Schmal: Erwin Wurm verzerrt sein Elternhaus

Schmal Erwin Wurm verzerrt
Schmal Erwin Wurm verzerrt(c) AP (Ronald Zak)
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Erwin Wurm im Essl-Museum. Österreichs bekanntester Künstler zeigt jetzt in Klosterneuburg allzu witzige Skulpturen. Sechzehn Meter lang und sieben Meter hoch ist ein Haus, das mitten im Essl Museum steht.

Sechzehn Meter lang und sieben Meter hoch ist das Haus, das mitten im Essl Museum steht. Was zuerst monumental wirkt, erweist sich schnell als surreal. Schon vor vier Jahren hatte Erwin Wurm ein komplettes Einfamilienhaus in seine Ausstellung integriert, aber damals landete ein Standardmodell auf dem Dach des Mumok. Jetzt ist das Haus in Klosterneuburg ein Durchschnittseinfamilienhaus der 1970er-Jahre – und es ist nur einen Meter breit.

Die Türen stehen offen. Drei Stufen hinauf, und wir stehen im Esszimmer, zwängen uns am Sofa vorbei, werfen einen Blick in die enge Küche und ins Schlafzimmer. Alles hier ist in die Länge gezerrt, selbst die Gabeln und Teller, die Toilette und die rosa Hausschuhe vor der Badewanne. Als Vorbild habe ihm sein Elternhaus in Graz gedient, erklärt Wurm. Die Verzerrungen habe er an neuen TV-Geräten beobachtet, in denen die Bilder nicht auf das neue Format eingestellt sind. Beengte Räume und Elternhaus geben zusammen schnell eine hobbypsychologische Deutung: traumatische Kindheitserfahrungen. Diese Sicht erhält Unterstützung durch die übergroße Polizeikappe: Ursprünglich als Wetterschutzskulptur im öffentlichen Raum geplant, erinnert sie an Wurms Vater, der Polizist war. Aber solche Vermischungen von Biografischem und Künstlerischem sind bestenfalls Einstiegshilfen, die unsere Blicke leichter haften lassen.

Als das fette Haus an sich selbst zweifelte

Wo endet Malerei, wo beginnt Aktion, wann ist etwas Skulptur? Diese Fragen durchziehen das Werk des 1954 in Bruck an der Mur geborenen Künstlers seit Langem. Erhöhte Wurm 1993 durch übereinander angezogene Kleidungsstücke das (Körper-)Volumen, begann er bald darauf, alltägliche Dinge zu deformieren. Zunächst lotete er in seinen „One Minute Sculptures“ die Grenzen zwischen Aktion und Skulptur aus: Mit sinnwidrig eingesetzten Gegenständen arrangierte er flüchtige Inszenierungen, Gabeln im Gesicht, Pilze in der Nase, jemanden bäuchlings auf einem Parkschild balancierend.

2001 kehrte er zurück zur „Arbeit am Volumen“, verbreiterte einen Alfa Romeo mit Mengen von Polyester zum „Fat Car“. 2003 folgte das „Fat House“. Im Video „Am I a House?“ lässt Wurm das fette Haus selbstzweifelnd fragen, was es sei, ein Kunstwerk oder ein Haus, und was das für Konsequenzen habe. Und was passiert, wenn ästhetisch perfekte Häuser dick werden? Also ließ Wurm Ikonen der modernen Architektur schmelzen, ein Mies-van-der-Rohe-Gebäude in sich zusammensacken, das Guggenheim Museum zerfließen: Er löse das „riesige imperialistische Kunst-Kultur-Schlachtschiff“ auf, sagte er.

Jetzt also verzerrt er sein Elternhaus. „Private Wurm“ nennt er die Ausstellung, fügt noch ein paar zu Sitzen umfunktionierte Nachtkästchen und Schränke hinzu, und zwei weitere Figuren: ein mit Jacke bekleideter Kasten mit Beinen und die giftgelbe Wolke, die auf einer Hand balanciert. In solchen Skulpturen spielt Wurm nicht mit Wortbildern, jongliert auch nicht gekonnt mit Formen und Volumen, sondern verliert sich im allzu Witzigen. Pointen verkürzen die Wahrnehmung, dann können nicht mehr fraglos gewordene Ansichten in den Blick treten.

Überzeugend dagegen ist Wurms neues Haus. Zwar dekliniert er sein Vokabular der Verformung weiter durch, aber der Gang durch dieses Haus lässt uns weit darüber hinaus über die Wirklichkeit als Skulptur nachdenken – wird unsere Welt einmal so schmal werden?
Bis 30.1., Di–So: 10–18, Mi: 10–21, Eintritt frei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2010)

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