Ausstellung: Entfremdung in Wiens Kunsthalle

Schwarz in Schwarz – besonders im melancholischen Pool: „Blind Land“ von Isabella Fürnkäs.
Schwarz in Schwarz – besonders im melancholischen Pool: „Blind Land“ von Isabella Fürnkäs.(c) Jorit Aust/Kunsthalle Wien
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„Antarktika“ soll die „Vergletscherung der Gesellschaft“ behandeln, doch vor allem zeigt Kunsthallen-Direktor Nicolas Schafhausen kalkulierte Tränenkunst.

Es ist zwar ein bisschen billig, aber sehr aufdringlich: „Antarktika“ heißt eine der letzten großen Ausstellungen, die Nicolas Schafhausen als Wiener Kunsthallen-Direktor eröffnet hat. Untertitel: „Eine Ausstellung über Entfremdung“. Glücklich ist der Kurator in Wien nicht geworden, und auch Wien nicht mit ihm, jedenfalls nicht das Gros der Wiener Kunstszene, was man auch an den Beteiligten dieser Gruppenschau ablesen kann: Österreicher-Anteil null. Wie überhaupt in Schafhausens ganzer Kunsthallen-Zeit seit 2012 kein einziger in Wien lebender Künstler eine Einzelausstellung in einer der beiden großen Hallen hatte.

Kann man sich also überhaupt entfremden, wenn man sich immer schon fremd gefühlt hat? Das kann natürlich auch als großes kuratorisches Konzept gesehen werden, als Lebenskonzept gar – nur wirkt es mit der Zeit dann doch etwas zu gemütlich auf der dunklen Seite. Entfremdung wird zur Attitüde, zur Oberfläche und daher noch trauriger. Das muss sich anfühlen, als wäre man eine der Personen auf diesem riesigen Werbeschild, das in der oberen Kunsthalle steht, denen tintengefärbte Tränen aus den Augen schießen. Diese werden dann unten in einer Rinne aufgefangen und wieder hochgepumpt. „I Feel You“ heißt diese Installation vom 1981 geborenen, in Köln lebenden Jan Hoeft auch noch zynisch zum Quadrat. Er zitiert hier die Werbetafeln der Immobilienentwickler, die das perfekte Heim mit den perfekten Menschen dafür zeigen. Hoeft lässt sie weinen, wie es ominöse Marienfiguren tun, die dafür verehrt werden, dass ihnen zu heiligen Unzeiten die Tränen kommen, woher auch immer. Bei Hoeft ist der Mechanismus offengelegt.

Alles nur knallhart kalkulierte Show eben, auch diese Tränenkunst.
So geht es einem mit manchen Arbeiten, richtig berühren können einen diese analytischen Entfremdungsszenarien nicht, zu offensichtlich ist meist ihre Absicht. Der schwarze Melancholiepool von der 1988 in Tokio geborenen, in Berlin und Düsseldorf lebenden Isabella Fürnkäs etwa, in dem sich zur Eröffnung zwei weiß gewandete Performer annäherten und abstießen, mit Phiolen das Wasser schwarz färbten und schließlich selbst ganz befleckt waren. Das Wasserbecken bleibt als Skulptur zurück, hart, schwarz, glänzend bis in alle Infinity. Man hat Lust, eine quietschgelbe Badeente darin schwimmen zu lassen.

Ein Eisberg bleibt seltsam körperlos

Wenn man den in diesem Fall nicht vom Kapitalismus, wie sonst wohl, sondern vom Künstler Burak Delier sanft in – den Arbeitseifer optimierende – Yogaposen gedrückten Arbeitern einer Istanbuler Bank so zuhört, was sie vom Leben und vom Beruf so wollen, ist das ähnlich schal und vorhersehbar, noch dazu muss man bei dieser Inszenierung dauernd an die Akrobaten in Markus Schinwalds unheimlichen Filmen denken (die hier fehlen, zu wenig fremd wahrscheinlich). Zu menscheln beginnt es bei der polnischen Künstlerin Joanna Piotrowska, die uneindeutige schwarz-weiße Fotos von Paaren zeigt, deren Verhältnis man nur erraten kann. Dazu läuft ganz klein ein Film, der zeigt, wie zwei Hände sich sanft und liebevoll streicheln – sie gehören nur zu einer Person.

Kühl wird es einem auch bei dem Film „I'm Coming Home in Forty Days“ von Jeroen de Rijke und Willem de Rooij, die zu Schafhausens Lieblingskünstlern gehören, zählt man ihre Ausstellungsbeteiligungen in der Kunsthalle in den vergangenen Jahren. Ihr schon 1997 gedrehter Film, der nur ein Mal pro Stunde läuft, war auch eine Art Nukleus für die Ausstellung, so Schafhausen, man sieht hier in drei Einstellungen die Umrundung eines Eisbergs in Grönland von einem Segelboot aus. Der Eisberg bleibt auch nach 15 Minuten noch seltsam körperlos, bleibt einem seltsam – was sonst – fremd. Er stehe wie die anderen Arbeiten auch „intuitiv“, so die Kuratoren Schafhausen und Vanessa Joan Müller, für diese „Kondition der Moderne“, die „Vergletscherung der Gesellschaft“. In der Ausstellung wird dieses Phänomen zu einem scheinbar zeitlosen, daher ausweglosen, distanziert umkreist, ähnlich wie im Film von de Rijke/de Rooij, sozusagen in Einstellungen von 16 Künstlern. Bedrückend, fürwahr, auf mehreren Ebenen.

„Antarktika“, Kunsthalle Wien, MQ, bis 17. Februar, Dienstag–Sonntag: 11–19 Uhr, Donnerstag: 11–21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2018)

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