Architektur

Alle lieben Otto: Von der Post zur Postmoderne

Lichte Ikone: Otto Wagners Kassensaal, er soll öffentlich zugänglich bleiben, so die Signa-Holding.
Lichte Ikone: Otto Wagners Kassensaal, er soll öffentlich zugänglich bleiben, so die Signa-Holding.(c) Hagen Stier
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„Post Otto Wagner“ ist eine gewaltig informative Schau im Wiener MAK, die im 100. Todesjahr Wagners nicht nur sein Wirken, sondern auch seine Wirkung erklärt. Hier muss man arbeiten, es folgt aber Erkenntnis.

Tausende Eindrücke trägt man in sich, Tausende Querverbindungen, Fliesenmuster, Fassadenornamente, Sesselmodelle, Baupläne und nicht zuletzt das große Staunen, immer wieder dieses Staunen, wenn man in der denkmalgeschützten Kassenhalle von Otto Wagners Postsparkasse (mittlerweile in Obhut der „Signa Holding“) steht. Diese lichte Ikone der frühen Moderne konnte im 100. Todesjahr des großen Wiener Architekten als temporäre Außenstelle des nahen MAK gewonnen werden, mit eigener kleiner Ausstellung im wiedereröffneten Wagner:Werk. Ein Kleinod. Im MAK aber zeigt eine fast unbewältigbar gewaltige Jubiläumsausstellung, wohin es so ging mit dem Bauen nach Otto. Post Otto. „Post Otto Wagner“, wie der Titel immer noch genial heißt.


Man eilt also über die gläsernen Bodenfliesen des Kassensaals, vorbei an den verspielt-funktionalen Aluwarmluftröhren, an den berühmten Fassadenplatten, die so dekorativ von Eisennägeln gehalten werden, vorbei an einer Huldigung an Kaiser Franz Josef, durch die hölzerne Drehtür hinaus, die breiten Stufen hinunter, in Richtung Donaukanal. Was wurde einem hier gerade nur alles erklärt? Mit über 600 Exponaten? Dass Wagners Einfluss bis zur Architektur-Postmoderne der 1980er reicht, ja bis ins Heute? Vor einem erscheint das Geländer zum Kanal. Man sieht es als Wiener nicht mehr, dieses Wagner-Grün, das eigentlich ein Beige war, wie man unlängst lernte. Jetzt, nach dieser Ausstellung nimmt man die Gestaltung wieder wahr – die doppelten Kränze, streng und verspielt zugleich. Der Blick wandert darüber hinaus, am anderen Donaukanalufer erheben sich die Glaspaläste, hier ein schwungvolles Dächlein, dort ein Erker. Das ist Wien, gern doublebind, Tradition und Moderne verbindend.

„Dem Technischen Würde verleihen“

Manchen mag das zu wenig radikal sein. Menschlich ist es. Und um menschliche Bedürfnisse drehen sich laut Wagner auch seine Entwürfe. Seine Wohn- und Geschäftsbauten, seine Generalpläne zur „Großstadt“, zu Museumsquartieren, seine Verkehrspläne – alles sollte dem modernen Leben ein ansprechendes Umfeld verleihen. Wie der wohl ewig beste Wien-um-1900-Exeget Carl Schorske es formulierte: Wagner verlieh „dem Technischen Würde“. Die Vereinigung von Ingenieurskunst und Baukunst wird ihm zugeschrieben. Denn nur Ingenieurskunst galt ihm als wenig dienlich: „Die Sprache des Ingenieurs ist für den Menschen unsympathisch“, meinte er. Die Behübschung lag ihm dennoch fern – etwas Unpraktisches kann nie schön sein, schrieb er. Seine Lösung war der „Nutz-Stil“, aber eben mit Stil. So schaffte er es, dass sowohl Josef Hoffmann ihn schätzte, dieser Gesamtkunstgewerbler des Wiener Jugendstils, als auch dessen Widersacher, Adolf Loos. Man könnte in Tränen ausbrechen, schrieb dieser Wagner zum 70er, wenn man die Wagner-Entwürfe durchsieht, die nicht gebaut worden sind.


Vieles aber wurde gebaut. Sehr vieles, Wagner prägte Wien wie kein anderer Architekt. Das wird einem bewusst in dieser Ausstellung im großen MAK-Saal. Er prägte auch die zweite starke Architektengeneration der Stadt, die Postmodernen der 1980er-Jahre, seine Ururenkel in etwa. Nicht zufällig wurde Wagner von dieser Generation wiederentdeckt. Auch sie hatte, wie er, Visionen der Großstadt. Die Modelle dafür hat Kurator Sebastian Hackenschmidt, der sich von Iris Meder und ?kos Moravánszky unterstützen ließ, hier nebeneinandergestellt: komprimierte futuristisch-technoide Stadtobjekte von Walter Pichler und Hans Hollein. Die rasterhaften Zellenkonglomerate Wagners hatten immerhin Teiche vorgesehen.
Es macht Spaß, die Wagnerschen Thesen auf ihre heutige Bedeutung hin zu überprüfen. Bunte Keramik an den Fassaden etwa, also „sprechende“ Fassaden-Vorhänge. Glasziegel zur Beleuchtung. Oder die Verwendung technischer Formen zur Dekoration wie die hübschen Aluluftröhren der Postsparkasse, die sofort an ein Geburtstagskind einen Stock darüber denken lassen, an Gustav Peichls ORF-Zentren.

Wagner musste Dollfuß weichen

Hackenschmidt hat diesen ganzen Wust in drei Kapitel eingeteilt – Dimensionen, Formen, Material. In denen muss man sich mit einem eigenen Plan und Begleitheft erst zurechtfinden. Am Anfang ist es eine Qual. Hat man sich erst an die Überforderung gewöhnt, ist man bereit mitzuschwingen von einer Idee zur nächsten. Arbeiten muss man zwar selber hier. Am Ende ist es aber lockerer als gedacht, lernt man hier viel (dass Hoffmanns Wagner-Denkmal am Heldenplatz 1936 etwa einem Dollfuß-Denkmal von Holzmeister weichen musste). Wird einem der Blick sensibilisiert auf Wagner und seinen Einfluss – und den seiner fast 200 Akademieschüler, die u. a. in Tschechien einen Nationalstil prägten. Am Ende (und am Anfang) steht man dem alten, so streng wirkenden Wiener Zinshaus-Makart mit dem markanten Spitzbart Aug in Aug gegenüber. Elke Krystufek schuf mehrere Porträts und Detailbilder im Vorfeld der Ausstellung, umwabert u. a. von teils ironischen Viennensia: „Muss ich denn sterben, um zu verdienen?“ Zumindest Wagner hat das jedenfalls schon zu Lebzeiten getan.

MAK, bis 30. 9., Di 10–22 Uhr, Mi–So 10–18 Uhr. Wagner:Werk, G.-Coch-Platz, Mo–Fr 10–17.30, Eintritt frei.

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