Das Problem mit der Beutekunst

Einblick in die Sammlung Benin und Äthiopien des Wiener Weltmuseums.
Einblick in die Sammlung Benin und Äthiopien des Wiener Weltmuseums. (c) KHM Museumsverband
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Sollen fragwürdige Objekte aus „Weltmuseen“ restituiert werden? In Frankreich wird das aktiv angegangen. In Salzburg stellte jetzt die Ex-Direktorin des Weltmuseums Frankfurt ihre Sicht dar – die Objekte aus den Sammlungen verkaufen.

Vor Kurzem kündigte der französische Staatspräsident, Emmanuel Macron, an, Beutekunst aus Afrika zurückzugeben. Jetzt geht eine ehemalige Museumsdirektorin aus Deutschland noch einen Schritt weiter: Auf dem Symposium zu „Beispielen eines transkulturellen Austauschs“ der Sommerakademie Salzburg schlug Clémentine Deliss vor, Objekte aus den Beständen von Ethnologischen Museen zu veräußern.

Deliss leitete fünf Jahre lang das Weltkulturen Museum in Frankfurt, hatte dort ein „Labor“ eingerichtet und zeitgenössische Künstler für experimentelle Blicke auf die Sammlungen eingeladen. Sie weiß um die dringend notwendige Veränderung dieses Museumstyps, der von Stagnation geprägt sei. Mit ihrem radikalen Vorschlag könne sie die Sammlung in Bewegung bringen und manches sogar durch Verkäufe „aus der Festung des Depots freilassen“, meinte sie.

Bedingungslose Rückgabe? Ihr kontroversielles Modell hatte 2015 zu ihrer Entlassung und einem Gerichtsfall gegen die Stadt Frankfurt geführt, den sie gewann. Jetzt grätscht sie in die Restitutionsdebatte um koloniale Raubkunst hinein. „Man kann nicht warten, bis die Restitution erledigt ist“, es brauche andere Konzepte. Schon seit Jahren wird die Forderung nach einer bedingungslosen Rückgabe afrikanischer Kultobjekte diskutiert.

Eine neue Aktualität erhält das Thema gerade durch die „Mission Macron“. Der französische Staatspräsident hatte im November 2017 an der Universität von Ouagadougou in Burkina Faso verkündet: „Das afrikanische Erbe muss in Paris gewürdigt werden – aber auch in Dakar, in Lagos, in Cotonou. Ich möchte, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre die Voraussetzungen für zeitweilige oder dauerhafte Restitutionen des afrikanischen Erbes an Afrika geschaffen werden.“ Diese Ansage ist natürlich verbunden mit Macrons Interesse am Wieder- bzw. Neubeleben wirtschaftlicher Verbindungen mit Afrika. Aber es öffnet auch die Büchse der Pandora: Wie kann die Hürde des aktuellen Gesetzes genommen werden, die ähnlich für die meisten europäischen Museen gilt: Museumssammlungen sind Staatseigentum und unterliegen den Prinzipien „der Unveräußerlichkeit, der Unverjährbarkeit und der Unpfändbarkeit“. Auch Staatsoberhäupter können darüber nicht verfügen.

An wen restituieren? An wen kann überhaupt restituiert werden, wenn die Gesellschaften so nicht mehr existieren und es oft keine Museen gibt – an heutige Herrscher? „Restitutionen im großen Stil, wie sie Macron vorschweben, stellen eine ungeheure Herausforderung für unsere Museen dar. Fragen der Provenienz müssen geklärt werden, damit Sammlungen oder auch Einzelobjekte an die richtige Stelle zurückkehren. Für solche Forschungen sind unsere Museen nicht einmal ansatzweise gut genug ausgestattet“, erklärt dazu Claudia Augustat, Kuratorin am Weltmuseum Wien.

Zur Sondierung der Restitutionen engagierte Macron den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr und die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Sie reisen jetzt mit einer Inventarliste von 70.000 Objekten zu Museumsleuten und Ministerialbeamten in Benin, Mali, Kamerun und Senegal. Denn die Objekte müssen von den Herkunftsländern zurückverlangt werden, bevor der Restitutionsprozess starten kann. Aber wie können Objekte in Afrika wieder eingebaut werden, die einst heilig, heute aber vergessen sind? Immer wieder seien ihre Gesprächspartner überrascht über die Menge der Schätze, die ihnen gar nicht bekannt waren. Und in wessen Besitz gelangen die Kunstwerke schlussendlich? Zumindest die letzte Frage ist schon vorab klar: Man kann die Wege nicht kontrollieren, einiges wird sicherlich im Handel landen.

Soll Kunsthandel gefüttert werden? Soll also laut Deliss der Handel noch dazu mit Werken aus den Museumsdepots gefüttert werden? Nein, im Gegenteil. Sie versteht ihren Vorschlag als ein konzeptuelles Denkmodell. Es werfe die Frage auf, was bei Verkäufen passieren würde – entstünden möglicherweise unerwartete Neubewertungen? Das geschah etwa vor einigen Jahren, als sich Scheich Al Thani aus Katar für historische Fischerei-Objekte interessierte und das sofort den internationalen Auktionshandel befeuerte.

Ethnologische Museen haben eine riesige Sammlung von Alltagsdingen wie Werkzeuge, Körbe oder Kleidung. Als wertvoll allerdings gelten jene Schätze, die „das Unbewusste, das Unbekannte am meisten darstellen können, und das sind die sogenannten Fetische, Masken, Ritualobjekte. Auf dem Markt erzielen jene die höchsten Preise, die am meisten benutzt wurden und Spuren von Blut oder Sperma aufweisen. Das sind übrigens zugleich die Objekte, von denen man heute sagt, dass sie Mikrobiome enthalten, die pandemische Krankheiten auslösen können, weswegen sie unzugänglich aufbewahrt werden“, erklärt Deliss.

„Es geht nicht, dass die Ethnologie das alleinige Recht auf die Interpretation dieser noch sequestrierten Objekte hat“, sagt Deliss. Sie fordert eine „Museumsuniversität“: eine eigene Architektur für eine zugängliche Schausammlung aus dem Depot, die transdisziplinäre und transkulturelle Forschung ermöglicht, „ob hier in Europa oder woanders“ – und damit auf Zusammenarbeit statt auf Besitz setzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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