Kunsthalle Wien: Die Kunst, kein Theater zu machen

Eine Siedlung zerstörter und zerstörerischer Träume: Peter Friedls Modelle ideologisch aufgeladener Bauten rund um die Welt, die er alle selbst besuchte.
Eine Siedlung zerstörter und zerstörerischer Träume: Peter Friedls Modelle ideologisch aufgeladener Bauten rund um die Welt, die er alle selbst besuchte.(c) Jorit Aust/Kunsthalle
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Peter Friedls erste Einzelausstellung in Wien heißt ausgerechnet „Teatro“. In vagem Halbdunkel wird hier mit Puppen und Bühnen präzise gegen die Illusion gearbeitet.

Als man die ausgestopfte Giraffe 2007 auf scheinbar wackligen Beinen in der Documenta-Halle in Kassel stehen sah, ahnte man – das hier ist kein Streichelzoo. Da brauchte man noch nicht einmal den Künstlernamen dazu lesen, Peter Friedl. Das hier war kein x-beliebiges Präparat, sondern die während eines israelischen Angriffs Anfang der 2000er-Jahre vor Panik umgekommene Giraffe aus dem einzigen Zoo, den es auf palästinensischem Gebiet gibt.

Nichts ist zufällig in der heutigen Biennale-Kunst, nichts harmlos, keine Giraffe, keine Puppe, kein Architekturmodell. Alles trägt Bedeutung, vieles spielt mit der Diskrepanz zwischen der anfänglichen Neugier, ja Blauäugigkeit der Betrachter und der folgenden Betroffenheit. Beziehungsweise einem vagen Gefühl der Betroffenheit, in dem man, sich selbst beobachtend, erst einmal ordentlich herumirren muss, bis man sich selbst eine Meinung gebildet hat, sich für Opposition oder Komplizenschaft zur angenommenen Künstleraussage entschieden hat.

Das ist eine Dramaturgie, die sich besonders bei festivalartigen Ausstellungen bewährt hat, eben etwa beim Erfolgsformat der internationalen Kunst-Biennalen. Dort geht es um starke ästhetische Statements, um in der Flut der hier zusammenkommenden Kunst erst einmal aufzufallen. Und dann darum, Weltpolitik in die entlegensten Nester zu holen. Was hierbei zu dezidiert ist, wird schnell platter Aktivismus. Den kann man Peter Friedl nicht vorwerfen. Er hat dieses Konzept mit großer Eleganz und formaler Strenge verinnerlicht, ist jedenfalls zurzeit der international erfolgreichste dieser, nennen wir sie Biennale-Künstler, mit Geburtsland Österreich, 1960 in Oberneukirchen. Auf drei Documenta-Ausgaben war er vertreten, auf der Manifesta, der Berlin-, São-Paulo-, Taipei-, Shanghai-, Sharjah-Biennale gerade eben etc. Es ist eine beeindruckende Liste. Beeindruckend ist auch, dass das hier seine erste Einzelausstellung in Österreich ist, in der oberen Kunsthalle Wien.

Zwar vertrat er 1999 mit mehreren anderen auf Einladung Peter Weibels Österreich im Biennale-Pavillon in Venedig. Aber auch das spielte sich bezeichnenderweise im Ausland ab. Das mag verschiedenen Gründen und unglücklichen Umständen geschuldet sein, es mag aber auch sein, dass man unbewusst bestraft wird, wenn man dieses Land verlässt, um anderswo zu leben, in Berlin, Italien, Afrika, den USA, wie Friedl das tat. Es ist aber auch so, dass diese Ausstellung in der Kunsthalle jetzt ein Glücksfall ist. Denn die Halle bietet den perfekten neutralen Rahmen für die Zusammenschau seiner Kunst, sie verschwindet im Dunkel, das hier vorherrscht. Dadurch kommt ein Schwebezustand zustande, der betont, was Friedl interessiert: „Teatro“ steht als Titel über allem. Gerade dieses italienische Wort, das angesichts der Burgtheaterschwere hier fast wie ein Hohn klingt, ein bisschen nach Zauber, nach Spektakel, nach Überdrüber.

Früher war er Theaterkritiker

Friedl, der einst, wie er erzählt, als Theaterkritiker in Wien Hausverbote bekam, desillusioniert gern. Die Illusion interessiere ihn nicht. Sehr wohl aber das Davor und das Danach. Gleich beim Eingang glaubt man sich abgeholt – Kasperltheater! Das kennt man. Jedenfalls sieht man schlaffe Handpuppen über mit bunten Stoffen bespannten Holzgerüsten hängen. Ist das André Heller? Oder Sigmund Freud? Weder noch, so simpel läuft hier nichts. Die melancholisch anmutende Installation entstand einst für Lissabon und zitiert das portugiesische Straßentheater, liest man. Bei den Puppenpersönlichkeiten geht es, man ahnt es schon, um Kolonialismus, Hollywood-Blick und Kapitalismus. Das Spektakel jedenfalls bleibt stumm, droht nur. Wie vieles hier. Eine ganze Kolonie penibler Häusermodelle auf Tischen etwa, von denen jedes, worauf man wetten kann, eine (problematische) Geschichte hat (Friedls Elternhaus in Oberösterreich ist auch dabei, ist das Humor? Oder nicht?). Der Rest zeigt sich jedenfalls als kühle Anschauungsmodelle gescheiterter Ideologien und Utopien. Eine Siedlung zerstörter oder zerstörerischer Träume.

Ähnlich genommen wurde die Theaterillusion aus Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“, in der ein Affe über seine Menschwerdung berichtet. Friedl hat für die vergangene Documenta den Monolog auf einer Athener Theaterbühne nur für die Kamera von 24 Personen rezitieren lassen – in den Muttersprachen der Laiendarsteller, die er sorgfältig ausgewählt hat und deren Biografien er „hüte“, wie er sagt. Man weiß also wenig und ahnt viel von den unruhigen Lebensläufen, vom wörtlichen Inhalt und der zeitübergreifenden Symbolik dieses Settings.

Es bleibt, wie bei der Giraffe, am Ende die Betroffenheit. Und dieser Vergleich ist so böse wie bedenklich, denn es sind dort Menschen und da Tiere und überall Marionettenpuppen, die hier samt den schlaffen Schicksalsfäden, an denen sie hängen, nur Unruhe in unseren Köpfen auslösen. Und wieder beginnt man zu irren in seiner eigenen Verfasstheit hier in Österreich, das somit endlich die Friedl-Ausstellung bekommen hat, die es und die er verdient haben.

„Teatro“, bis 9. 6., Di.–So., 11–19 h, Do., 11–21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2019)

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