Kunsthistorisches Museum: Kopf ab – in Gottes Namen

Mehr Heilige als Femme fatale: Die Wiener „Judith“ von Cranach d. Ä., um 1525/30.
Mehr Heilige als Femme fatale: Die Wiener „Judith“ von Cranach d. Ä., um 1525/30.(c) KHM
  • Drucken

Nach zwei Jahren Restaurierung ist Cranachs „Judith“ wieder zu sehen. Ein aktuelles, ein großartiges Bild! Im Herbst wird es nach Japan verliehen.

Als eine Art Schläferin schlich sie sich einst ins Lager der Feinde ein. Stieß ein „Im Namen Gottes“ aus und schnitt dem Feldherrn bei lebendigem Leibe den Kopf ab. Die Archaik kennen wir. Wir dachten, sie sei Geschichte, steht im Alten Testament, aus dem sie Luther 1534 in die Apokryphen verbannt hat, also in eine Art Bibel-Anhang, der „doch nützlich und gut zu lesen“ ist. Judith hieß die schöne, reiche Witwe, die so Grausames zur Rettung ihres Volks, der Israeliten, vermochte. Holofernes hieß ihr Gegner, der assyrische Feldherr, der die kleine Bergfestung Betulia an der Grenze zum nördlichen Palästina, belagert hielt. Judith erschlich sich mit der Zeit sein Vertrauen, sie benutzte also eine List, um Gott am Ende zu dienen. Was diese Parabel, speziell die Bewertung von Judith als Figur nicht einfacher macht – eine lupenreine Heldin war sie nicht. Eine Betrügerin? Männermörderin? Erste Feministin?

Eine Femme fatale war sie sicher. Jedenfalls war sie in all diesen Widersprüchen äußerst anziehend für Künstler aller Sparten, vor allem Lukas Cranach und seinen Auftraggebern hat sie es angetan, der deutsche Renaissance-Maler malte sie in vielen Variationen. Weshalb man lang vermutete, dass Judith eine Art Ikone der Protestanten sei, Cranach stand Luther bekanntlich sehr nah. Vor allem aber war sie eine Ikone dafür, dass man mit Gottesvertrauen auch den übermächtigsten Feind besiegen kann – und diesen stellten in dieser Zeit vor allem die Osmanen dar, die immer wieder hereinbrachen. So trägt eine Judith-Version, heute im Kasseler Museum, in einem Medaillon das Bild des böhmisch-ungarischen Königs Ludwig II. mit sich, der sein Land immer wieder gegen osmanische Attacken verteidigen musste.

Judith und Salome im Vergleich

Derlei Details erfährt man in der neuen Ausstellung der One-Work-Serie des Kunsthistorischen Museums, die diesmal zwei Werke umfasst: Zu Cranachs „Judith“ (um 1525/30), die von Georg Prast grandios restauriert nach zwei Jahren Abwesenheit wieder zu sehen ist, hat sich eine spätere „Salome“ gesellt, von Joseph Heintz d. Ä. um 1600 gemalt. Und zwar eindeutig nach Cranachs Judith-Vorbild, wodurch bewiesen ist, dass sich die „Judith“ spätestens zu dieser Zeit in der Sammlung Kaiser Rudolfs II. befand.

Diese beiden, Judith und Salome, jetzt nach Jahrzehnten wieder direkt nebeneinander zu sehen ist ein kunsthistorisches Fehlersuchspiel: Judith mit Schwert, Salome mit Teller, die Köpfe von Johannes und Holofernes gleichen sich dafür fast aufs Haar, das Gewand der Damen spiegelt die jeweils aktuelle Mode wider, etwas, mit dem sich Cranach übrigens auszeichnete. Seine Judiths wirken wie sächsische Prinzessinnen, so Kuratorin Alice Hoppe-Harnoncourt, die sich intensiv mit dem Bild beschäftigt hat.

Fast wäre es auseinandergebrochen – die nur vier, fünf Millimeter dicke Eichenholztafel ist im 19. Jahrhundert auf eine zu starre Holzverstärkung montiert worden. Jetzt wurde sie durch eine flexiblere Konstruktion ersetzt. Derart stabilisiert darf „Judith“ auch wieder reisen, im Herbst etwa nach Tokio, wo die erste große Cranach-Ausstellung nicht nur in Japan, sondern überhaupt außerhalb Europas stattfindet. 40 Cranach-Gemälde, vom Kunsthistorischen Museum organisiert – das wird spannend. Denkt man nur an Cranachs fast japanisch anmutende Signatur, die geflügelte Schlange, die man auch im Judith-Gemälde sieht. Und mit Schwertkampf kennt man sich auch dort aus.

„Ansichtssache“, bis 17. Juli. KHM, Gemäldegalerie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.