise je weniger die Theater von ihm Gebrauch machten, desto lieber – theoretisiert worden. Vor allem die politische Dimension ist ausführlich gewürdigt worden. Und es mangelte nicht an Stellungnahmen, die an der wienerischen Ausprägung heftige Degenerationserscheinungen diagnostizierten. Spätestens als mit dem „Zigeunerbaron“ eine gehörige Portion Militarismus auf die Szene gelangte, erst recht als sich in der Folge Militärkapellmeister vom Schlage Ziehrers oder Franz Lehárs der Operette annahmen, war es mit der frechen Politsatire pariserischer Prägung vorbei. So lautet der Befund, dem die neue Operetten-Bestandsaufnahme im Theatermuseum (von Marie-Theres Arnbom und Kevin Clarke kuratiert) zwar nicht widerspricht, dem sie aber kräftige zusätzliche Perspektiven an die Seite stellt. Dass die wissenschaftliche Reduktion einer über Jahrzehnte hin höchst lebendigen Musiktheatergattung mit einem sophistischen Federstrich Dutzende Erfolgsstücke in die Kitsch-Ecke rückt, mag manchem Freund von lustigen Witwen und Rastelbindern sauer aufgestoßen sein.

Im Palais Lobkowitz erhalten wir nun eine weit reichhaltigere Übersicht über die Ausprägungen der musikalischen Bühnenunterhaltung zwischen goldener und blecherner Ära. Hier wird – wenn auch bei Gott nicht unkritisch – dem Unterhaltungsbedürfnis, das dem Publikumsgeschmack folgend häufig auch mit einer Prise Rührseligkeit versetzt sein sollte, der nötige Stellenwert eingeräumt. Und jenem anderen, gern unterspielten Aspekt, dem die angebliche Dominanz des Kabarettistisch-Politischen durchaus als Feigenblatt dienen konnte: Gleich im ersten Kapitel des Katalogs (Edition Brandstätter) philosophiert Kurator Clarke über die „Geburt der Operette aus dem Geist der Pornografie“.

„Fledermäuse“ und „Vogelhändler“

Und eben jene geistvolle Frivolität, die hier scheinbar aus der Verballhornung eines Nietzsche-Titels spricht, trägt uns mit luftigem Schwung durch eine klug gemachte Zeitreise – von den Bouffonerien und Offenbachiaden des Zweiten Kaiserreichs samt deren oft kühnen Vorwegnahmen späterer, surrealistischer Theaterpraktiken, über alle „Fledermäuse“, „Vogelhändler“ und (wie Kuckuckseier eingelegte) „Schwalben“ hinweg bis zur Heraufkunft des Musicals. Dieses als legitime Erbin der hier larmoyanten, da quirlig-spaßigen Operette der spätesten Phase setzt keinen Schlusspunkt hinter eine abgeschlossene Geschichte, sondern öffnet neue Räume. Und das Bewusstsein für die neuen Umgangsformen: Mit „My Fair Lady“ kam erstmals eine Lizenzproduktion in Umlauf, die nicht nur Text und Musik, sondern auch die Details der gesamten Produktion bis ins Kleinste vertraglich regelte. Was das für das Musiktheater bedeutete, verriet uns nicht zuletzt Andrew Lloyd Webber, als er seine „Really Useful Group“ gründete.

Das reiche Begleitprogramm schließt sogar ein „Weißes Rössl“ mit Christoph Wagner-Trenkwitz (31. März, 17 Uhr) ein. Und Heinz Holecek informiert uns über die „Rettung der Operette durch den ungarischen Schlager“ (25. April, 19.30).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2012)

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