Junge Kunst: Zurück zu Farbe, Ton und Eisen

Philipp Timischls verletzte und verletzliche Kuschelmasken für Flatscreens.
Philipp Timischls verletzte und verletzliche Kuschelmasken für Flatscreens.(c) Belvedere
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Es ist eine hübsche Tradition, über die sich herrlich streiten lässt: die kuratorische Pulsmessung der jungen Wiener Kunstszene. Einst fand sie in Kunsthalle und Secession statt, jetzt wurde sie vom Belvedere gekapert. Status: Sie lebt.

Lang schon wurde nicht mehr nach ihm getastet, dem Puls der Kunst der Zeit: 2010 das letzte Mal in der Secession, damals endete anscheinend die Serie „Junge Szene“. 2015 widmete die Kunsthalle die erfolgreich eingeführte Serie „Lebt und arbeitet in Wien“ zu „Destination Wien“ um und wollte dabei von Jung nicht unbedingt mehr dezidiert etwas wissen. Was eh sympathisch ist, aber eben dem romantischen Anspruch nicht Genüge tut, im Jungen immer auch das Neue zu suchen.

Das hat sich jetzt das Belvedere auf die Fahnen geheftet, das dieses Format der Jugendbeschau (zugelassen nur bis 35) jetzt begeistert adoptiert hat. Natürlich gehen die zwei Kuratoren des Belvedere 21, Luisa Ziaja und Severin Dünser, mit ironischer Geste an das unmögliche Ansinnen heran, die dank zweier international renommierter Kunst-Unis äußerst rege junge Wiener Szene abzubilden. Fast trotzig wählen sie angesichts dessen nur exklusive 18 aus, darunter – „ich erspare Ihnen das Zählen“, so Belvedere-Direktorin Stella Rollig bei der Pressekonferenz – bemerkenswerte zwölf Frauen.

Der Artist-Space als Absicherung

Darüber hinaus versucht man, sich so unverletzlich wie möglich zu machen: Man lud noch zwölf der in Wien so boomenden, von Künstlern selbst geführten Ausstellungsräume, formerly known as Off-Spaces, ein, die Ausstellung im ständigen Wechsel mit ihren Programmen zu infiltrieren. Man betont das streng Subjektive der Auswahl, das Unvollständige, die Momentaufnahme, die Ablehnung, einer ganzen Generation irgendein Ismus-Label anzuheften – sowie die Skepsis dem Neuen an sich gegenüber, das in der Kunst schließlich seit dem Eklektizismus der Postmoderne milde belächelt wird. Trotzdem wollte man darauf – siehe dem Titel „Über das Neue“ – augenscheinlich nicht verzichten, überspitzt das jedoch mit einem Plakat, das in seiner Gestaltung an das eines kitschigen Hollywood-Films erinnert.

Also was jetzt? Neu oder nicht neu, These oder keine? Völlig Unbekannte trifft man hier jedenfalls nicht, einige werden schon von namhaften Galerien vertreten, einige waren schon in der Secession, vier davon sogar in der Kunsthalle-Ausstellung „Destination Wien“ vertreten. Die anderen sind zumindest in der Szene aktiv, man erspart sich dadurch den für ältere Semester mühsamen Weg in die verästelte Subszene, was sogar in der Ausstellungsarchitektur angedeutet ist – die parasitär eingeschleusten Off-Spaces muss man schon suchen, sie sind in Kojen verborgen, deren Zugänge oft schmal wie Gassen sind, was eine „urbane Struktur“ evozieren soll.

Die Anwesenheit dieser in ihren wechselnden, daher schwer überschaubaren Präsentationen völlig freien „Zellen“ dient auch als Erklärung dafür, warum das Drumherum gar so klassisch ausgefallen ist: Die ganze in Wien sonst so präsente queere Performance-Szene etwa soll hier aufgefangen werden, erfährt man. Im Rundherum verdichtet sich so der Eindruck einer recht konservativen, braven neuen Kunst, die ohne plakativ viel Sex und Politik sich an Formalem abarbeitet, also malt und bildhauert: Die neue Kunst rettet sich heute aus dem Rausch der digitalen Info- und Trashflut ins Handwerk, in die Tradition. Sie besinnt sich, möchte man fast sagen.

Sagen wir doch Neo-Arte-Povera!

Das ist zuweilen bestechend schön. Dafür sorgen vor allem die Objektkünstlerinnen, so, als ob gerade die Frauen, die dieses lang so männlich dominierte Terrain der Bildhauerei übernommen zu scheinen haben, dieses dafür mit besonderer Innigkeit betreiben würden: Die aus Leinwand gefalteten Objektbilder der in Russland geborenen Sasha Auerbakh zum Beispiel, über die sie, ganz oben auf der Wand, ein Fake-Marmor-Kebab aus Gips gehängt hat. Köstliches Zitat, das an Malewitschs schwarzes Quadrat im Winkel denken lassen könnte.

Oder Angelika Loderer, die man bereits gut kennt: Aber ihre aus farbigem Gusssand, einem Nebenprodukt von Gießereien, gepressten, in ihrer Brüchigkeit prekären Bauten sind immer atemberaubend – bestehen sie, zerbröseln sie? Daneben giacomettihafte Schlingen – Abgüsse realer Maulwurfsgänge. Beeindruckend auch Birke Gorm, eine Hamburgerin, die in Wien studiert hat. Auf den weiten Blick wirken ihre großen, antikisierenden Vasen massiv. Aus der Nähe sind es mit Lehm bemalte Kartonkonstrukte, auf denen fleißige Drahtameisen posieren. Ums Eck ihre Bilder, die sie aus Jutestoff zupft und zieht, die Szenen stammen aus Internettutorials zur Selbstoptimierung.

Können wir so verbleiben? Ist das nicht fast rührend? Die Jungen suchen analoge Festigkeit in Zeiten der Unsicherheit, entdecken das Handwerk wieder, Farbe, Ton, Eisen – DIY für die kapitalismusverdrossene „Generation Remix“, wie Künstlerin Nana Mandl sich und die Ihren nennt. Warum also nicht gleich sagen, was es ist, eine Art Neo-Arte-Povera? Klingt zu gut. Aber als subjektive Momentaufnahme ohne Anspruch auf irgendetwas geht das hier auch durch.

„Über das Neue. Junge Szenen in Wien“, bis 2. Juni, Mi–So: 11–18 Uhr, Mi und Fr: 11–21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2019)

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