Feminismus hat viele Spielarten

"Nest", SW-Fotografie von Birgit Jürgenssen aus dem Jahr 1979.
"Nest", SW-Fotografie von Birgit Jürgenssen aus dem Jahr 1979.Estate Birgit Jürgenssen/GESTOR, Prag, 2018/The SAMMLUNG VERBUND Collection, Vienna 
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In Zeiten von #MeToo, des Friedensnobelpreises gegen sexualisierte Gewalt und Frauenvolksbegehren ist feministische Kunst aktueller denn je.

Gelb, pink, blau - jedes Wort in einer anderen Farbe geschrieben, hat Renate Bertlmann die Parole "#It s You, Too" zum Titel ihrer Ausstellung Anfang 2018 in der Wiener Galerie Steinek gemacht. Der Farbdreiklang spielt für die Medien- und Performancekünstlerin nicht nur auf die Bildschirmfarben oder Primärfarben an. Für die Künstlerin, die in ihren provokativen Arbeiten seit Jahrzehnten das Thema Zweierbeziehung als kleinste Form gesellschaftlicher Konfrontation verhandelt, sind die Farben auch inhaltlich besetzt. Neben der klassischen Zuordnung - Gelb für Offenheit und Eifersucht, Rot für Liebe und Leidenschaft, Blau für Sehnsucht und Wachheit - stehen sie in Bertlmanns Deutung von Beginn an auch für Ironie, Pornografie, Utopie jene Trias, die sie umkreist, seit sie Kunst macht, also seit gut 45 Jahren. "#Its You, Too" ist Renate Bertlmanns Antwort auf die #MeToo-Bewegung, "die wichtigste emanzipatorische Bewegung der Gegenwart", wie sie sagt.

Bertlmanns Erfolg und Durchbruch ist ein später. Er verdankt sich insbesondere der Kontextualisierung ihrer Arbeit im Rahmen der "Feministischen Avantgarde". Unter dem Titel tourt die hochkarätige Kunstsammlung des Energiedienstleisters Verbund mit Schwerpunkt feministische Kunst von den 1970ern bis heute seit 2010 durch europäische und US-Museen. Im kunsthistorischen Diskurs positioniert hat den Begriff deren Direktorin Gabriele Schor. Renate Bertlmanns Personale 2016 in der Vertikalen Galerie des Verbunds samt der dazu erschienenen Monografie haben das ihre zum Erfolg beigetragen.

Nilbar Güres, "Headstanding Totem", Fotografie aus 2014.
Nilbar Güres, "Headstanding Totem", Fotografie aus 2014.Galerie Martin Janda

Vor dem Hintergrund klingt Renate Bertlmanns Entsendung als Repräsentantin Österreichs zur Kunst-Biennale von Venedig 2019 fast romantisch. Dass sie als erste Künstlerin überhaupt in der rund 120-jährigen Geschichte von Österreichs Biennale-Teilnahme den Länderpavillon bespielen wird, sollte allerdings eher nachdenklich stimmen. Umso politischer ist die Entscheidung von Biennale-Kommissärin Felicitas Thun-Hohenlohe für Bertlmann zu werten. So ist denn auch das österreichische Biennale-Projekt insgesamt als feministisches Statement angelegt - in seiner Konzeption mit hohem Frauenanteil im Team, einer Lecture-Serie im Vorfeld, die die Aspekte der Institution "Biennale" kritisch beleuchtet, und einem begleitenden dokumentarischen Fotokunst-Projekt.

Pionierinnen

"Im Gegensatz zur Gleichberechtigung, worunter wir das Einholen des Mannes auf einer rein formalen Ebene verstehen, bedeutet Emanzipation Befreiung", heißt es in einem Manifest der "Aktion unabhängiger Frauen", deren Mitglied Bertlmann war. Erschienen ist es als Beitrag zur legendären Feminismus-Ausstellung "Magna", die Valie Export 1975 in der Galerie nächst St. Stephan organisierte. Und weiter: "Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, Befreiung von den wirtschaftlichen und psychischen Zwängen, die in unserer Gesellschaft das Leben jedes Einzelnen unentrinnbar bestimmen."

Auch wenn das nur ein kleiner Auszug ist - angesichts der realen Verhältnisse fast ein halbes Jahrhundert später darf behauptet werden, dass manche Zustände zwar besser geworden sind und die Abstände geringer. Doch die feministischen Anliegen existieren weiterhin und werden von Künstlerinnen drängend zum Ausdruck gebracht. Auch wenn sie vom Zeitgeist überformt, angepasst, verschoben oder verändert wurden, liegen sie immer noch - und lagen wohl immer schon - in der Luft als Diskurs mit sensiblem Blick für Benachteiligung, Schwäche, Unrecht, Ungerechtigkeit.

"Revolverkopf" von Florentina Pakosta, 1979.
"Revolverkopf" von Florentina Pakosta, 1979.Albertina, Wien

Eine Feministin avant la lettre ist Florentina Pakosta. Sie studierte in den 1950ern an der Akademie, als einzige Frau in der Malereiklasse von Josef Dombrowsky, entschied sich nach dem Abschluss aber gegen die Ehe und für die Kunst. Ihre großformatigen geometrischen Bilder und minutiösen Zeichnungen, die teils von der Kunstgeschichte inspiriert sind, sind eine große Erzählung vom Aufbäumen gegen Unterdrückung, Macht, Gewalt. Später rannte Birgit Jürgenssen (1949 2003) in ihrem so vielschichtigen wie spielerisch-poetischen multimedialen Werk gegen die Zwänge der Geschlechterzugehörigkeit an.

In Maria Hahnenkamps Arbeiten treffen Einflüsse des Feminismus und Aktionismus aufeinander. Ausgehend vom Medium Fotografie, aber auch Readymades, Ornamenten und gefundenem Bildmaterial beschäftigt sie sich seit den Achtzigerjahren mit Fragen der weiblichen Identität, Positionierung, Selbstbehauptung und Rollenbilder. Eine zentrale Rolle spielen dabei Räume, Rituale und Texte. "Ich bin der Raum, wo ich bin", beschreibt sie selbst ihre Arbeit mit Gaston Bachelard.

Next Generation

Marlene Haring untersucht in ihren Videos, Performances und Installationen verborgene Machtstrukturen. Immer wieder bringt sie das eigene Selbst ein, schlüpft in Rollen und Klischees von der Hausfrau über die Psychoanalytikerin zur Sexdienstleisterin und Türsteherin. Körperarbeit als Zitat und Tauschgeschäft ist ebenso Part of the game wie das performative Spiel mit der Überraschung und Überrumpelung ihres Publikums.

Ganz anders überlagern sich unterschiedliche kulturelle Ebenen, Chiffren und Codes in den Fotografien und Installationen der aus der Türkei stammenden Künstlerin Nilbar Güres. Ihre surrealen, nachgerade traumhaften Szenarien, deren Personal fast ausschließlich Frauen sind, verhandeln Fragen von Freiheit versus Unfreiheit, Unterdrückung und sexueller Selbstbestimmung.

Frühwerk "Heute bleibt die Küche kalt" von Marlene Haring aus 2004
Frühwerk "Heute bleibt die Küche kalt" von Marlene Haring aus 2004Marlene Haring

Stefanie Seibold wiederum spürt Fragen von Körper, Körperhaftigkeit und Queerness über die Arbeit mit Skulptur und Collagen auf. Der Explizitheit ihrer Arbeit mit gefundenem Bildmaterial steht der vorgetäuschte Minimalismus ihrer Objekte gegenüber. Ihre Dechiffrierung erfolgt in der installativen Zusammenschau der Objekte oder über sprechende Titel. Sophie Thun schließlich setzt Apparaturen und Methoden der Fotografie als Mittel zur Analyse des Selbst vis-a-vis seiner gesellschaftlichen Positionierung ein. Immer wieder kommt der eigene Körper ins Bild, eingefangen durch den Selbstauslöser, verdoppelt durch die Ausreizung der Möglichkeiten des Fotogramms. Im Vorfeld der Biennale 2019 hat Sophie Thun mit Ípek Hamzaoglu und Laura Nitsch nun eine Carte Blanche bekommen, um die Entstehung, Diskursprozesse sowie Kunst- und Wissensproduktion rund um das Ereignis zu dokumentieren. Das feministische Experiment ist angelaufen.

Tipps

Biennale Lectures in Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste: "Kunst und die künstlichen Grenzen nationaler Kulturbegriffe", 22.11. (mit Beatriz Colomina, Catherine David, Ruth Wodak). "Politik des Temporären", 31.1.2019 (mit Ute Meta Bauer, Maria Hlavajova, Dana Whabira). "Ästhetik des Riskanten", 8.3.2019 (mit Femen, Esther Hutfless & Elisabeth Schäfer, Amelie Jones). www.biennalearte.at

Biennale di Venezia: 11.5. 24.11.2019. www.labiennale.it

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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