Salzburger Festspiele: Jedermann im Festspielrausch

Salzburger Festspiele Jedermann Festspielrausch
Salzburger Festspiele Jedermann Festspielrausch(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Wie begehen die Salzburger Festspiele das 90. Jahr ihres Bestehens? Ein Volksfest zur Einstimmung, massenhaft Ehrungen und ein neues Traumpaar auf dem Domplatz, beinahe live im ORF übertragen.

Ein veritabler Finanzskandal im Frühjahr, der frühzeitige Abgang von Intendant Jürgen Flimm nach dieser Saison, dann ein Interimsjahr mit Konzertchef Markus Hinterhäuser, ehe im Herbst 2011 Alexander Pereira das Kommando übernimmt. Wie also begehen die Salzburger Festspiele das 90. Jahr ihres Bestehens? Mit einem großen Volksfest. Denn sobald den Jedermann auf dem Domplatz der Tod holt und der Teufel leer ausgeht, ist das Vorgeplänkel erst einmal vergessen, und Präsidentin Helga Rabl-Stadler schwebt allgegenwärtig wie die Inkarnation der Guten Werke über dieser Masse von Veranstaltungen, die Salzburg bis 30.August eine beneidenswerte Umwegrentabilität bescheren.

Die Salzburger Festspiele starteten auch in diesem Jahr nicht mit der offiziellen Eröffnung heute, Montag, sondern zwei Tage zuvor mit einem „Fest zur Festspieleröffnung“. Zum beinahe runden Jubiläum des Sommerfestivals, das 1920 mit einer Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ durch Max Reinhardt begann, hat man diese Gratisvorfeiern besonders opulent gestaltet. Mehr als 1000 Künstler trugen zur Show in der Innenstadt bei – auf den Plätzen, in Konzertsälen, Kirchen und Museen: Die Stelzer spielten Wagner, der Teufel erklärte das Theater, die Salzburger Nockerln spielten auf dem Mozartplatz auf.

Schnürlregen als Vorspiel

Bevor also am Montag nach dem Festakt im Großen Festspielhaus ab elf Uhr Dirigent Daniel Barenboim die Eröffnungsrede gehalten haben wird, ist bereits eine Großfeier zu Ende gegangen, die im „Jedermann“ kulminierte – ein Spiel fürs ganze Volk in diesem Jahr, beinahe live (um eineinhalb Stunden zeitversetzt) im ORF übertragen, mit dem verjüngten Protagonisten und seiner blühend jungen Buhlschaft im Mittelpunkt: Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr. Regisseur Christian Stückl, dessen Inszenierung des mittelalterlichen Moralstückes seit 2002 aufgeführt wird, ließ sich für das neue Paar ein paar Änderungen einfallen.

Am Sonntagmorgen bangten die Veranstalter, ob es bei der streng katholischen Büßershow auf dem Domplatz auch trocken bleiben würde, ob man nicht kurzfristig ins weniger seelenvolle Große Festspielhaus übersiedeln müsse. Denn am Tag zuvor hatte die Stadt 24 Stunden Schnürlregen über sich ergehen lassen müssen. Das Fußballspiel Salzburg gegen Innsbruck wurde abgesagt, das Verkehrschaos blieb. Es schüttete. Da dachte sich wohl mancher Besucher, dass so ein dicker Wetterfleck aus Loden, ein brauner Lederhut, Lederhosen und Haferlschuhe – ein Ensemble, das einige Schaufenster rund um die Getreidegasse ziert – in dieser unberechenbaren Bergregion selbst im Hochsommer durchaus Sinn ergeben.

Denn nur wenige Dutzend Zuseher trotzten am Samstagabend auf dem Kapitelplatz der Witterung, um sich zur kulturellen Einstimmung bei den Siemens-Festspielnächten auf Großleinwand Ausschnitte aus den Inszenierungen des „Rosenkavalier“ anzuschauen, die Herbert von Karajan 1960 und 1984 dirigiert hatte. Längst hatte sich das Straßentheater in den Rittersaal der Residenz verzogen, um dort Johann Nestroys „Der Zerrissene“ zu geben.

Die Tänzer und Musiker flüchteten allerorts ins Trockene. Nur eine hartgesottene Truppe ließ sich vom Regen nicht verschrecken. Um halb elf Uhr am Abend boten 100 Paare auf dem Residenzplatz den Fackeltanz, einen zünftigen Brauch, der 1951 wiederbelebt wurde. Kurz trotzte man der Witterung, dann löste sich auch diese Versammlung auf. Erstmals durften heuer beim Fackeltanz neben den Ursalzburgern auch einige zugewanderte Paare aus Kroatien mittanzen. Die Stadt gibt sich also in diesem Jahr besonders weltoffen, wie es der Grundidee von Hofmannsthal und Reinhardt entspricht. Auch Rabl-Stadler hat in diesem Jahr um internationales Publikum geworben. Von Istanbul bis Rio suchte sie neue Gäste jenseits des deutschen Stammpublikums – und auch neue Sponsoren.

Einer von ihnen ist nun der türkische Milliardär und Großindustrielle Ahmet Kocabiyk. Sein von ihm finanziertes „Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra“ durfte deshalb auch am Sonntag im Vorprogramm in der Felsenreitschule spielen – Werke von Mozart, Hindemith, Respighi, Erkin. Der Pianist Fazil Say brachte auch gleich ein eigenes Werk zur Uraufführung mit. Geleitet wird das ambitionierte junge Orchester vom Österreicher Sascha Goetzel, der es rasch zur Europa-Reife führen will.

Kocabiyk wurde nach dem Konzert von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet. Das Vorspiel zu den Festspielen entwickelte sich überhaupt zu einer Reihe von Ehrungen. Alles, was in Salzburg glänzen wollte, drängte sich an diesem Sonntag in die barocke Innenstadt. Der liechtensteinische Senator Herbert Batliner, 1997 Gründer des nach ihm benannten Europa-Institutes in Salzburg, verlieh in der Residenz den „Kleinstaatenpreis“ an die European Cultural Foundation Amsterdam, Franz Welser-Möst, der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, hielt die Festrede.

Staatspreis für Per Olov Enquist

Im Haus für Mozart wiederum zeichnete Kulturministerin Claudia Schmied den schwedischen Schriftsteller Per Olov Enquist (*1934) mit dem „Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur 2009“ aus. Paulus Hochgatterer hielt die Laudatio. Enquists vielfältiges Werk zeichneten Genauigkeit und Meisterschaft aus, hieß es in der Begründung. Seine Geschichten wirkten „wie von leichter Hand geschrieben“, der Leser werde in „diese Grenzgänge zwischen Fiktion, Reportage, Essays und Autobiografie“ involviert, hieß es über den Autor von großartigen Werken wie „Ein anderes Leben“ oder „Der Besuch des Leibarztes“.

Ein schwedischer Großschriftsteller (so nobelpreisverdächtig wie Claudio Magris, der 2010 als Dichter zu Gast in Salzburg ist)soll zum Beweis beitragen, dass diese Festspiele wirklich international sind – so wie am Montag die Wiener Philharmoniker mit Barenboim im Großen Festspielhaus und am Dienstag der Komponist Wolfgang Rihm mit der Uraufführung von „Dionysos“ im Haus für Mozart. Ist das zu wenig, wie eine große deutsche Tageszeitung am Samstag andeutete? Wer Titanen will, muss raus aufs Land: Regisseur Peter Stein zeigt heute in Hallein mit „Ödipus auf Kolonos“ die erste große Neuinszenierung. Klaus Maria Brandauer spielt den ungeheuren Protagonisten. Der ist tragischer noch als Jedermann.

Das 90. Jahr in Salzburg

1920 eröffneten im August zum ersten Mal die Salzburger Festspiele – mit dem „Jedermann“. Zum 90. Jubiläum ist im Salzburg-Museum bis 26.Oktober die Schau „Das große Welttheater“ zu sehen.

Der Jedermann wurde bisher von 15Schauspielern gegeben, die Buhlschaft haben bereits 30 Frauen gespielt. 2010 debütieren die Burg-Stars Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr. Tod und Teufel spielen erneut Ben Becker und Peter Jordan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2010)

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