Hubert Scheibl: „Ästhetik ohne Ethik ist Wellness“

 Halbe Wahrheit, halbe Ratte? Unter diesem ambivalenten Zeichen betritt man die Ausstellung von Scheibl in der Orangerie. Es wird das einzige gegenständliche Bild bleiben, „Fly“, 175 x 300 cm, 2015/16.
Halbe Wahrheit, halbe Ratte? Unter diesem ambivalenten Zeichen betritt man die Ausstellung von Scheibl in der Orangerie. Es wird das einzige gegenständliche Bild bleiben, „Fly“, 175 x 300 cm, 2015/16.(c) Hubert Scheibl
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Hubert Scheibl stellt aus: Wir schlüpfen mit ihm durch das Rattenloch hinein ins Nervensystem seiner Malerei, die durchaus ironisch das Alles und Nichts auslotet.

Hubert Scheibl ist sich nicht sicher. Wie man etwa das einzige gegenständliche Bild in seiner Ausstellung denn verstehen werde, das genau über dem Eingang hängt, eine schwarze Ratte, die sich frech in die abstrakte Atmosphäre schnuppert. „Fly“ heißt es, es ist schon etwas älter, zehn Jahre, hat aber dennoch den Titel dieser Ausstellung gegeben. Ist das Tierchen eine politische Ansage? Eine soziale? Eine ästhetische? „Hier ist die Realität“, meint der Maler auf den fragenden Blick hin. Und da, er deutet auf das erste seiner monumentalen silbrigen Rauchschwadenbilder genau gegenüber, das sei das Loch in der Realität, der Notausgang.

Eine Art Rattenloch also, durch das man hinein in das zentrale Nervensystem der Scheibl'schen Malerei schlüpfen kann. Und nein, man kann sie nicht mit einem Wort beschreiben. Abstrakt ist sie natürlich, aber auch rhythmisch, sensibel, wild, irgendwie spürbar nervös und immer mit einem Drall hinein in farbliche Untiefen ausgestattet. Kein Wunder, dass einer von Scheibls Lieblingstiteln, die er uns als Einstiegshilfen nahezu liebevoll hinwirft, ein Zitat aus Kubricks „Odyssee 2001“ ist: „Das ist eine sehr schöne Zeichnung, Dave.“

Die Möglichkeit des menschlichen Ausdrucks wird hier also ebenso verhandelt wie die Ironie der menschlichen Wahl, der Illusion der Freiheit, die jeder von uns glaubt zu haben. Wenn er etwas schöpfen kann, das muss nicht auf der weißen Leinwand passieren. Und wenn er dann in jeder Entscheidung seine Abhängigkeiten erkennt, zwischen denen er sich marionettengleich bewegt. „Die Hilflosigkeit, in der man sich gerade als Künstler oft befindet, ist der gefährlichste, aber auch der interessanteste Zustand“, sagt Scheibl dazu. Sind die mit einem gewaltigen Pinselschwung hingeschleuderten Farbschleifen, die sogenannten Ones, also eigentlich Lassos? Sind die heftigen Kratzer in den weißen Oberflächen, hinter denen sich ewige farbliche Weiten zu öffnen scheinen, also Attacken? Abstrakt malen mit Message, mit Kampfansage?

„Ästhetik ohne Ethik ist Wellness“, lautet Scheibls knapper Kommentar darauf nur. Aber Scheibl würde den Teufel tun und mit dem moralischen, ja vielleicht gegenständlichen Zeigefinger daherkommen. Die halbe Ratte ist da schon das größte Zugeständnis, und auch sie ist völlig ambivalent zu deuten – empirisch total sozial, kulturell total negativ besetzt, das Tierchen. Da muss jeder schon selbst entscheiden, unter welchem Zeichen über der Tür er hier den „White Tube“ der Orangerie betritt.

Tiefer hängen geht gar nicht

Tiefer hängen, wie der Kulturhistoriker Wolfgang Ullrich eines seiner Bücher zur Kunst-Desakralisierung genannt hat, ist hier drinnen untertrieben. Die fast 40, zum Teil wandfüllenden Bilder noch tiefer zu hängen hätte bedeutet, sie gleich auf den Boden zu stellen. Man soll ruhig in sie hineinfallen, also optisch, meint Scheibl. Überhaupt will er recht radikal Besitz von uns nehmen, uns einhausen mit all seinen Mitteln: Den langen Ausstellungsschlauchraum hat er mithilfe seines Kurators, Mario Codognato, in eine Art wohnliches Loft verwandelt, Einbauten machen den kühlen Ort fast kuschelig, am liebsten hätte man eine Leiter, um auf einer der eingezogenen Zwischendecken den Schlafsack auszupacken. Geht natürlich nicht.

Der übelste Trick aber kommt am Schluss, da ist man dann rettungslos verloren, virtuell eingelullt, im mythologischen Sinn entführt: In Scheibls Atelier, diese lichte Mal-Veranda mitten in der Stadt und über alle Dächer schauend. Die fette schwarze Brille am Ende des Bilderparcours muss man sich nur überstülpen, schon ist man hier, an diesem Ort, dessen Genius Loci der Maler uns auch in der Ausstellung versucht subkutan einzuimpfen. Vielleicht sollte man ja am Ende beginnen, um diesen gewollten örtlichen Parallelen im Ausstellungsaufbau nachzufühlen, um die Intimität zu verstehen, die sich beim Durchschreiten einstellt, doch ebenso um ein wenig von der Leichtigkeit, Lichtheit, aber auch Verspieltheit mitzunehmen, die im Atelier noch so spürbar sind.

Hier, im virtuellen Rattenloch, entlarvt sich allerdings noch Verblüffenderes: Es gibt nicht nur den einen Scheibl, in seinem Atelierlabor hat er sich scheinbar klonen lassen. Dreht man sich in die eine Richtung, blättert ein Scheibl gerade in einer Mappe Zeichnungen, dreht man sich in die andere, steht ein Scheibl gerade am Keyboard und spielt (seine Band Graf Hadik und die Flughunde wird das auch in der Ausstellung tun). Dreht man sich weiter, verschwindet der nächste Scheibl gerade aus dem Zimmer. Ins Kino wahrscheinlich, das Rattenloch aus der Malerei hinaus.

Zur Person

Hubert Scheibl wurde 1952 in Gmunden geboren, studierte bei Max Weiler und Arnulf Rainer in Wien. In den 1980er-Jahren wurde er als Teil der Neuen Wilden-Malereibewegung bekannt. Heute ist er einer der erfolgreichsten österreichischen Maler, wird von der Galerie Thaddaeus Ropac vertreten.

Ausstellung: Orangerie im Unteren Belvedere, bis 5. Februar. tägl. 10–18 Uhr, Mittwoch 10–21 Uhr. Galerie Charim, 16. November bis 14. Jänner, Dienstag bis Freitag 11-18 Uhr
Samstag 11-14 Uhr, Dorotheergasse 12/1, 1010 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)

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