Ausstellung: Aus Wüste und Schnee nach Israel

Sie gehörten zu den ersten Pionieren: Eine junge Familie kommt in einem Ma’abarot in Haifa an – so nannte man die israelischen Aufnahmelager der Fünfzigerjahre.
Sie gehörten zu den ersten Pionieren: Eine junge Familie kommt in einem Ma’abarot in Haifa an – so nannte man die israelischen Aufnahmelager der Fünfzigerjahre.(c) Leni Sonnenfeld
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„70 Jahre Israel“ in Wien zeigt, wie jüdische Einwanderer von Shanghai bis Bagdad in Israel eine Heimat fanden. Das böte schönes Material für österreichische Schulen – nur: Das Wort Palästinenser kommt darin nicht vor.

Sie machen Alija, sagen Juden, die nach Israel einwandern – das heißt eigentlich: Sie steigen auf. Schon in der Bibel hieß die Rückkehr aus dem babylonischen Exil Alija, Aufstieg; und bis heute werden jüdische Auswanderer aus Israel Jordim, Absteigende, genannt, und Einwanderer Olim, Aufsteigende.

Vor allem von diesen Menschen erzählt jetzt eine Ausstellung in Wien über den Aufstieg des heuer 70 Jahre alten Staats Israel. „70 Jahre Israel“, zu sehen im Rabensteig 3, hat die IKG direkt aus Israel übernommen – aus dem Beit Hatfutsot, dem Museum des jüdischen Volkes in Tel Aviv. Trotz der teilweise so großen Anfangsmühen, von denen die Schau auch erzählt, ist sie eine Festgeschichte – halb Geschichte, halb Mythos. Zum Teil wundervolle Schwarz-Weiß-Fotografien finden sich auf Tafeln mit Zeitzeugenerinnerungen und knappen, anschaulichen historischen Informationen auf Englisch und Deutsch: vor allem über die großen Einwandererströme aus aller Welt, von Shanghai bis Bagdad. Die Inhalte sind anregend gewählt und kombiniert, mit sichtlich pädagogischer Stoßrichtung – die Präsentation leider völlig einfallslos.

Der Sohn trägt den Vater auf den Armen

Immerhin, auch wenn die Fotografien hier nicht den Rahmen und Raum bekommen, den sie verdienen: Sie laden im Verein mit den Textchen dazu ein, sie weiter auszufüttern – allein oder im Schulunterricht, mit Fakten und Fantasie. Ein Sohn hält im Schnee seinen dick in einen Mantel gewickelten Vater auf dem Arm, als wäre er ein Kind – was für ein Anblick! Wir befinden uns im Jahr 1987, der Vater ist gerade aus einem russischen Gefängnis entlassen worden, wo er wegen seiner zionistischen Aktivitäten inhaftiert war. Heute lebt er in Jerusalem.

Ganz klein wirkt ein marokkanischer Jude neben der riesigen Holzkiste, mit der er 1949 oder 1950 ins Transitlager Grand Arénas in Marseille gekommen ist; es wurde eigens für nordafrikanische Juden eingerichtet. Auf einem anderen Bild stapeln sich israelische Kisten mit der Aufschrift Jaffa – ein Ortsname, eine Verheißung. Unter dem Namen der seit der Antike bekannten Hafenstadt, des Ursprungs von Tel Aviv, wurden die israelischen Zitrusfrüchte in aller Welt bekannt und bescherten den Einwanderern Arbeitsplätze. Juden in äthiopischer Tracht sind auch zu sehen, sie wurden während der Hungersnot in der sogenannten Operation Moses über den Sudan und Europa nach Israel gebracht. Dort bekamen sie die Tembel-Hüte aufgesetzt – ein scherzhafter Ausdruck, der eigentlich „Narrenkappe“ bedeutet, aber ein Symbol für die israelischen Pioniere war.

Eine gebürtige Polin erzählt, wie sie in Israel 1966 Lehrerin im staatlichen Alphabetisierungsprogramm wurde: „Viele Männer wollten nicht zugeben, dass sie nicht lesen und schreiben konnten, und sie wollten nicht, dass ihre Frauen diese Fertigkeiten beherrschen. Die Frauen dagegen wollten unbedingt lernen. Wir sind zu ihnen nach Hause gekommen, wenn ihre Familien nicht da waren, und haben ihnen Hebräisch beigebracht.“ Auswanderungswillige russische Juden sind auf einem Foto bei einer Hebräischstunde in der Moskauer Synagoge zu sehen, 1990. Ein Jahr später sollten mit dem Fall der Sowjetunion auch alle Ausreisebeschränkungen fallen.

„Celebrating Israel“ heißt die Schau im Original. Sie ist eine Geschichte von Aufbau und Aufstieg. Der Holocaust bleibt hier im Hintergrund, wie die Diskriminierung überhaupt, die die Neueinwanderer vor ihrer Auswanderung erlebten. Nicht nur im Hintergrund, sondern tatsächlich völlig ausgespart ist die Geschichte jener arabischen Palästinenser, die im Zuge der Staatsgründung aus Israel vertrieben wurden.

Gut für Wiens multikulturelle Schulen?

Da fragt man sich doch, was die multikulturellen Wiener Schulen, als Zielgruppe eigentlich prädestiniert, mit der anregenden, doch so einseitigen Schau anfangen werden. Wie werden die Reaktionen der Jugendlichen sein, wenn Geschichtslehrer mit ihnen zu „Celebrating Israel“ gehen? Wie werden die Lehrer begründen, dass die „Nakba“ völlig unerwähnt bleibt – die Katastrophe, als die so viele Muslime die Gründung Israels vor 70 Jahren sehen?

Ein gemeinsames israelisch-palästinensisches Ausstellungsprojekt - das wäre ein Zeichen gewesen.

SCHAU UND JÜDISCHES FESTIVAL

„70 Jahre Israel“ ist noch bis 18. 6. im Simon Wiesenthal Center zu sehen: Rabensteig 3, 1010 Wien (werktags von 10–18 Uhr).

Das Festival der jüdischen Kultur in Wien läuft bis 17. Juni. Am 5. 6. ist das orthodoxe Ehepaar als Duo „Yonina“ im Theater am Spittelberg zu hören. 7. 6.: Szenische Lesung „Theodor Herzl – was daraus wurde“ mit Erwin Steinhauer und Katharina Stemberger. 17. 6.: Die Schauspielerin und Soulsängerin Ester Rada tritt im Musikverein auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2018)

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