Vielleicht hätten sie Theater spielen können . . .

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Die neue Direktion im Schauspielhaus begann mit „Punk & Politik“: ein schwacher Versuch, Schauspieler mit der EU-Reform zu befassen. Erfreulicher war der Neustart des Brut mit „Autoballett“.

Zu den ödesten Erlebnissen, die einem Theater bescheren kann, zählt es, wenn Schauspieler – meist auf Geheiß eines experimentierfreudigen, aber ideenarmen Regisseurs – auf der Bühne darüber reflektieren, warum sie denn dort stehen. Was sie dort tun könnten, wollten und sollten. Und mit welchem Sinn und Zweck. Gewiss, Peter Handke hat in seinen frühen Stücken (von denen eines, die „Selbstbezichtigung“, derzeit in der Volkstheater-Dependance Volx/Margareten gespielt wird, Rezension folgt) ähnliche Situationen erforscht, aber als formal brillante Spiele und Sprachspiele.

Davon kann bei „Punk & Politik“ nicht die Rede sein. Der vom neuen Direktor Tomas Schweigen gemeinsam mit den sieben Schauspielern erarbeitete Abend beginnt mit deren quälend verzögertem Auftritt. Es folgen Versprechungen: „Wir bleiben nicht im postdramatischen Diskurs stecken.“ „Dieser Abend wird Geschichte schreiben.“ Allmählich setzt sich der Konjunktiv Perfekt durch: So könnte alles angefangen haben, wir hätten Theater spielen können usw.

Lichtblick: Ein kleiner Film über den – wirklich erfrischenden – Ex-Bürgermeister von Reykjavik, Jòn Gnarr, einen Humoristen, der mit seiner zunächst kabarettistisch gemeinten „Besten Partei“ gewählt wurde und dann das Budget der Stadt sanierte. Es folgt schier endlose Stammtischpolitisiererei über Rechtspopulismus, EU etc. Schließlich gibt ein Interview mit Robert Menasse eine Richtung vor: Die Schauspieler geben sich begeistert über dessen Idee, die europäischen Staaten zurückzudrängen und die EU, aber auch die Regionen zu stärken. Ihre Begeisterung äußert sich erst in abgedroschenen Phrasen à la „Chance, Europa zu verändern“ und „Europa von unten bauen“, dann in kindischem Schlingensief-für-Arme-Aktivismus: Die europäische Republik, die machen wir mit den Mitteln des Theaters! Schauspielhäuser aller Länder, vereinigt euch! Auch die dick aufgetragene Selbstironie und die zugegebenermaßen coolen Anzüge der Akteure machen das folgende Polit-Entertainment nicht erträglich, aus dem man lernen kann: Es mag nervend sein, wenn Politiker sich als Schauspieler gerieren, schlimmer ist es umgekehrt. Und wer den Geist von Punk nicht versteht, soll ihn nicht beschwören.

Abgesang auf die Ära der Autos

Besonders im Vergleich zu dieser Enttäuschung erfreulich ist das vom ebenfalls neu eröffneten Brut gebotene „Autoballett“: Das Schweizer Theaterkollektiv Mercimax lädt zur letzten Fahrt, zum Abschied vom Auto, zum Abgesang auf das individualmotorisierte Zeitalter. Die Zuseher werden in 14 ausgewählten Autos – vom Trabant bis zur Corvette, vom Elektroauto bis zum Leichenwagen – in die Einöde von St. Marx geführt, auf einen riesigen Stellplatz am Rand der Südosttangente, im schwindenden Licht des Tages. Dort führen die Fahrzeuge ihr Ballett auf, man fühlt: Sie alle, mit ihren Scheinwerferaugen und Kühlermündern, haben Gesichter und Charaktere, sie können traurig und komisch sein (vor allem der Trabi), sie haben Geschichten, auch wenn sie diese nicht erzählen können. Das tun dann die Fahrer, sie sprechen von Naturerlebnissen auf den vier Rädern, schwärmen von der Freiheit der Straße, blicken zurück auf den Beginn der Automobilära, als man sich von den neuen Kraftfahrzeugen die Lösung der ökologischen Probleme erwartete, die die Pferde gebracht hatten . . . Man schaut in den Himmel über Simmering, hört das Lied der Motoren und sinniert über die Chromästhetik des Halbnomadentums, das uns das Auto erlaubt. Erlaubte? Ein kluges, sentimentales Endspiel.

Ein Anfangsspiel eröffnete am Freitag die neue Ära des Brut unter Direktorin Kira Kirsch: „We've just begun“, ein bunter Abend mit 26 Auftretenden, die sich kurz fassten, vom Astrophysiker Bodo Ziegler, der über den Anfang des Universums sprach, bis zu Künstlerin Kate McIntosh, die uns mit Seifenblasen und Konfetti attackierte. Manch Spannendes fand sich in diesem aphoristischen Reigen: die mit steinerner Miene vorgetragene Ankündigungsflut von Michikazu Matsune etwa, die wirklich an Handkes „Publikumsbeschimpfung“ erinnerte, die von Knister-Techno begleiteten Grübeleien der verstörenden Doris Uhlich, das bildlose Weinen und Lachen von Janez Janša. Thomas Edlinger rief dazu auf, die Ich-AGs durch Wir-NGOs zu ersetzen, Toxic Dreams sangen im selben Geiste das schöne linke Lied „The Age of Self“ von Robert Wyatt, Florian Malzacher zitierte „Hey Jude“: „Don't make it bad, take a sad song and make it better.“ So soll es sein.

Fazit: Zumindest auf die Kunst der Partyeinlage mit diskursivem Überbau versteht man sich im Theater Brut weiterhin gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2015)

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