Orangerie im Belvedere: Plaudern mit Charakterköpfen

Arnulf Rainer bezog sich mehrmals direkt auf die Charakterköpfe von Messerschmidt (l. im Vordergrund). Rechts Rainers bemalte Beethoven-Masken.
Arnulf Rainer bezog sich mehrmals direkt auf die Charakterköpfe von Messerschmidt (l. im Vordergrund). Rechts Rainers bemalte Beethoven-Masken. (c) Stoll/Belvedere
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Messerschmidts Köpfe mit den verzerrten Gesichtern werden wieder mit zeitgenössischen Künstlern kombiniert. Ein artiges Gespräch unter Exzentrikern.

Das ist schon sehr lustig gleich am Beginn: Da trifft ein riesiges Videoporträt des uns gurugleich fixierenden Joseph Beuys auf die Büste „Ein ausgezehrter Alter mit Augenschmerzen“ von Franz Xaver Messerschmidt. Kurator Axel Köhne hat sich da wohl einen kleinen Scherz zwischen Charakterköpfen erlaubt. Denn mit „Sozialer Plastik“ hat die Kopfarbeit dieses exzentrischen Barockbildhauers nichts zu tun. Die Köpfe haben weder sozialkritische Funktion, noch waren sie überhaupt für die Öffentlichkeit bestimmt – von der auf 69 Stück geschätzten Serie trennte Messerschmidt sich sein Lebtag nicht. Er schuf sie nur für sich selbst, höchstwahrscheinlich – so die Fachmeinung im Belvedere – auf Grundlage des eigenen Spiegelbilds, in damals kostbaren Materialien wie Blei, Zinn, Alabaster.

Wer tat so etwas, bitte? Und warum? Diese Fragen beschäftigen Generationen an Kunsthistorikern, Psychiatern und Künstlern. Messerschmidts „Kopf-Stückhe“ und „Schnabelköpfe“, wie er sie selbst nannte, sind neben den Klimt-Bildern die Publikumsmagneten im Belvedere. Touristen scharen sich vor ihnen, um sich per Selfie fotografisch in den hier anscheinend festgehaltenen menschlichen Wahnsinn einzublenden – zwischen den „Absichtlichen Schalksnarr“, den „Mit Verstopfung Behafteten“ und den „Wollüstigen, abgehärmten Geck“. Titel übrigens, die den grimassierenden Gesichtern erst posthum verliehen wurden.

So viel für sich allein stehende Absonderlichkeit, so große fühlbare Nähe zu unserer modernen existenziellen Geworfenheit schreit natürlich danach, als Referenz zu dienen. Vor über zehn Jahren öffnete man in der Belvedere-Orangerie deshalb schon den Dialog zwischen Messerschmidt und der zeitgenössischen Kunst mit einer Doppelausstellung mit dem abstrakten britischen Bildhauer Tony Cragg. Jetzt hat man die Gesprächspartner gleich auf zehn erweitert. Und ja, natürlich ist das eine subjektive Auswahl, jedem würde auf der Stelle eine Handvoll anderer Künstler einfallen, die hier auch etwas zu sagen hätten.

Finden Sie Lenins Witwe sympathisch?

Köhne wählte aber großteils klug, er blendete die ganze alte Geschichte um Genie und Wahnsinn aus und konzentrierte sich darauf, was und wie wir in Gesichtern zu lesen versuchen. Gefühle zum Beispiel, wie es Maria Lassnig in ihren Bildern tat, für die sie den eigenen Körper verwendete. Oder Sympathie/Antipathie, wie Anna Artaker es in einer perfiden Versuchsanordnung an uns ausprobiert, begleitet von Kurt Krens Film über den „Szondi-Test“, bei dem einem anonyme Porträtfotos zur Bewertung vorgelegt wurden, um aus dem Ergebnis Persönlichkeitsstörungen zu konstatieren. Artaker stresst dieses System jetzt mit von ihr fotografierten und in 3-D übersetzten Totenmasken von Persönlichkeiten aus dem Sowjetregime. Findet man Lenins Witwe jetzt sympathisch oder nicht? Und was sagt das über mich aus?

Auch eine Art Test ist die Anordnung von Douglas Gordon: Nur „30 Sekunden“, so der Titel, leuchtet die Glühbirne, die einen Text über eine andere historische Schauergeschichte über tote Köpfe lesbar werden lässt. Das geht schon in Richtung Abstraktion, genau wie bei Arnulf Rainer, der sich in frühen Werken explizit auf Messerschmidt bezog und sein eigenes Gesicht derart verzerrte, dass es nahezu unlesbar wurde. Bei diesem Vergleich merkt man den Unterschied, den auch Köhne betont: Haben Sie einmal versucht, die Grimassen Messerschmidts nachzumachen? Was nach genauer Naturbeobachtung aussieht, ist hochartifiziell. Neueste Forschung übrigens meint, dass Messerschmidts Gesichter Symptome wie bei Dystoniekrämpfen aufweisen. Ob Messerschmidt tatsächlich derart Erkrankte vor Augen hatte, ist bisher nicht nachweisbar.

Überhaupt gibt der 1736 in armen Verhältnissen in Bayern geborene Bildhauer, der erst eine rasante Karriere am Wiener Kaiserhof hinlegte, immer noch Rätsel auf. 1770 begann sein Absturz, er bekam die versprochene Professur an der Akademie nicht, er galt als psychisch labil. Außerdem starb sein Mentor, Hofmaler Martin van Meytens. Die schon von Zeitgenossen bemerkte „Verwürrung“ steigerte sich, der angeblich keusch lebende Außenseiter ging ins Exil nach Bratislava, wo der Großteil der Köpfe entstand. 16 davon werden heute im Belvedere gehütet. Und man plaudert sogar artig mit ihnen.

Talking Heads. Bis 18. August. Tägl. 10–18h, Fr bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2019)

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