Jüdisches Museum

Der Ort, an dem man sein muss(te): Der Salon

Hilde Spiel (porträtiert von Lisl Salzer) schrieb eine Biografie der Salonière Fanny von Arnstein.
Hilde Spiel (porträtiert von Lisl Salzer) schrieb eine Biografie der Salonière Fanny von Arnstein.(c) Slg. M.-Th. Arnbom
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Muse, Salonfeministin, Diplomatin – erstmals beschäftigt sich eine eigene Ausstellung mit dem „sozialen Phänomen“ des intellektuellen Wiener Salons samt seiner Salonière. Was ist mit dieser Tradition geschehen?

Er ist ein mythischer Ort, die Keimzelle der seltenen, immer nur kurz anhaltenden Wiener Blütezeiten, in denen „Besitz und Bildung“ sich vereint haben, wie der Vorzeigeexeget des Phänomens „Wien um 1900“, der US-Historiker Carl E. Schorske, es formuliert hat: der Wiener Salon.

Den es ohne die Wiener Salonière nicht gegeben hätte. Diesem Phänomen, das auffallend oft, jedenfalls vom relevanten Beginn an ein jüdisches war, widmet das Wiener Jüdische Museum jetzt erstmals eine eigene Ausstellung. Bemerkenswert ist sie, und nachdenklich macht sie. Denn je größer die Legende, der vermeintliche Glanz des Vergangenen, desto schäbiger wirkt die Gegenwart.

Gibt es heute noch derartige „Salons“, in denen regelmäßig die Spitzen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst zusammenkommen? Wo versteckt sich dieser „the place to be“, wie die Ausstellung sich verheißungsvoll nennt. Das gesamte kuratorische Team des Museums hat sie übrigens erarbeitet. Und dennoch nicht viele dieser „places to be“ im Heute aufgespürt, musste Direktorin Danielle Spera feststellen. Nur zwei dieser privaten bzw. halb privaten Gastgeber ließen sich auch noch filmen, man lernt dabei: Die heutige Wiener Salonière ist Salonier und Engländer, nämlich britischer Botschafter in Wien. So weit zum Nationalstolz.

Erster legendärer Salon unter Joseph II.

Und zum Klischee. Denn der Ursprung des (intellektuellen) Wiener Salons war preußisch. Er wurde von der 1758 in Berlin geborenen, nach Wien verheirateten Fanny von Arnstein in den ersten Regierungsjahren Josephs II. eingeführt, also in einer Zeit des Aufbruchs nach Maria Theresia, mit der auch Antisemitismus, Prüderie, Zensur geherrscht haben. In Arnsteins Salon aber traf sich die Welt, vor allem während des Wiener Kongresses. Hier kamen ohne Standesunterschiede Politik, Geld, Kunst zusammen. Vorbild dafür war eine Pariser Tradition, die in Berlin und Wien etwa gleichzeitig aufgegriffen wurde, vor allem von jüdischen Kreisen, die damals mehr und mehr Rechte erhielten. Hier befand man sich sozusagen auf neutralem Boden mit dem nötigen prächtigen Rahmen von Geld, Geschmack, Geist und Witz. Was einerseits zu gehässigen Kommentaren führte. So wurde Fanny von Arnstein als „schöne Hebräerin“ bezeichnet, vor deren „Bundeslade“ die jungen Wiener Kavaliere knieten. Andererseits sah man sie als „interessanteste Frau Europas“. Das würde man auch heute gern tun. Aber: „Sie war es keineswegs. Sie stand nur sichtbar an der Stelle, wo Europa am interessantesten war. Unter den Heroinen der Emanzipation war sie lediglich die erste, nicht die klügste. Sie war ein soziales Phänomen, das allein durch seine Ausstrahlung wirkte“, schrieb die Wiener Schriftstellerin Hilde Spiel in ihrer großartigen Arnstein-Biografie von 1962.

Mit einem Video der über ihre minutiöse biografische Aufarbeitung erzählenden Hilde Spiel beginnt diese Ausstellung zu Recht. Dieses Buch war ein Game Changer, würde man heute sagen. Mit ihm begann die Darstellung der Ambivalenz der Wiener Salonièren, die sich bis zum Ende dieser Tradition, bis zu Berta Zuckerkandls Reformsalon im Wien um 1900 durchzieht. Es ist Forscherinnen wie Spiel zu verdanken, dass die Salonière nicht nur als Gesellschaftsdame dasteht, die etwa, so die populärste Arnstein-Anekdote, den Christbaum nach Wien brachte. Auch nicht als verhuschte Intellektuelle. Schon gar nicht als Muse. Auch nicht als Emanze. Sondern vor allem als Diplomatin, wie es Zuckerkandl tatsächlich war, die mit der Familie des französischen Premierministers Clemenceau verschwägert war. So gesehen ist der britische Botschafter tatsächlich ein würdiger Nachfolger.

Ein Ort der gesellschaftlichen Visionen

Jeder Salon aber – war er auch noch so auf eine Kunstgattung ausgerichtet – war auch Hort des Zeitgeists, von liberalem, aufklärerischem bzw. lebensreformerischem Gedankengut. Also ein Ort der Visionen. Die Ausstellung nennt noch die Salons von Josephine von Wertheimstein oder Eugenie Schwarzwald, zeigt zum Teil vollständige Interieurs, bei deren Schwere es einem eng wird. Der Glamour dieser Salons, wenn sie einen hatten (es gibt absurd wenige Berichte darüber, was tatsächlich in ihnen stattfand), bestand sichtlich aus dem Glanz der Geister.

Wenn diese nicht zugegen waren, wurde es sowieso eher entrisch, wie die Pariser Literatin Madame de Staël die durch drei, vier Salons pro Woche flotierende Wiener Gesellschaft um 1800 laut Spiel beschrieb: „Es ist unmöglich, in diesen zahlreichen Versammlungen irgendetwas zu hören, was sich über konventionelle Phrasen erhebt.“ Im Kopf bleibe nichts als Lärm oder Leere zurück. Die Bosheit, so Spiel, habe Madame de Staël allerdings bei dieser Beschreibung der Wiener Society vergessen. Denn: „Damals wie heute ersetzte in ihr die Malice den Esprit.“ Das zumindest dürfte sich auch seit den 1960er-Jahren nicht geändert haben – wenn man der Theorie folgt, dass der Wiener Salon sich heute in die sozialen Medien verlagert hätte. Oder ins Fernsehstudio permanent ablaufender TV-Talks. Der Moderator, die Moderatorin als Salonière? Was dann nach Spiels Arnstein-Analyse nur den einen schrecklichen Verdacht zulässt: Wien, nein Europa ist heute nicht mehr die Stelle, an der die Welt am interessantesten ist.

„The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipation“, bis 14. Oktober, Sonntag–Freitag: 10–18 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)

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