Zwischen Aleppo und Bethlehem

„Wurzel-Jesse-Monstranz“ im Wiener Dommuseum mit Andrascheks Zeichnung, einer Art Urknall mit Tochter.
„Wurzel-Jesse-Monstranz“ im Wiener Dommuseum mit Andrascheks Zeichnung, einer Art Urknall mit Tochter.(c) Deinhardstein
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Schwerpunkt: Geben Iris Andraschek hat das Motto der dieswöchigen „Presse am Sonntag“ aus syrischen Lorbeerseifen gebaut. Florales rankt sich durch ihr Werk, auch in ihrer Zeichnung zur „Wurzel-Jesse-Monstranz“.

Schön im klassischen Sinne schauen sie nicht aus, es sind braune, unscheinbar Blöcke, in die schwer Entzifferbares gestempelt ist. Im Wiener Atelier von Iris Andraschek liegt ein Haufen dieser „Ziegel“ herum. Was ist das? Aleppo-Seife, erzählt die Künstlerin, eine Art Urmutter der Seife, wahrscheinlich seit dem achten Jahrhundert in und um Aleppo hergestellt, aus Lorbeeröl, Olivenöl und Sodaasche. Erst wenn sie mit Wasser in Berührung kommt, zeigt sie ihre reizvolle Farbe, ein helles Grün.

Andraschek ist verkühlt. Denn es war kalt in der südlichen Türkei, wo sie gerade am Berg Musa Dagh (ja, der von Franz Werfel) die Lorbeerernte beobachtete, aus der das Öl gewonnen wird, das man zur Seifenproduktion braucht. Seit sie in einem Bazar in Istanbul vor zwei Jahren erstmals auf die Aleppo-Seife stieß, verfolgt, recherchiert sie ihre Herkunft, ihre Erzeugung. „Sie ist ein richtiges Kulturgut, viele Syrer identifizieren sich damit.“ Zwischendurch gab es durch den Krieg Engpässe bei der Produktion, bemerkte Andraschek. Mittlerweile produzieren aus Aleppo geflohene Seifensieder in leer stehenden Fabriken an der syrisch-türkischen Grenze. Andraschek hat sie dort besucht, mit den syrischen Arbeitern gesprochen, sie in wunderschönen feinen Bleistiftzeichnungen porträtiert und ihnen dabei ihre Geschichten eingeschrieben, auf ihre Haut, rund um ihre Köpfe. Das Leben dort am Euphrat, an der Wiege unserer Kultur, sei trist, Tourismus gibt es keinen mehr, die Leute haben alle Hände voll zu tun, um mit den syrischen Flüchtlingen klar zu kommen, erzählt Andraschek.

In den weiten Leerraum ihrer Porträtzeichnungen aber fließen rundherum Ornamente ein, breiten sich aus wie Geflecht, mal ein Rokoko-Ornament da, mal ein chinesisches, mal ein arabisches, das an die Stempel der Aleppo-Seifen denken lässt. Das Kunsthandwerk, das Ornament, war immer schon wie ein Schwamm, das alle Einflüsse aufsaugte, es ist ein Symbol des Transfers zwischen den Kulturen, ein abstraktes Geschenk, wenn man so will.

Seifenblöcke klettern an Wänden hoch. Andraschek verwendet auch die Seifenblöcke selbst als Ornament, als Bausteine, etwa in ihrer jüngsten Ausstellung in der Galerie Raum mit Licht diesen Herbst. Wie Architekturen stapelte sie diese, lässt sie an Wänden hinaufklettern. Die Seifenform selbst erinnert sie an die Häuser in Aleppo, ganz einfach, mit Flachdach. Schon in der Produktion, so Andraschek, werden die Seifen zu riesigen Architekturen übereinander gestapelt. So lagern sie dann ein Jahr, bevor sie verkauft werden können.

Einen Film hat sie über diese archaisch wirkende Produktion gedreht. Auch der Mythos der Entstehung der Seife sei sehr bodenständig, so die Künstlerin: Ein Hirte soll über dem Feuer ein Schaf gebraten haben. Das Fett tropfte in die Asche, die Asche wurde traditionell zum Auswaschen der Töpfe benutzt – so merkte man, dass sich die Verbindung aus Fett und Asche besonders gut zur Reinigung eignete. Wirkt so do-it-yourself, so aussteigermäßig wie die Geschichten, die Andraschek in einem richtigen Archiv seit 20 Jahren sammelt: über die Menschen, die ihre Existenz ganz der Natur verschrieben haben. Im Kunst Haus Wien waren einige dieser Bilder heuer ausgestellt, man sah unterschiedlichste Menschen aus dem Wein- und Waldviertel, die Bienen und Chillies züchteten, die Altwaren sammelten. Sie entsprachen alle nicht dem Klischee, das wir davon haben, Andraschek hat sie in teils vielleicht bewusst schrägen Situationen festgehalten, jedenfalls immer liebevoll – als die wahren Punks unserer Zeit.

Sie selbst wuchs nicht in der Natur, auf, auch nicht in einem Garten, erinnert sich Andraschek. Aber ihre Großmutter hatte einen. Schon immer liebte sie es, dort Pflanzen zu suchen, sie zu pressen, zu trocknen, zu kleinen Herbarien oder zu Comics zusammenzustellen. In den 1980er-Jahren ging sie dann auf die Akademie in Wien, studierte bei Max Melcher. Die Natur hörte aber nie auf, sich durch ihr vielfältiges Werk zu ranken, das vom Denkmal für die vergessenen Wissenschaftlerinnen im Hof der Hauptuni Wien bis zu Fotografie, Zeichnung, Installation reicht.

Heilpflanzen für Chirurgie. Gerade erst presste sie Blätter in farbige Beton-Platten für den Vorplatz der neuen Chirurgie-Abteilung am LKH Graz. Nicht irgendwelche Pflanzen, sondern Pflanzen, die sie in der Umgebung des Krankenhauses wild wachsen sah, allesamt mit heilender Wirkung. Als die Direktorin des neuen Wiener Dommuseums, Johanna Schwanberg, sie einlud, sich die Sammlung anzusehen, um einen Dialog mit sakraler Kunst einzugehen, zog es Andraschek ebenfalls zum Floralen, obwohl sie sich auch sehr für die ornamentierten syrischen Glasflaschen Rudolfs des Stifters begeistern konnte, „ein Wunder, dass sie erhalten blieben“.

Am Ende aber entschied sie sich für eine goldene, ebenfalls reich ornamentierte Monstranz in der Form eines Baumes: Die barocke „Wurzel-Jesse-Monstranz“, eine Leihgabe der Pfarre Pottenstein an der Triesting. Das Objekt ist ein echtes Spektakel: Aus einem liegenden Mann wächst ein Baum, der Stammbaum Christi mit Medaillons von zwölf jüdischen Königen, beginnend mit David. In der Mittelachse befindet sich das Sichtfenster für die gewandelte Hostie, eine Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes auf dem Schoß, ganz oben ein mit Edelsteinen verziertes Kreuz, darunter die Taube, das Symbol des Heiligen Geists.

Der liegende Mann ist der berühmte Jesse, über den wir uns in den schönsten Weihnachtsliedern wundern, in „Maria durch ein Dornwald ging“, in „Es ist ein Ros' entsprungen“. Er ist der Vater von König David, lebte in Bethlehem, und sein Name bedeutet übersetzt „Geschenk Gottes“. Ein sehr spannendes Motiv, zeigt es doch eine Art Männergeburt, direkt aus dem Sonnengeflecht, wie Andraschek den Bereich des Bauches definiert, aus dem der Stamm der Monstranz wächst. Als eine Art Antwort auf all das hat Andraschek die Vitrine, in der die Monstranz ausgestellt ist, mit einem Porträt ihrer Tochter hinterlegt. Teile der Monstranz, die bei der Restaurierung zerlegt wurde, sind ebenfalls zu sehen, Schrauben, Ornamente, alles fliegt durch die Gegend, wie bei einer Explosion, meint die Künstlerin. Sie bezieht sich dabei auch auf die alttestamentarische Bibelstelle, in der die Wurzel Jesse vorkommt, in der es um eine Endzeitstimmung geht, in die ein Messias Frieden und Gerechtigkeit bringen wird. Auch heute, meint Andraschek, befinden wir uns in einer Zeit der Umbrüche, in einer Zeitenwende. Die Generation ihrer Tochter, unserer Kinder, wird in dieser wachsen müssen.

STECKBRIEF

Iris Andraschek wurde 1963 in Horn geboren. In den 1980er-Jahren studierte sie an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Maximilian Melcher, machte auch eine Ausbildung an der Freskoschule in Bozen.

Arbeiten im öffentlichen Raum, Auswahl: Erinnerungsort Turnertempel, 2011, mit Hubert Lobnig. „Der Muse reicht's“, Frauen-Schatten in der Pflasterung des Arkadenhofs der Hauptuni Wien zur Erinnerung an die vergessenen Wissenschaftlerinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2017)

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