Von richtigen Männern und süßen Robotern

Wird er in Zukunft die Artikel auf dieser Seite schreiben? Roboter „Pepper“ im Museum Steyr.
Wird er in Zukunft die Artikel auf dieser Seite schreiben? Roboter „Pepper“ im Museum Steyr.(c) Klaus Pichler/MAW
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Robert Misik und Harald Welzer haben sich Gedanken gemacht über die bisher nicht erzählte Geschichte der Arbeit. Sie präsentieren ihre Ideen über die „unsichtbare Arbeit“ in einem Buch und im Museum Arbeitswelt in Steyr.

In den amerikanischen Geflügelfabriken stehen die Arbeiter mit ihren scharfen Messern in der Hand Schulter an Schulter. Mit immer denselben Handbewegungen zerteilen sie das Hühnerfleisch. Jede Unterbrechung, wie ein Gang zur Toilette, unterbricht den monotonen Takt am Fließband. Um Strafzahlungen zu vermeiden, demütigen sich manche selbst und tragen Windelhosen. Extrapersonal, das bei einem Toilettengang einspringen würde, gibt es nicht.

„Richtige Männer“ nehmen auch die harte Arbeit auf einer Bohrinsel an. Diese Art von Arbeit birgt ihre Risken, entspricht dem alten Bild von Industrie, die Männer erfordert, harte Hunde. Die Ölfirma Shell hat nach zahlreichen Arbeitsunfällen begonnen, die Arbeiter zu coachen, ihnen das Machotum auszutreiben, ihnen beizubringen, Gefahren zu vermeiden, anderen zu helfen, besser zu kooperieren. Die Produktivität stieg, die Unfallzahl sank. In diesem hypermaskulinen Umfeld ein großer Erfolg.

Konkurrenz und Kooperation

Die beiden Beispiele demonstrieren: Ein Arbeitsprozess gehorcht nicht nur den Gesetzen der reinen Ratio, Gefühle spielen mit. Stress und Überforderung können die Arbeit begleiten, aber auch Statusgewinn und Stolz über das Geleistete. Konkurrenz kann es geben im Produktionsprozess, aber auch Kooperation und somit ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wird die Arbeit nicht geschätzt, kann sie unser Selbstwertgefühl untergraben, uns krank machen, umgekehrt es steigern. Ein gutes Betriebsklima mobilisiert. Ist das Produkt ein Erfolg, identifiziert man sich stärker damit.

Das Bebilderbare wurde ja schon oft gezeigt, der Mann am Fließband, die Frau an der Nähmaschine, das Produkt, das aus ihrer Arbeit entsteht. Aber diese Phänomene sind unsichtbar. Das Museum Arbeitswelt in Steyr hat es nun gewagt, diese Aspekte zu beleuchten, und dazu zwei Intellektuelle zum Nachdenken eingeladen, Robert Misik und Harald Welzer, beide Analytiker des Wandels der modernen Gesellschaft.

Als Ergebnis entstand nicht nur die sehenswerte Ausstellung „Arbeit ist unsichtbar“, sondern auch ein Buch, das die Autoren gemeinsam mit der Medienkünstlerin Christine Schörkhuber diese Woche in Wien präsentieren. An zahlreichen Beispielen aus dem Arbeitsleben wird hier vorgeführt, wie die Arbeit unseren Tag und damit unser Leben strukturiert und uns ein Gefühl sozialer Beziehungen verschafft.

Ein Beispiel? Auch der Autor des Artikels, den Sie gerade lesen, sitzt nicht nur isoliert und grüblerisch am PC, um seine Gedanken zu ordnen und niederzuschreiben, er recherchiert in einem Museum, hält dann Kontakt mit dem Bildredakteur, dem Layouter. Das Thema ist schwierig, er hat womöglich Versagensängste, er hofft auf Zuspruch der Leser, muss mit Kritik rechnen. Wird er verrissen, kränkt er sich. Man sieht nur die gedruckte Seite, aber nicht die ganze Vorgeschichte und das, was anschließend passiert. So ergeht es allen: Sichtbar ist die Oberfläche des Produkts, der Prozess des Zustandekommens ist das Unsichtbare.

Der Roboter schaut wie ein Kind aus

Der deutsch-indische Filmemacher Harun Farocki hat sein filmisches Lebenswerk dem Thema Arbeitsverhältnisse gewidmet, seine Videos sind ein Herz der Ausstellung in Steyr. Unsere Arbeitsprobleme scheinen im Vergleich herzig. Tausende unsichtbare Hände haben für Google Buchseiten digitalisiert. Unsichtbare? Nicht immer sind sie unsichtbar: Manchmal nimmt der Scanner das Bild eines Fingers mit auf: „Schlamperei! Digitalisierung scheitert an analogen Mitarbeitern“, wird giftig vermerkt.

„Keine Angst vor Robotern“ heißt es in einem Museumsraum, in dem man von einem freundlichen humanoiden Roboter begrüßt wird. „Pepper“ hat das Aussehen eines Kindes, kommuniziert gern über sein iPad, tanzt, sieht aus wie ein harmloses Spielzeug. Will uns das Museum mit Dystopien verschonen? Dass „Pepper“ imstande ist, Arbeitsplätze wegzurationalisieren, traut man ihm nicht recht zu. Doch wer weiß? Vielleicht schreibt er demnächst statt mir die Texte. Und womöglich besser.

AUSSTELLUNG UND BUCH

„Arbeit ist unsichtbar“ ist Titel und Thema der neuen Dauerausstellung (2018 bis 2020) im Museum Arbeitswelt Steyr. Grundthema in Steyr ist die Entwicklung der industriellen Arbeitswelt, vor allem am Beispiel der Eisen produzierenden Region im Gebiet der „Eisenstraße“.

Begleitend zur Ausstellung erschien das Buch „Arbeit ist unsichtbar. Die bisher nicht erzählte Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Arbeit“, Hrsg. Robert Misik, Christine Schörkhuber, Harald Welzer. Picus Verlag, 240 Seiten, 24 Euro. Die Präsentation ist am 6. 9. 2018 im Bruno-Kreisky-Forum Wien XIX., Armbrustergasse 15, 19 Uhr (Anmeldung erforderlich).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2018)

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