Das Mohnfeld wurde (unabsichtlich) gemäht, das Foto der nachgestellten Drogen-Mafia-Szene Oscar Cuetos verschwand auch. Was blieb: Die Notgalerie dahinter.

Der kulturelle Notstand der Wiener Seestadt: Kunst im Nirgendwo

Die Seestadt ist nicht unbedingt ein Vorzeigeprojekt der so gerne auf Dezentralisierung pochenden Wiener Kulturpolitik. Noch nicht. Bis dahin hält die Notgalerie tapfer die Stellung.

Lost im Nirgendwo. Niemand steigt hier sonst aus der U2 an diesem Vormittag. Aspern Nord. Nur umsteigen wollen die Leute bislang hier noch, in den Zug, in den Bus. Sonst ist hier Baustelle. Urbanes Brachland. Aussicht auf Kräne des bereits fertigen Seestadt-Teils. Und, ganz nah, auf eine seltsame Baracke, die, wie aus einer anderen Zeit gebeamt, auf einem der sanften Hügeln voll Gestrüpp steht. Die „Notgalerie“ des Künstlers Reinhold Zisser.

Die Großelterngeneration könnte sich noch erinnern. Dieser Holzbau, der irgendwie nach Wildwest aussieht, diente einmal als sogenannte Notkirche. Diese stand ab 1947 in einer Kurve der Glanzinggasse in Döbling. 1969 wanderte sie weiter, in die Donaustadt, wo Zisser sie 2015 zufällig auf einem verwilderten Gelände entdeckte – und den zum Abbruch vorgesehenen, schon lang entweihten Bau besetzte. Seither verwendet er die Notkirche und ihre Geschichte als künstlerisches Material. 2017 baute er sie ab – in 15.000 Einzelteilen! – und hier, am Nordrand des Seestadt-Baufelds auf. Aus der Notkirche wurde die „Notgalerie“, ein Zusammenhang, den man sofort versteht, blickt man hier einmal um sich. Der pure kulturelle Notstand. Nichts. Weit und breit. Nur viele Wohnungen für viele Menschen in (noch) mehr oder weniger sicherer Entfernung.

Prekärer Skulpturenpark. „Wir“ entziffert man aus Buchstaben einer vom Wind zerzausten Installation Peter Fritzenwallners, der bei der Translokation der Notkirche die Wörter „Wir wollten weiter und gingen“ aus der Wandverkleidung schnitt. Das „Wir“ wird demnächst wieder in voller Pracht erstehen, muss nur wieder auf die Stange gesteckt werden, versichert Zisser. Es ist Teil eines Skulpturenpark, den Zisser heuer auf dem 50 Hektar großen Brachland zwischen Notgalerie und fertiger Seestadt errichtet – das „Kunstland Nord“, wie immer in diesem eigeninitiativen Kunstbereich prekär finanziert aus verschiedenen Fördertöpfen.

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