Eine Lücke schließt sich

Ansicht der aktuellen Einzelausstellung von Goshka Macuga,
Ansicht der aktuellen Einzelausstellung von Goshka Macuga, "To the Son of Man Who Ate the Scroll".Bas Princen
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Ein Jahr nach seiner Eröffnung ist der Campus der Fondazione Prada unbestritten einer der wichtigsten Kunstschauplätze Mailands. Ein Lokalaugenschein.

Paris hat das Centre Pompidou, London die Tate, Rom das Maxxi, Madrid das Reina Sof a, Wien das Mumok die Liste lässt sich beliebig fortführen. Die Liste jener Institutionen mit klingenden und bekannten Namen nämlich, die sich in den meisten Weltstädten den an Gegenwartskunst interessierten Besuchern als Anlaufstellen anbieten. Ausgerechnet in Mailand, der finanzkräftigen Kreativmetropole im Norden Italiens, herrschte, was die Sichtbarkeit der "arte contemporanea" betraf, aber lange Zeit Flaute. Zumindest bis vor einem Jahr. Da nämlich eröffnete die Fondazione Prada nach 20 Jahren ihres Bestehens und parallel zum großen Expo-Getümmel ihren Kunstcampus (oder wie immer man das großzügige Gelände, geplant von Rem Koolhaas, nennen mag mancherorts war gar von einer "citt nella citt ", einer Stadt in der Stadt, die Rede). Verortet in einer ehemaligen Destillerie südlich des historischen Stadtkerns, hat sie die Kunsttopografie der Stadt entscheidend verändert.

Work in Progress. "Uns ist natürlich bewusst, dass die Fondazione Prada in Mailand eine Lücke füllt", bestätigt die Deutsche Astrid Welter, die seit 1997 für die Fondazione arbeitet und heute als Head of Programmes fungiert. Damit meint sie im Konkreten, dass es so gut wie keine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Ausstellungsfläche für Gegenwartskunst gibt: Die Triennale di Milano ist im Begriff, sich neu zu konfigurieren und beendet gerade eine 20-jährige Pause mit einer großen Designausstellung. Der relativ kleine Padiglione d Arte Contemporanea (PAC) wird von der Kommune nicht intensiv genutzt. Das große Museo del Novecento am Domplatz ist indessen ein Publikumsmagnet, widmet sich aber im Wesentlichen der Moderne.

"Wir erfüllen in Mailand mit anderen privaten Institutionen eine Aufgabe, die öffentliche Stellen nicht übernommen haben", so Welter. Neben den Initiativen der Fondazione Trussardi und des von Pirelli betriebenen Hangar Bicocca hat die Fondazione Prada mit ihrem Campus tatsächlich für heiß ersehnten frischen Wind gesorgt. Vier Jahre nach der Eröffnung ihres eigenen Palazzos am Canal Grande in Venedig öffnete sie im Vorjahr die Pforten zu dieser vielseitig nutzbaren Anlage. Drei große Räume für temporäre Ausstellungen gibt es, darüber hinaus einige permanente In stallationen etwa die beeindruckende Installation "Processo Grottesco" von Thomas Demand. Fertig ist der Campus noch nicht, denn an einem Kunstturm, "la torre", wird noch gebaut.

Ein Ort für die Sammlung. "Der Turm wird 2017 fertiggestellt werden", verrät Astrid Welter über den Zeitplan. Wenngleich man sich seitens der Stiftung dagegen verwehrt, in irgendeiner Weise statisch wirken zu wollen oder sich auf ein bestimmtes Tätigkeitsportfolio festzulegen und obwohl überhaupt noch nicht viel kommuniziert werden soll, was die Nutzung des Turmes betrifft, gibt es doch schon einen kleinen Vorgeschmack: "Viel möchte ich dazu nicht sagen, die Torre soll aber nicht als temporäre Ausstellungsfläche genutzt werden." Es soll ihn bei aller angestrebten Dynamik also doch geben: einen Ort, an dem wichtige Werke aus der Sammlung Prada-Bertelli, die im Besitz von Miuccia Prada und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli ist, permanent gezeigt werden. Bis vor Kurzem waren einige Schlüsselarbeiten noch in der Ausstellung "An Introduction" zu sehen, ko-kuratiert von dem Kunsthistoriker Germano Celant, der die Geschichte der Fondazione Prada seit ihren Anfängen begleitet hat.

Kulturelles Engagement. Großen Wert legt Astrid Welter auf die richtige Terminologie zugunsten eines besseren Verständnisses der Stiftung. "Wir sind kein Centre for Contemporary Art, sondern verstehen uns als eine Kulturinstitution." Darum hat man auch anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums und der Einweihung des Geländes in Mailand erstmals ein "Cultural Statement" verfasst, in dem das Selbstverständnis der Fondazione dargelegt wird. "Wir haben uns eben nicht auf Kunst festgelegt, sondern unterstreichen unser Engagement für das Kulturschaffen im Allgemeinen. Dazu gehören auch Film, Theater, Literatur, Philosophie etc. All diese Ansätze ergeben sich aus der Geschichte der Fondazione."

Natürlich kommt man aber nicht ganz darum herum, die Kunst in den Mittelpunkt der Tätigkeiten zu rücken. Sie wird in dem erwähnten Dokument zur Beschreibung der Stiftungsaufgaben etwa als "wichtigstes und bestehendes Instrument des Arbeitens und Lernens" bezeichnet, und sie steht ja schließlich auch am Beginn aller Aktivitäten. Anfang der Neunzigerjahre wurde erstmals ein Raum für die Ausstellung großer Skulpturen geschaffen, in den Folgejahren kam es aber zu einer Ausweitung der Inte ressengebiete in alle bereits erwähnten Sparten.

Um auch im Wissenschaftsbereich vertreten zu sein, sponserte die Stiftung von 2003 bis 2006 gar einen Lehrstuhl für Ästhetik an der Universität Vita-Salute San Raffaele. Besetzt hat ihn der Philosoph Massimo Cacciari, der von der Stiftung während dieser Jahre auch für die Abhaltung von Symposien zugezogen wurde. Ein klares Statement gegen die Klassifizierung des Campus als eine der Gegenwartskunst gewidmete Institution war zudem eine der Eröffnungsausstellungen: In "Serial Classic" interessierte man sich für den Originalitätsbegriff in der Plastik des antiken Roms. Parallel zeigte die Fondazione in Venedig die Schau "Portable Classic", wo miniatürliche Multiples, basierend auf antiken Skulpturen, gezeigt wurden. "Wir haben bewusst als Hauptausstellung zur Eröffnung in Mailand eine Schau zum Thema Cultural Heritage gemacht. Das war durchaus nicht ganz unpolitisch, denn hier schwang die Aussage mit: Wir sind zwar privat, nehmen uns aber auch jener Aufgaben an, die einem öffentlichen Museum zustehen würden", lautet Astrid Welters Kommentar.

Kunst und Kosmos. Die Bandbreite der ausgestellten Positionen soll freilich groß gehalten werden; üblicherweise ist man auch deutlich näher an der Gegenwart. Ein sogenannter Thought Council fungiert als kuratorischer Beirat und verantwortete zuletzt die Schau "Recto Verso" mit Fokus auf beidseitig betrachtbare bzw. ihre Rückseite betonende Kunstwerke. Eine Einzelausstellung ist noch bis Juni der in London lebenden polnischen Künstlerin Goshka Macuga gewidmet: eine komplizierte, enzyklopädisch angelegte Auseinandersetzung mit dem Sinn des Daseins, zusammengesetzt aus Zitaten und verschiedensten Versatzstücken. Eineinhalb Jahre hat Macuga daran gearbeitet, und in Astrid Welters Augen ist das Ergebnis charakteristisch für die Arbeitsweise der Stiftung. "Viel Mut und Spontaneität auf beiden Seiten haben zugelassen, dass etwas ganz Neues entstehen kann. Das war auch in der Vergangenheit immer unser Anliegen."

Tipp

Kunstcampus. Noch bis 19. Juni ist in Mailand "To the Son of Man Who Ate the Scroll", eine Einzelausstellung von Goshka Macuga, zu sehen. Bis Ende August zeigt man die von Thomas Demand kuratierte Gruppenausstellung "L image vol e". www.fondazioneprada.org

Compliance Hinweis: Eine Reise nach Mailand erfolgte auf Einladung der Fondazione Prada.

("Kultur Magazin", 15.04.2016)

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