Der Grazer Fotograf Thomas Windisch sucht verlassene Hotels, ehemalige Psychiatrien und geschlossene Kasernen auf. Mit seiner Kamera fängt er den vergehenden Prunk und Zivilisation in ihrer Auflösung ein.
Auf dem Bettgestell liegt noch die Matratze, selbst die Bücher stehen noch aufgereiht in den Regalen. Fast, als könnte ein Hotelbesucher das Zimmer jederzeit wieder beziehen. Wäre da nicht das Moos, das den Teppichboden schon zum Teil überwuchert. Das Hotel in Slowenien, in dem sich dieses Zimmer befindet, ist verlassen, schon eine ganze Weile und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Natur es zurückerobert oder das Gebäude abgerissen wird, um einem Neubau Platz zu machen. Solche aufgegebenen Hotels sind ein Lieblingsmotiv des Grazer Fotografen Thomas Windisch, der Ruinen in ganz Europa ablichtet. In Österreich, Italien, Deutschland, England, Kroatien und Slowenien hat er bereits Hotels, Bunker, Villen, ehemalige Kasernen oder Fabriken besucht und Bilder von vergehendem Prunk und sich auflösenden Zeugen der Zivilisation gemacht.
Provokativ "Ruin porn" genannt
Fotos solcher verstörend schönen Ruinen kennt man aus Detroit, aus der einstigen Hochstätte der Automobilindustrie. "Ruin porn" wird diese Fotografiebewegung gerne reißerisch genannt. Mit der Bezeichnung kann Windisch wenig anfangen. "Das klingt wie ein typischer Modebegriff", sagt er im Gespräch mit der "Presse". Er sieht sich eher als "Urban Explorer", als Erforscher von verlassenen, "verlorenen" Orten. Kurz "Urbexer" heißen sie auch, nicht alle machen Fotos. Manche blättern sich nur durch zurückgelassene Akten oder Fotoalben, erleben den Ort.
Die Architektur ist freilich eine andere als in den USA. Die Amerikaner würden die Europäer um Fotomotive wie die Stuckdecken in alten Herrenhäusern beneiden, erzählt Windisch. Seit zwei Jahren fotografiert er solche "lost places". An manchen Orten war er schon mehrfach. "Weil die Bilder, die ich am Anfang gemacht habe, nicht mehr meinem Anspruch genügen".
"Ich könnte Statiker werden"
Dabei hat Windisch den zunehmenden Verfall beobachtet, auch von Menschen herbeigeführten. Durch Diebe, die es gerne auf das hinterlassene Metall abgesehen haben – und oft durch mutwillige Zerstörung. Vandalen demolieren Ruinen, bis nichts mehr übrigbleibt, das sich als Fotomotiv lohnt. Windisch ist das völlig unverständlich. "Das tut mir persönlich weh", sagt er. Darum fügt er zu seinen Fotos auch keine genauen Ortsangaben hinzu, um diese Ruinen zu schützen.
Seit zwei Jahren fotografiert der Grazer Thomas Windisch verlassene Orte wie ehemalige Hotels, Psychiatrien und geschlossene Kasernen. (Mehr dazu hier: "Ruinen-Fotografie: Detroit liegt auch in Europa"). "Die Presse" zeigt eine Auswahl seiner Arbeiten. Thomas Windisch "Prison Break": Das Gefängnis in Frankreich hatte ursprünglich drei Stockwerke, später wurden noch zwei draufgebaut. Geschlossen wurde es, weil die Kapazität zu gering war – "erschreckend", wie Fotograf Thomas Windisch meint. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Biomass": Wegen des Farns, der im Gebäude wuchert, wird die ehemalige Schule in Belgien "jungle shool" genannt. Es dürfte sich dabei um eine Art HTL gehandelt haben. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Lane 2": Die Bowlingbahn befindet sich in einer Windmühle in Belgien. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Fumeurs": Der ausgemusterte Orientexpress in Belgien. Dieser Teil befindet sich im hinteren Teil des Lokzuges, alles andere wurde bereits abgebaut. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Nuclear Golf Course": Dieser Kühlturm in Belgien gehört zu einem ehemaligen Kohlekraftwerk. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Rat Race": Diese Ratte bewohnte ein "Seminar", vermutlich eine ehemalige Hochschule. Auch Klassenräume befinden sich in dem Gebäude. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Cavern of Lost Souls": In diesem Loch in England wurden Autos entsorgt. Teilweise sind noch Nummernschilder auf den Fahrzeugen. In den letzten Jahren sind keine neuen Autos hinzugekommen. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Visiting Hours": Deutlich kürzer als heute waren die Besuchszeiten in diesem aufgelassenen Spital in Deutschland. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "The Grat Hall": Der Schlafsaal gehört zu einer ehemaligen Psychiatrie für Kinder, wo es auch eine Turnhalle mit einem Volleyballnetz (siehe nächstes Foto), Klassenräume und Kinderzimmer gab. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Mila's Playground": Auf die Hauptfigur der Manga-Reihe und TV-Serie "Mila Superstar" bezieht sich der Titel dieses Fotos, aufgenommen in der ehemaligen Psychiatrie für Kinder in Deutschland. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Spinning Works": Der erste Eindruck täuscht - das Foto wurde nicht in England, der Wiege der industriellen Revolution, aufgenommen, sondern in Österreich. Hier stehen es noch ein paar ehemalige Spinnereien. In manchen der riesigen Webstühle befinden sich sogar noch Garnspulen. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Cleansing of the Temple": Das Foto entstand ebenfalls in der Spinnerei in Österreich. Es erinnerte Windisch an die Geschichte der Reinigung des Tempels in Jerusalem, weshalb er es "Cleansing of the Temple" nannte. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Blue Salon": Dieses verlassene Hotel in Österreich könnte noch immer als Location für eine Werbestrecke für Inneneinrichtung dienen. Zumindest teilweise. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Green Salon": Das Foto entstand im selben Hotel wie der "Blue Salon". Hier ist der Verfall schon deutlich weiter fortgeschritten. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Windows to the Past": Spinnen haben sich in einer ehemaligen rustikalen Diskothek in Österreich eingenistet. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Scrimshaw": Diese "grenzgeniale Deckenschnitzerei", wie der Fotograf findet, gehört zu einem ehemaligen Hotel in Österreich, das inzwischen total verfallen ist. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Insomia": Der Puppenwagen steht in einem "Manicomio", einem Irrenhaus in Italien. Das Graffiti ist Teil des Kunstprojektes "One thousand shadows" des Street-Art-Künstlers Herbert Baglione. Er malt auf der ganzen Welt seine Schattenbilder auf. Ursprünglich stand an der Stelle des Puppenwagens ein Rollstuhl. Windisch fand die Szene aber genau so vor. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Naval Architecture": Dieses Schiff in einer verlassenen Werft in Italien wurde nie fertiggestellt. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Chateau Lumiere": Seinen Namen erhielt das Herrenhaus durch die einzigartige Lichtstimmung, bedingt durch ein Glasdach und durch (wie auch auf diesem Foto) Spiegel. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Pioneer Plants Exploring": In dem ehemaligen Hotelzimmer in Slowenien breiten sich Pflanzen aus. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Rusty Urinals": In der ehemaligen Kaserne in Österreich rosten die Wasserleitungen. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Panorama": Die herrschaftliche Villa in Österreich wurde nie fertiggestellt. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Disco Inferno": In dieser Disco in Österreich hat es gebrannt. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Take a Seat": Auch dieses Foto entstand in einem "Manicomio", einer Irrenanstalt in Italien. Der Hintergrund: In Italien wurden 1978 per Gesetz alle Irrenanstalten geschlossen, seitdem stehen viele leer – und verfallen. Die meisten sind komplett ausgeräumt. (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch "Bunker Entrance": Tor zu einem Kommunikationsbunker in Kroatien. Es ist nicht der einzige Eingang, erzählt Windisch. Oben am Berg steht ein Einfamilienhaus, aus dem ein Fahrstuhlschacht direkt in den Bunker führt.>> Zur Homepage von Thomas Windisch: http://thw.photography (c) Thomas Windisch
Thomas Windisch: In Europas prachtvollen Ruinen
Wie er selbst diese Orte findet? Durch Recherche, persönlichen Kontakt mit anderen "Urbexern" und "wenn man mit offenen Augen durchs Land fährt", so Windisch. Auf seine Erkundungstouren bereitet sich der Grazer gut vor: Er recherchiert die Gesetzeslage, ob es dort giftige Tiere und Substanzen oder gar Minenfelder gibt. Und er schätzt die Einsturzgefahr ab. "Ich könnte später Statiker werden", scherzt er.
Unheimliche Begegnungen
Alleine geht er nicht in die verlassenen Gebäude, die "Urban Explorer" sind mindestens zu zweit. Manchmal kommt es auch zu – durchaus unheimlichen – Begegnungen. Einmal sei er in Italien unabsichtlich auf das Gebiet einer Bikergang vorgedrungen, die dort offenbar mit Drogen dealte, erzählt er. Dem Fahrer, der draußen auf Windisch wartete, haben die Biker dann deutlich zu verstehen gegeben, dass er hier sofort verschwinden solle.
In den verlassenen Gebäuden versucht er grundsätzlich nichts zu verändern, baut keine Szenen auf. Die einladend angeordneten Polstersessel auf seinen Fotos, die ordentlich aufgereihten Tische, Stühle, ja selbst die bereit stehenden, rußschwarzen Weingläser hat er genauso vorgefunden. Brüchige Zeugen einer vergangenen Zeit.