Klimt bis Doujak: Zwischen ideal und haarig

Die erste der zeitgenössischen Interventionen, die zukünftig im Carlone-Saal stattfinden: Ines Doujaks Skulptur „Hera“ zupft sich gerade sehr entspannt ein Barthaar aus. Gatte Zeus weilt derweil wohl in anderen Gefilden, vielleicht bei den idealen barocken Schönheiten an der Decke.
Die erste der zeitgenössischen Interventionen, die zukünftig im Carlone-Saal stattfinden: Ines Doujaks Skulptur „Hera“ zupft sich gerade sehr entspannt ein Barthaar aus. Gatte Zeus weilt derweil wohl in anderen Gefilden, vielleicht bei den idealen barocken Schönheiten an der Decke.(c) Belvedere, Johannes Stoll
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Oberes Belvedere. Die neue Dauerausstellung beschert dem „Kuss“ unbequeme Beobachterinnen. Der Sammlung insgesamt aber zu wenig Platz.

Zu jeder neuen Museumsdirektion scheint ein neues Corporate Design zu gehören, das Belvedere hat jetzt auch wieder eines, der alte rote Balken mit weißer Namensschrift wurde durch einen weißen Balken mit roter Schrift ersetzt, es wird also heller, kühler, wenn man so will. Das zieht sich tendenziell auch durch die Neuaufstellung der Sammlung, die alles andere als nur kosmetisch verändert wurde, handelt es sich dabei doch um das ideologische Herzstück des Museums. Denn was man von den Tausenden Werken – das Belvedere hat 15.000 Werke von Mittelalter bis Gegenwart, österreichisch, aber auch international – aussucht oder eben nicht, ist politisch zu verstehen.

Gustav Klimts „Kuss“ (1908/09) hat sich auch Direktorin Stella Rollig nicht ins Depot zu verbannen getraut. So spannende Gesellschaft aber hatte er noch nie: Erlöst aus seinem schummrigen Juwelendasein auf schwarzer Wand, weit über den Köpfen der Besucher, hängt er jetzt im anderen Schlossflügel auf nüchternem Weiß, wie ihn auch die Sezessionisten gehängt hätten. Auf dieses Symbol der ewigen Liebe blickt von den gegenüberliegenden Wänden nicht nur das Klimt-Porträt der Sonja Knips, Sinnbild einer unglücklichen Ehe in wolkigem Rosarot. Auch die geisterhaften grauen „Schwestern Fey“ (1905) des Wiener Ausnahmemalers Richard Gerstl haben hier Platz genommen – ein anderes, völlig Konträres repräsentierendes Hauptwerk des Belvedere. Gerstl hat Klimt gehasst. Klimt wusste vielleicht nicht einmal, wer der wilde Zeitgenosse war, der den abstrakten Expressionismus vorausmalte, während Klimt sich in seine goldene Phase stürzte. 1908 nahm Gerstl sich das Leben.

Da war Elena Luksch-Makowsky schon nach Hamburg gezogen. Davor war diese Malerin das erste weibliche Mitglied von Klimts Secession. Dass diese weitgehend Unbekannte jetzt gerade mit einem Antibild stereotyper Mutterliebe gegenüber von Klimts paternalistischer Umarmung hängt, ist ein Grund, diese Neuaufstellung zu feiern.

Zehn Monate arbeiteten Rollig und ihr Kuratorenteam an der Mischung von Themenräumen und chronologischer Hängung, einzelne Künstlerräume gibt es, bis auf den sehr klug gewählten Wien-um-1900-Klischee-Konter „Family of Austrians“ des deutschen Konzeptkünstlers Christian Philipp Müller, nicht mehr. Dieses zugegeben sehr didaktische Konzept wirkt zwar manchmal arg konstruiert, wenn man etwa Hundertwassers „Großen Weg“ im Biedermeier findet, geht aber erstaunlich oft, teils auch beglückend auf. Gerade die teils wild durch die Zeit galoppierenden Themenräume machen Spaß, die Geschichte der Habsburger im Schnellverfahren etwa oder die Frage: „Gibt es ein österreichisches Barock?“, u. a. mit Erwin Wurms „Fettem Haus“ in der ehemaligen Bildergalerie des Sommerschlosses, wo bisher die Klimts zu finden waren. Hierher sind auch Messerschmidts „Charakterköpfe“ „gerollt“, in einen Erkerraum, in dem sie sich vergleichsweise frei bewegen können, unregelmäßig und auf Augenhöhe, wie eine Menschengruppe, auf Stelen platziert.

Eigener Raum für die Künstler im Exil

Gewohnheitstiere werden sich jedenfalls schwer tun mit dieser Neukonzeption, außer dem Mittelalter im Erdgeschoß blieb nichts am selben Platz. Ein Raum zu den „österreichischen Künstlern im Exil“, kombiniert mit einer zerstückelten schwarzen Puppe von Manfred Erjautz, war allerdings bitter nötig. Der Raum, in dem die Bilder Klimt und Schieles zusammenkommen, die sich um Existenzielles, um Eros und Thanatos drehen, wühlt einen emotional nachgerade auf.

Die dichte Hängung hier verstärkt das, ist aber hart an der Grenze. Womit wir beim größten Nachteil dieser Neuhängung wären: Sie hat zu wenig Platz. Präsentierte Agnes Husslein bei ihrer Neuaufstellung 2011 noch 544 Werke, sind es diesmal über 100 weniger. Und diese müssen sich drängen. Rollig ging mit dem Platz verschwenderisch um, vor allem im Erdgeschoß, wo sich zwei ganze Räume mit der Geschichte des Schloss Belvedere samt Institution beschäftigen. Ein anderer Raum wird zum Kinderatelier umgewidmet. Zwei weitere wurden für die bisher vazierenden „Fokus“-Ausstellungen reserviert. Im üppig freskierten Carlone-Saal, bisher Teil der Mittelalter-Präsentation, haben ab jetzt auch die zeitgenössischen Interventionen einen Fixplatz.

Ob sich dieses Korsett bewährt? Mit einem solchen hat Ines Doujaks Hera-Skulptur, die diese Zeitgenossen-Reihe beginnt, nichts am Hut. Wir beobachten die Gattin des Zeus (siehe Abbildung) in einem sehr intimen kosmetischen Moment. Und die barocken Schönheiten an der Decke tun so, als wüssten sie von diesen Sorgen nichts. Irgendwo dazwischen, zwischen ideal und haarig, spielt sich die Realität nun einmal ab.

Oberes Belvedere, täglich 9–18 Uhr, Fr. 9–21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2018)

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