Schon beim ersten Auftritt am Sonntag ist klar: Dieser Jedermann ist ein ganz anderer. Nicholas Ofczarek ist ein starker, böser Jedermann, Birgit Minichmayr eine charmant-ironische Buhlschaft. Der Tod wirkt fast besorgt.
Schon beim ersten Auftritt am Sonntagabend auf dem Domplatz ist klar: Dieser Jedermann ist ganz anders als der von Peter Simonischek in den vergangenen acht Jahren verkörperte. Debütant Nicholas Ofczarek trägt kein elegantes historisches Kostüm, sondern ist nachlässig gekleidet wie ein Spekulant nach einer durchzechten Nacht, in der er seine neuen Boni gefeiert hat. Das verschwitzte Hemd ist falsch geknöpft, einen Socken hat er verloren, doch der Mann ist noch immer gefährlich. Sein Gesinde behandelt er wie den letzten Dreck, die Verlierer, die ihm begegnen, während er sich noch obenauf wähnt, bedenkt er mit einem schauerlichen zynischen Lacher.
Oder gar mit Tritten; der Schuldknecht (Robin Sondermann) wird von ihm mit Ketten malträtiert, dessen Frau (Britta Bayer) verhöhnt. Was für eine unsympathische Erscheinung! Das ist ein Mann, der mit seinem Lebensstil direkt auf die Hölle zustrebt, der aber durch Gottes Barmherzigkeit, Restbestände Guter Werke und vor allem durch seine Reue in letzter Sekunde in diesem streng katholischen Welttheater in den Himmel gerettet wird.
Der Jedermann und seine Buhlschaft(en)
Vom Grinsen zum Angstlachen
Das Lachen variiert Ofczarek in zwei Stunden als Protagonist von Hugo von Hofmannsthals Stück über das Sterben des reichen Mannes wunderbar – es reicht vom werbenden Grinsen über das einschüchternde Meckern bis zum Todesangst-Lachen. Ofczarek zieht alle Register in der Inszenierung von Christian Stückl, die dieser im neunten Produktionsjahr noch einmal gründlich überarbeitet hat; geschärft bis zur Satire, und auch in der Übertreibung neu. Zwar sind zwei Konkretisierungen des Hedonismus weg (der Heuwagen, aus dem bisher die Buhlschaft sprang, und das Modell eines Lustgartens), aber stattdessen gibt es ungehemmtes Spiel. Wesentlich ist dabei die Dominanz von Ofczarek. Souverän beherrscht er diese gereimten Verse, die so leicht ermüden lassen können, traumwandlerisch bewegt er sich auf der Bühne. Stückl ist es über weite Strecken gelungen, die Stärken dieses Volksschauspielers hervorzukehren, der in Gestik und Mimik zuweilen sehr expressionistisch wirkt, was man fast wiederum als Schwäche in dieser großteils sehr ansprechenden Inszenierung auslegen kann.
Freilich lässt diese Regie wenig Raum für das übrige Ensemble. Birgit Minichmayr als mädchenhafte Buhlschaft in einem fantastischen roten Kleid behauptet sich tapfer, indem sie in dieser wichtigen Nebenrolle ganz eigene Akzente setzt. Fast scheint sie einem bösen Ibsen-Spiel entsprungen. Diese Geliebte ist eine moderne Frau, die sich mit Charme und einer gehörigen Portion Ironie auf ein Kräftemessen mit dem groben Lackel einlässt. Wohldosiert ist ihre Koketterie. Sie liebt den Glamour. Bei ihrem ersten Auftritt von oben auf der Treppe flirrt das Lametta, wenn sie dem Gesinde und den Gästen hinter Jedermanns Rücken bedeutet, endlich mit dem Fest anzufangen. Aber nicht nur vergnügungssüchtig ist diese Person, sondern sie scheint auch echt besorgt um ihren Geliebten. In den Tod geht sie nicht mit ihm, dennoch rührt ihr flüchtiger Abschied: „Dein Spiel will mir nit mehr gefallen“, sagt sie fast emotionslos, aber konsequent, während ihr Liebhaber liegend um sein Leben kämpft – so exzessiv, dass er einmal sogar rücklings die Treppe runterrasselt. Ofczarek als Stuntman? In Volksstücken geht es manchmal eben etwas derb zu.
Die Tischgesellschaft inklusive der Ars Antiqua Austria ist in diesem neuen Stückl-Werk seltsam anachronistisch. Verhuscht wie ein griechischer Chor reagiert sie in ihren barocken Kostümen, wenn Jedermann sie mit seinen ersten Todesahnungen erschreckt. Wie aufgescheuchte Hühner toben Dicker und Dünner Vetter (Felix Vörtler, Thomas Limpinsel) um die Festtafel. Diese Clowns werden sich an ihrem Verwandten revanchieren, indem sie vor dem Todgeweihten das Goldgeschirr einsacken.
Hörbiger, Schell, Ofczarek, Moretti: Alle Jedermänner
Comic-Version eines Teufels
Aufs Komödiantische verlässt sich auch Peter Jordan in der Doppelrolle Guter Gesell und Teufel. Aus einem Gecken in Gehrock und mit Stock wird die Comic-Version eines Teufels. Bartel nennt man solche zotteligen Gesellen in manchen Alpentälern. Nach einem verhaltenen Beginn hat Jordan als Satan mit glühenden Augen und schmutzstarrem Schwanz wenigstens die Lacher auf der Seite, vor allem, wenn er sarkastisch die Passagen des Glaubens vorträgt.
Unscheinbar sind diesmal der Mammon (Sascha Oskar Weis), Jedermanns Mutter (Elisabeth Rath) und die Guten Werke (Angelika Richter): ein Flitterbub ohne Glanz, eine alte Frau ohne Strenge, ein Trachten-Mädchen auf dem Friedens-Trip. Auch Gott der Herr (Martin Reinke), der anfangs als Armer Nachbar so lässig auf der Treppe lehnt, während die Riederinger Kinder sehr versiert wie seit Jahren schon das lustige Vorspiel zelebrieren, scheint seinen Ruhetag zu haben. Schließlich ruht Jedermann am Ende auch in seinem Schoß, das ist wie eine Pietà anzusehen. Diese Nebenrollen haben alle kleine Sprechprobleme und vielleicht auch noch Schwierigkeiten mit dem neuen, kraftgenialischen Jedermann.
Wer außer der zauberhaften Birgit Minichmayr kann sich neben Ofczarek am besten behaupten? Es ist der Tod, erneut verkörpert von Ben Becker. Auch er ist ein kraftvoller Schauspieler und wirkt enorm in seiner grausamen grauen Gestalt. Allerdings hat er sich diesmal mit seiner rauen Stimme zurückgenommen. Besorgt scheint er bei seiner ersten Begegnung mit Jedermann, beim bedeutungsvollen Blickkontakt. Unwillig fast drängt er den Todgeweihten zum Gehen, zur Läuterung. Die sparsame Auslegung bei so viel Lust zur Übertreibung im Sterben hat dieser Rolle gut getan. Becker gäbe wohl auch einen interessanten Jedermann ab.
Auf ohrenbetäubende 100 Dezibel sollte man es stimmlich schon bringen, wenn man den Jedermann an den Tod gemahnen will. Anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums veranstalten die Festspiele ein Rufer-Casting.