MUMOK: Klaviere und E-Gitarren als Opfer der Kunst

Zu „professionellem Dilettantismus als künstlerischem Konzept“ bekannten sich Les Reines Prochaines (mit Pipilotti Rist). Hier 1989 bei einem Konzert zum Frauentag, unter dem Motto „Das zornige Lamm“.
Zu „professionellem Dilettantismus als künstlerischem Konzept“ bekannten sich Les Reines Prochaines (mit Pipilotti Rist). Hier 1989 bei einem Konzert zum Frauentag, unter dem Motto „Das zornige Lamm“.(c) Gaspard Weissheimer / MUMOK
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Im Pop haben Kunststudenten oft mehr bewegt als ihre Kollegen an den Musikinstituten. Das könnte ein Thema der Ausstellung "Doppelleben" sein. Immerhin kann man dort auch lachen, über John Cage zum Beispiel.

In der wunderbar rumpelkammerlichen Big-Hits-Ausstellung „55 Dates“ im dritten Untergeschoß des Mumok steht derzeit auch das „Klavier Intégral“ von Nam June Paik: ein mit Eierschalen, einem Wecker, einem BH, Stacheldraht, einer Beethoven-Ansichtskarte und anderen Gegenständen bestücktes, arg zerkratztes Piano. Es ist ein Relikt von Paiks erster Einzelausstellung, 1963 in Wuppertal: Heute hat es die Aura des Unberührbaren – verstärkt durch ein entsprechendes Verbotsschild –, damals konnten die Besucher sich an ihm frei betätigen, und beim Eröffnungsabend zerstörte Joseph Beuys ein anderes Klavier.

Es war nicht das erste (und nicht das letzte) Klavier, das der Kunst geopfert wurde. 1959, bei der „ersten nummer“ des zweiten „literarischen cabarets“, fuhren Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm mit einem Motorroller auf die Bühne, setzten Fechtmasken auf und zertrümmerten mit Hacken einen Konzertflügel. Auch Fotos dieser Aktion hängen in den „55 Dates“.

Fünf Mumok-Geschoße darüber, im zweiten Stock, in der Ausstellung „Doppelleben“, läuft ein Video mit Gerhard Rühm: Er singt das Lied „Die Mutter hat das Fleisch“, das ein wenig an die seltsamen Gesänge Georg Kreislers erinnert, und wie dieser begleitet er sich selbst recht konventionell am Klavier. Das auch intakt bleibt.

Rühm und die radikale Mystik

Für ein weiteres Video hat Rühm sein „eintonstück“ aus dem Jahr 1952 neu eingespielt: Man sieht und hört ihn den Tona spielen, in allen Tonhöhen, unterschiedlich rhythmisiert. Er habe sich damals mit „radikaler Mystik“ befasst, sagt er, habe in der Konzentration auf einen Ton das „Tao der Musik“ versinnbildlicht gesehen.

Radikale Mystik (bzw. Mystik des Radikalen), seltsame Gesänge, Zerstörung (von Objekten, aber vor allem von Formen): Ein Großteil der Beiträge von bildnerischen Künstlern zur Musik fällt in diese drei Kategorien. Damit haben sie Teile der modernen E-Musik inspiriert und vor allem die avancierte Popmusik maßgeblich geprägt, mit ein wenig Lust an der Übertreibung kann man sagen: In dieser haben Kunststudenten und -dozenten mehr vorangetrieben als ihre Kollegen von den Musikinstituten. Gerade weil es ihnen an Virtuosität, an Musikantentum gemangelt, und weil sie die radikale Pose gewagt haben. Nur drei Beispiele aus den Sixties: John Lennon, Keith Richards, Pete Townshend – alles Kunststudenten.

Am Ealing Art College hörte Townshend auch Vorlesungen von Gustav Metzger, der 1960 das Manifest der autodestruktiven Kunst verfasst hatte. Und er setzte das in die Bühnenpraxis seiner Band The Who um, indem er zwar keine Klaviere zerstörte, aber E-Gitarren: Die grandiose Wut, die bis heute aus Songs wie „My Generation“ oder „I'm a Boy“ dringt, wurde dadurch noch glaubhafter. Als Michelangelo Antonioni seinen Film „Blow Up“ (1966) drehte, wollte er, dass The Who mit einer stilvollen Gitarrenzertrümmerung vorkommen, doch sie verlangten zu viel. Also verpflichtete er die Yardbirds, deren Gitarrist, Jeff Beck, musste ein Instrument zerstören, was er angeblich sehr ungern tat.

Das sieht man der Filmszene nicht an, dafür zeigt sie, wie mythische Aufladung eines Objekts funktioniert. Sie war zentral in „Go Johnny Go“, einer fantastischen Ausstellung über „Kunst & Mythos“ der E-Gitarre, 2003 in der Kunsthalle Wien.

Ihr kommt „Doppelleben“ nicht gleich. Diese Schau, die im Wesentlichen aus Videowänden und von der Decke baumelnden Kopfhörern besteht, zeigt zu wenig und zu viel, sie hat keine umfassende These, es sei denn die Trivialität, dass viele Künstler eben in mehreren Genres tätig sind. Allen voran natürlich John Cage, der in einer Szene aus der TV-Gameshow(!) „I've Got a Secret“ (1959) gezeigt wird. Der leutselige Moderator stellt ihn vor und sagt: „He takes it seriously, I think it's interesting. If you are amused, you can laugh.“ Und tatsächlich: Cage entlockt diversen Haushaltsgeräten diverse Töne, nach strenger Partitur natürlich, das Publikum lacht herzlich über den Slapstick (der es ja auch ist), und plötzlich ist die ganze abgehobene Avantgarde-Aura verdampft. Cage mochte das sichtlich.

Markus Oehlen, cool gemustert

Bestaunen kann man z. B. auch den herrlich ungewaschenen Beat von Captain Beefheart (am Strand von Cannes!), einen sehr entrückten Hermann Nitsch an der Orgel und das in Disco-Overalls erstaunlich affig aussehende Lärm-und-Verderben-Duo Suicide. Deutlich stilvoller: Markus Oehlen in barock-psychedelisch gemustertem Anzug vor ebenso gemusterter Tapete. Sonst geben sich just die bildnerischen Künstler oft auffällig wenig Mühe, was die Bühnenoutfits anbelangt, auch das ist natürlich Konzept . . .

Die Kunst-Pop-Grenzgänger aus der Postpunk-Zeit – Tödliche Doris, Geniale Dilletanten (sic!) usw. – hat man in letzter Zeit ja in etlichen Ausstellungen sehen können, irgendwie verlieren sie in musealisierter Form den Reiz, den sie einst bei Vernissagen oder als Mitternachtseinlage bei Artschool-Partys hatten. Das gilt nicht für Peter Weibels Hotel Morphila Orchestra, das Video zu „Dead in the Head“ muss man sehen: Allein wie er am Anfang mit dem Mikro auf seinen Kopf schlägt, was für ein Showman!

Und wer's noch immer nicht kennt: Wie Laibach in „Geburt einer Nation“ die totalitäre Pose eines Queen-Songs („One Vision“) kenntlich machen, ist zwar alt, aber groß. Dazu sollte man die ebenso entlarvende Laibach-Version von „Live Is Life“ stellen, schon aus patriotischen Gründen.

„Doppelleben. Bildende Künstler?innen machen Musik“, Mumok, bis 11. November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2018)

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