Fotografie: „Das Rauschen der Bilder“

Bilderprofis.  Über den fotografischen Status quo sprachen Felix Leutner, Bettina Leidl, Elfie Semotan und Mark Glassner (v. l.).
Bilderprofis. Über den fotografischen Status quo sprachen Felix Leutner, Bettina Leidl, Elfie Semotan und Mark Glassner (v. l.).(c) Christine Pichler
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Nie haben so viele Menschen fotografiert wie heute, nie waren Fotos so dominant im Gesellschaftsleben. Wie steht es also um die Fotografie? Ein Salongespräch.

Wer seine selbst geschossenen Fotos nicht in sozialen Medien präsentiert, existiert nicht. Und umgekehrt: Wer ausreichend fotografiert und sich schön genug präsentiert, darf sich als vollwertigen Teil der Gesellschaft wähnen. Das sind nur zwei Ansatzpunkte, die bei diesem „Schaufenster“-Salongespräch über den Status quo der Fotografie zur Sprache kamen. Diskutiert wurde von einer Runde hochkarätiger Foto-Experten außerdem darüber, ob das allgegenwärtige Bilderschießen der Fotografie überhaupt guttut. Tun sich begabte junge Menschen womöglich leichter damit, ihr Talent früh genug zu entdecken? Oder droht heute mehr denn je ein gutes, vielleicht zu leises Foto, in den tosenden Bilderfluten unterzugehen?

Elfie Semotan. Sie zählt seit vielen Jahren zu den bestgebuchten internationalen Fotografen.
Elfie Semotan. Sie zählt seit vielen Jahren zu den bestgebuchten internationalen Fotografen.(c) Christine Pichler


Im Lauf der Zeit haben sich immer wieder kluge Menschen mit der Fotografie auseinandergesetzt, ich würde unser Gespräch gern mit einem Zitat von Susan Sontag beginnen, die schrieb: „In der Geschichte der Fotografie hat die Kamera so erfolgreich ihre Funktion einer Behübschung der Welt ausgeübt, dass heute Fotos, eher noch als die Welt an sich, als Maßstab für das Schöne herangezogen werden.“ Wie passt diese Aussage zum aktuellen Stand der Fotografie?
Elfie Semotan: Auch ich habe vor Kurzem Sontags Texte wieder gelesen, und ja, natürlich kann man das heute ebenso sehr sagen wie in der Zeit, als sie diese Aussagen getroffen hat, in den Siebzigerjahren, als die Pocketkameras auftauchten und die Fotografie einen Popularitätsschub erlebte. Nur hat in der Zwischenzeit die digitale Fotografie neue Möglichkeiten eröffnet, weshalb sich der Zustand, den Sontag beschreibt, noch verschärft hat und sich immer weiter zuspitzt. Die Frage, die sich mir stellt, ist aber: Warum fotografieren sich die Menschen heute dauernd und meinen, diese Bilder mit anderen auf entsprechenden Plattformen teilen zu müssen? Und die Antwort lautet, sie fotografieren sich und teilen diese Fotos mit anderen, um überhaupt Teil der Gesellschaft zu sein.



Felix Leutner: Digitale Fotografie muss man in Zusammenhang mit den möglichen Verbreitungsformen sehen, zum Beispiel einer App wie Instagram. Etwas Vergleichbares hätte mit der analogen Fotografie gar nicht passieren können, und auch ich finde, dass man sich die Frage, woher der Selfie-Wahn der Menschen kommt, aus einem soziologischen Blickwinkel stellen muss. Das rührt von einer Suche nach Selbstbestätigung her, denn jeder teilt ja nur möglichst schöne Fotos von sich, zeigt sich von seiner besten Seite.
Mark Glassner: Wenn heute beispielsweise ein Model nur mehr gebucht wird, weil es zigtausende Follower in einem sozialen Medium hat, nimmt dieser Bilderwahn aber noch eine ganz andere Dimension an. Jenseits der Eitelkeit geht es tatsächlich um die Aussage: Ich gehöre dieser oder jener Gesellschaft an, ich stelle mich aus, ich stelle mich dar. Jede Einzelheit meiner Welt wird vorgeführt. Und weil so viele Menschen glauben, das tun zu müssen, und weil so viele es mit Fotos tun, ergibt sich daraus ein Rauschen der Bilder, bei dem ich mich frage, ob wir überhaupt noch die Kapazität haben, einzelne von ihnen wahrzunehmen, mit der gebührenden Aufmerksamkeit. Zugleich fehlt das notwendige Wissen über diese Fotos, die Fähigkeit, sie und ihre Inhalte zu reflektieren, weitgehend. Wir lernen zwar alle sprechen und Dinge benennen, aber wir lernen nicht, Bilder wirklich zu sehen und sie zu verstehen.


Ist das möglicherweise die Aufgabe eines Museums, das Fotografie zeigt: Den Menschen, die den Weg in das Museum gefunden haben, Möglichkeiten der bewussten Auseinandersetzung mit Bildern zu bieten?
Bettina Leidl: Natürlich hat ein Museum auch eine erzieherische Aufgabe. Dass die Besucher also verstehen, was ein gutes Bild ausmacht oder wie es entsteht. Andererseits findet das auf die unterschiedlichsten Arten statt. Wenn ich etwa auf einen der Fotografen verweise, die wir aktuell ausstellen, nämlich Peter Piller, so arbeitet er großteils mit alltäglicher Gebrauchsfotografie. Er entnimmt Bilder aus dem Lokalteil von Zeitungen, aus Magazinen, und stellt sie zu Serien zusammen, woraus sich eine neue Anmutung ergibt, die zum Teil auf die Banalitäten des Alltags verweist. Darüber hinaus zeigt Piller ganz klar auf, wie wichtig der Kontext eines Fotos ist: Das Bild an sich funktioniert nicht universell, sondern im jeweiligen Zusammenhang. Und Bewusstsein für die mögliche Manipulation der Bilder, durch Bilder, ist in einem Setting, wo jeder Einzelne überflutet wird mit Bildern und konstruierten Wirklichkeiten, umso wichtiger und eigentlich unverzichtbar. Gerade wegen der Dominanz von sozialen Medien in unserer Zeit. Und da möchte ich nur kurz ein unglaubliches Gespräch erwähnen, das ich zufällig einmal gehört habe: Eine 14-jährige Tochter sagte zu ihrer Mutter, die keinen Facebook-Account hat: „Du existierst ja gar nicht!“
Semotan: Wobei es für mich völlig fraglich ist, was der Einzelne davon haben soll, 10.000 Freunde zu haben, die er gar nicht kennt. Was bringt einem das auf der persönlichen Ebene? Man bekommt vielleicht Zustimmung, hin und wieder Ablehnung, was man aber nicht bekommt, ist Auseinandersetzung.

Mark Glassner.  Fotograf und bis 2015 Universitätslektor für Fotografie an der Angewandten.
Mark Glassner. Fotograf und bis 2015 Universitätslektor für Fotografie an der Angewandten.(c) Christine Pichler
Bettina Leidl. Als Direktorin des Kunsthaus Wien zugleich Foto-Ausstellungsmacherin.
Bettina Leidl. Als Direktorin des Kunsthaus Wien zugleich Foto-Ausstellungsmacherin.(c) Christine Pichler



Bildverbreitungsplattformen wie Instagram oder Snapchat bedingen jeweils auch bestimmte Ästhetiken. So oder so dröhnt in sozialen Medien das von Mark Glassner erwähnte Rauschen der Bilder. Wie kann es nun ein Bild schaffen, sich aus dieser Masse hervorzuheben und in Erinnerung zu bleiben – denkwürdig zu werden? Ist das über die Ästhetik, die Qualität eines Bildes überhaupt noch bewerkstelligbar, oder zählt allein die Dominanz des Kontexts: Wenn etwa ein Foto einen Monat lang auf einem Billboard über der Autobahn hängt oder es auf das Cover einer wichtigen Zeitschrift schafft?
Semotan: Ich glaube, es ist jedenfalls beides, der Kontext und die Qualität des Bildes, die zählen und ineinander greifen. Das war immer schon so.
Glassner: Die Ästhetik ist sozusagen die Butter auf dem Brot. Aber der jeweilige Kontext macht die Bedeutung, auch die nachhaltige Bedeutung aus. Elfie Semotans berühmtes Porträt von Helmut Lang wäre nicht zu dem ikonischen Bild geworden, als das wir es kennen, wenn nicht Lang zum weltweit gefragten Designer geworden wäre und gesagt hätte, das ist das einzige Bild, das es von mir gibt. Aber auch da gehört es zur Bedeutungserfassung, dass es ausreichend Wissen über das konkrete Bild geben muss.
Semotan: So ist es. Bilder werden von allen als selbstverständliches, und selbstverständlich beherrschtes, Transportmittel verwendet und dabei paradoxerweise in ihrer Bedeutung oder ihrem Potenzial von vielen weitgehend unterschätzt.
Leidl: Früher gab es natürlich noch viel dominantere Filter, die darüber bestimmten, welche Bilder überhaupt an eine breite Öffentlichkeit gelangen. Im News-Bereich waren das Zeitungen, Zeitschriften, die für dieses Image-Editing zuständig waren. Jetzt gehen Bilder des Weltgeschehens in der Sekunde und fast ungefiltert um die Welt. Diese Demokratisierung stellt bis zu einem gewissen Grad eine positive Entwicklung dar.
Glassner: Zumindest, solange es Bewusstsein dafür gibt, dass jedes Bild, immer, Manipulation darstellt und nie authentisch ist – gerade in Anbetracht der großen Masse von Menschen, die sich der Bilder bedienen oder sie verbreiten.
Semotan: Was wir auch nicht unerwähnt lassen sollten, ist die Tatsache, dass für dieses Rauschen der Bilder fast ausschließlich absolute Banalitäten fotografiert werden. Das ist der eigentlich heikle Punkt. Was ist eigentlich los, dass so viel Dreck fotografiert wird und diese Nichtigkeiten dann auch noch Gesprächsstoff werden.



Leutner: Ich sehe da zwei Entwicklungen. Zum Einen werden die Paparazzi wahrscheinlich früher oder später dadurch arbeitslos, weil Bilder, wie sie sie früher gemacht haben, jetzt ohnehin massenweise gratis im Netz auftauchen. Und das Zweite, was ich in meiner eigenen Praxis mitbekomme, betrifft die Fähigkeit, eine Auswahl zu treffen. Auch wir als Fotolabor werden überflutet von Fotos, und manchmal bitten uns die Auftraggeber sogar selbst, aus ihren verschiedenen Bildvarianten die Endauswahl zu treffen. Wenn sogar jemand, der selbst fotografiert, von seiner eigenen Bilderflut so überfordert ist, dass er die finale Auswahl nicht selbst treffen kann, dann ist das meiner Meinung nach eine Armutserklärung für unseren Umgang mit Bildern.
Glassner: Wobei ich aus meiner Erfahrung auch die umgekehrte Erfahrung mache: Ich höre von Auftraggebern oft die Frage: Bekommen wir auch wirklich alle Bilder, die du gemacht hast, zur Auswahl? Das heißt, da will man gar nicht mehr, dass ich die fünf besten Bilder aussuche, und vertraut eigentlich nicht mehr meinem Know-how als Fotograf, dass ich die Auswahl der besten Ansichten treffe. Und diese Angst ist wahrscheinlich deshalb so groß, weil überall so viele Bilder kursieren, weil es dieses Überangebot gibt und man sich deshalb absichern möchte.
Leidl: Aber es ist doch auch im Privaten so, jeder Einzelne fotografiert, aber kaum jemand lässt seine Bilder ausarbeiten. Alles kommt auf eine Festplatte, und da bleibt es dann.
Leutner: Aus meiner Erfahrung sehe ich zugleich eine rasante Verschlechterung der Bildqualität, schon wegen der Geräte, die zum Einsatz kommen. Die meisten fotografieren ja fast nur mehr mit ihren Mobiltelefonen, und das sieht man den Fotos, die sie machen, leider auch an. Berufsfotografen wie Sie beide machen wahrscheinlich auch mit dem Handy schöne Fotos.
Glassner: Ich mache eigentlich keine Fotos mit dem Mobiltelefon. Außer ich bin in einem Geschäft und möchte mir einen Preis merken, dann mache ich ein Smartphonefoto als Memo.
Semotan: Ich handhabe das ähnlich und glaube, wir müssen alle mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erst umgehen lernen. Also auch das Selektieren lernen. Ich kenne Menschen, die kaufen sich freiwillig wieder analoge Filme und legen die in eine Kamera ein, weil sie sagen, dann kann ich nur so und so viele Aufnahmen machen, und damit muss ich auskommen. Ich habe mir früher einmal überlegt, ein Buch über all die Fotos zu schreiben, die ich in meiner Karriere nicht gemacht habe. Und von denen gibt es immer mehr: Wenn ich nämlich fünfzig Leute sehe, die alle dasselbe fotografieren, dann verliere ich jedes Interesse an dem Motiv, das fotografiert wird.

Bilderflut. Ein Salon über die Allgegenwart der Fotografie im Alltagsleben.
Bilderflut. Ein Salon über die Allgegenwart der Fotografie im Alltagsleben.(c) Christine Pichler
Bilderflut. Ein Salon über die Allgegenwart der Fotografie im Alltagsleben.
Bilderflut. Ein Salon über die Allgegenwart der Fotografie im Alltagsleben.(c) Christine Pichler



Könnte es aber der Fotografie insgesamt – ihrem Ansehen, dem Interesse an ihr, etwa auch an Museen, die ihr gewidmet sind – nicht auch nützen, dass nun so gut wie jeder zu fast jedem Zeitpunkt fotografiert, indem er oder sie zur Smartphone-Kamera greift?
Leutner: Schon durch die digitale Technologie ist die Fotografie demokratischer geworden, das steht fest, und mehr Menschen als früher finden ihren persönlichen Zugang. Wir sind auch bei den Portfolio-Einreichungen zur Photovienna überrascht über die Qualität mancher Arbeiten: Da kommt ein Sohn eines unserer Kunden, von dem wir noch nie eine Arbeit gesehen haben, und wir denken uns, wow! Woher kommt denn das?
Semotan: Na, vom Vater, wenn der Fotografie seit Jahren praktiziert und seinen Sohn damit aufwachsen hat lassen.
Leidl: Natürlich stimmt es, dass sich viele Menschen oberflächlich für Fotografie interessieren, weil sie selbst mehr Fotos machen. Aber eine intensive, profunde Auseinandersetzung mit dem Thema und der Wunsch, wirklich etwas über Bilder und die Bildwerdung zu erfahren, ist etwas ganz Anderes. Die Aufgabe und die Rolle und die Qualität eines professionellen Fotografen beziehungsweise die Wertschätzung dieser kreativen Leistung sehe ich leider eher im Abnehmen begriffen.
Glassner: Das verhält sich, ein bisschen zeitversetzt, ganz ähnlich wie in der Musikindustrie. Das Einzige, was in der Fotografie fehlt, sind die Live-Acts, die in der Musikindustrie ein Auffangnetz bei einbrechenden Einnahmen darstellen, weil die Menschen zumindest noch bereit sind, teure Konzerttickets zu kaufen.
Semotan: Für die Begabten ist es wahrscheinlich heute besser, weil sie, wenn sie früher anfangen zu fotografieren, auch früher herausfinden, dass sie begabt sind. Im Allgemeinen würde ich aber sagen, die verbreiterte fotografische Praxis dient nicht der visuellen Erziehung oder der Wertschätzung der Fotografie an sich, sondern nur dem Abstecken der Position, die man in der Gesellschaft einnehmen möchte.
Leutner: Umgekehrt fangen unter den jungen Leuten, sagen wir, in der Hipster-Community, jetzt wieder vermehrt Menschen an, analog zu fotografieren. Auch in Los Angeles etwa, wo ich kürzlich war und mich mit einem Wiener Fotografen unterhalten habe, stellt dieses „Shooting on Film“ eine nicht zu vernachlässigende Tendenz dar.
Semotan: Man darf eines nicht aus den Augen verlieren: Alle großen Fotografen haben nicht nur oder nicht in erster Linie über die Fotografie nachgedacht, sondern immer auch über die Gesellschaft. Es ist wahnsinnig wichtig, dass man eine Haltung hat zu dem, was man fotografiert: Zur Politik, zum Sozialstaat, zu dem Menschen, den man fotografiert. Als ich vor dreißig Jahren in Peru war und zwei Personen fotografiert habe, dachte ich mir: Das kannst du eigentlich nicht machen. Wenn ich diese Leute fotografieren will, muss ich mindestens drei Wochen hier verbringen, ihr Leben kennenlernen. Ich muss bereit sein, ihnen so viel von mir zu geben, wie ich von ihnen haben will. Es funktioniert nicht so, dass man irgendwo auftaucht und den Menschen einen Teil ihrer Existenz stiehlt, um ihn in ein „Iconic Photograph“ zu drehen. Das ist unmoralisch.



Leidl: Der Fotograf ist Teil des Bildes, ob man ihn sieht oder nicht.Wie steht es um die Berufsfotografie, um ihr Standing oder die Bereitschaft von Kunden, Geld für gut gemachte Fotos auszugeben. Es wurde bereits angedeutet, dass es auch da, analog zum Musikbusiness, einen Einbruch gegeben hat.
Semotan: Das Geld, das früher einmal gezahlt wurde für professionelle Fotografie, im Editorial-Kontext oder im Besonderen natürlich für Werbung, das gibt es heute nicht mehr. Das ist unbestritten.
Glassner: Es gibt mehr Kanäle der Verbreitung als früher, das mag ein Teil der Erklärung für diese Entwicklung sein.
Leidl: Es scheint aber auch nicht mehr so zu sein, dass Werbefotografie ein Markenimage entscheidend mitprägen soll oder darf. Denken wir nur an das Beispiel von Benetton, wo man sich ab den Achtzigerjahren mit Oliviero Toscani einen Fotografen geleistet hat, von dem man sich den Aufbau einer markanten Bildsprache erwartete. So etwas sieht man heute kaum mehr.
Semotan: Weil man es unter anderem mit Instagram erledigt, das kann durchaus stimmen. Das wird begleitet von einer massiven Umverteilung der Budgets, aber auch von der schwindenden Bereitschaft, überhaupt etwas für Bilder zu bezahlen. Ich sehe ja überhaupt nicht ein, dass ganz normale Fotografen, die früher für relativ einfache Jobs gebucht und bezahlt wurden, heute für diese Art von Aufträgen kein Geld mehr bekommen, beziehungsweise dass diese Aufträge gar nicht mehr vergeben werden. Das hat sicherlich damit zu tun, dass viele glauben, dass jeder schnell einmal abdrücken kann, und dann fotografiert bei einer Firmenveranstaltung eben schnell einmal ein Mitarbeiter mit, für die Facebook-Seite oder sonstwo. Das hat mit dem ganzen sozialen Gefüge zu tun, nicht nur mit Instagram. Wenn aber jeder fotografiert und es im Grunde egal ist, wie etwas ausschaut, verändert sich der Beruf des Fotografen.


Ist es das, was man nicht im Bild sieht, das das Besondere ausmacht?
Semotan: Das ist es, genau das. Ich wüsste nicht, wie man sonst die persönliche Handschrift eines Fotografen definieren soll.
Glassner: Wenn ich fotografiere, gebe ich mir Mühe, Reflexion zu üben. Ich setze mich mit dem auseinander, was dahinter passiert oder daneben, was man nicht im Bild sieht. Ob es gelingt, dass ein Foto dadurch einen anderen Charakter bekommt, müssen andere beurteilen. Der Kontext ist eigentlich wichtiger als das Abbild. Und ich kann es nicht oft genug sagen: Essenziell ist meiner Meinung nach eine profunde Auseinandersetzung mit Bildern und die Vermittlung dieser Fähigkeit. Damit man ein bisschen an der Oberfläche kratzt und sehen lernt. Warum machen alle ständig Bilder, warum gibt es Selfie-Sticks, warum kommunizieren Menschen lieber mit Bildern, die sie auf sozialen Medien teilen, als sich mit anderen zu treffen? Solche Fragen werden für meinen Geschmack zu wenig häufig gestellt.
Semotan: Trotz allem muss es natürlich inmitten der Hunderttausenden Bilder, die ständig von Menschen gemacht und mit anderen geteilt werden, ganz großartige Fotos geben, anders ist das gar nicht möglich.
Leidl: Aber wer beurteilt es dann, wenn es keinen ästhetischen Konsens mehr gibt, beziehungsweise, wie schaffen sie es, aufzufallen in dem Rauschen der Bilder?

Ganz an der Spitze der Fotografieproduktion kann das letztlich ein Museum wie das Kunsthaus gewährleisten, das seit relativ kurzer Zeit etwa zwei neue Ausstellungsräume für jüngere Positionen unterhält, nicht?
Leidl: Natürlich ist das der Anspruch, wobei wir da wieder von vorn anfangen könnten und uns fragen, wer überhaupt in ein Museum kommt, um sich mit Fotografie auseinanderzusetzen oder ein Fotobuch zu kaufen. Aber natürlich zeigen wir Bilder, die ganz besonders berühren sollen und genau diesen Anspruch haben. Im Vermittlungsbereich sehen wir tatsächlich, dass unser Angebot sehr gut aufgenommen wird: Unsere Besucher interessieren sich für die technische Seite und wollen mehr über die Fotos wissen, das Entstehen von Fotos.
Leutner: Darum würde ich auch am Ende etwas Positives anführen wollen. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass Plattformen, auf denen Menschen ihre Fotos teilen, ein neues Interesse an Fotografie bedingen, dann glaube ich auch, dass tatsächlich mehr Besucher in ein Museum kommen, um sich eine Fotoausstellung anzusehen. Fotografie ist heute eben auch hip und cool, und wenn man so viel Fotografie sieht, dann wird das über kurz oder lang auch zu einer verstärkten Kritikfähigkeit der vielen Betrachter von Fotografie führen.

Tipp

On Location. Das gestellte Portrait wurde vor einer Installation von Anita Witek fotografiert, die Teil der Ausstellung „About Life“ im Kunsthaus Wien ist.

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