Vordenker der Langsamkeit: Schriftsteller Sten Nadolny wird 65

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1983 wurde Sten Nadolny mit seinem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit" schlagartig berühmt. Dabei wollte der preisgekrönte Autor ursprünglich gar kein Schriftsteller werden.

"Unmerklich und in größter Ruhe": So möchte einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller seinen 65. Geburtstag am 29. Juli verbringen. Darin ähnelt Sten Nadolny seinem besonnenen Helden John Franklin, dessen Geschichte in "Die Entdeckung der Langsamkeit" den Autor auf einen Schlag berühmt machte. Das 1983 erschienene Buch wurde nach Angaben des Münchner Piper Verlages mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft und in 20 Sprachen übersetzt, darunter ins Isländische und Arabische.

Angelehnt an die Biografie des englischen Seefahrers und Polarforschers Franklin (1786-1847) beschreibt Nadolny in seinem bekanntesten Werk einen Menschen, der in einer schneller werdenden Welt die Zeit nach den eigenen Maßstäben bemisst. Mit Bedächtigkeit, Ausdauer, Sorgfalt und Gelassenheit macht er aus der vermeintlichen Schwäche eine Tugend und kann so mehrmals seine Mannschaft bei gefahrvollen Reisen in die Arktis, zur legendären Nord-West-Passage und nach Australien vor dem Tode bewahren. Mit seiner subtilen Studie über die Zeit habe Nadolny so die "Langsamkeit als menschenfreundliches Prinzip" entdeckt, schrieb ein Kritiker.

Karriere als Regissuer vor sich

Für das Werk mit dem programmatischen Titel erhielt der in Berlin lebende Autor viel Lob und neben dem Ingeborg-Bachmann-Preis (1980) auch den Premio Vallombrosa (1986), den höchsten italienischen Literaturpreis für ein ausländisches Werk. Für sein Gesamtwerk bekam Nadolny 2003 den Jakob-Wassermann-Literaturpreis zugesprochen, 2004 wurde er zum Mainzer Stadtschreiber. Die Preissumme des Bachmann-Preises teilte er unter seinen teilnehmenden Kollegen auf - wegen des "schädlichen Wettbewerbscharakters" der Veranstaltung, wie er damals bemerkte.

Dabei wollte der preisgekrönte Autor ursprünglich gar kein Schriftsteller werden. 1942 in Zehdenick an der Havel geboren und in Oberbayern aufgewachsen, studierte er Geschichte und Politik und promovierte an der Freien Universität Berlin über "Abrüstungsdiplomatie 1932/1933". Nadolny war Taxifahrer, ehrenamtlicher Strafvollzugshelfer und Geschichtslehrer, dann wurde er schließlich Aufnahmeleiter beim Film und sah eine Karriere als Regisseur vor sich. Da bekam er unerwartet ein Stipendium für ein Drehbuch-Exposé. Aus dem Film wurde nichts. Stattdessen schrieb Nadolny zu dem Stoff sein Erstlingswerk "Netzkarte", das 1981 erschien und die Erlebnisse und Zufallsbekanntschaften eines Bahnreisenden schildert.

Schreiben als einziger Beruf

Erst neun Jahre später erschien sein dritter Roman, "Selim oder die Gabe der Rede", das von dem pfiffigen türkischen Gastarbeiter Selim und seiner Fabulierkunst handelt und dabei ein Porträt Deutschlands über 25 Jahre hinweg entfaltet. Nach seinem Schelmenroman "Ein Gott der Frechheit" (1994) lässt er in "Er oder Ich" (1999) den nun 50-jährigen Helden seines Erstlingswerks in einer Sinnkrise erneut auf Bahnreise gehen. Diesmal geht es auch in die neuen Bundesländer. In seinem jüngsten 2003 erschienenen Werk "Ullsteinroman" beleuchtete der Autor zum hundertjährigen Jubiläum die wechselvolle Geschichte des Berliner Verlagsimperiums Ullstein.

Seine Ideen bezieht der Autor "zweifellos daraus, dass man irgendwann genau hingeschaut und hingehört hat, in der Kindheit etwa". Ideen stellten sich laut Nadolny nur da ein, wo "im freigebigen Umgang mit Zeit und Sprache" gespielt werde. In Zukunft plant er zwei bis drei Bücher, eines davon mit Einzelgeschichten. Was er neben dem Schreiben macht? "Wenn es geht, gar nichts. Es geht aber nicht immer. Jedenfalls ist Schreiben mein einziger Beruf."

An diesem Donnerstag (26. Juli) erscheint bei Piper eine Neuausgabe seines berühmtesten Werkes. Mit einem ausführlichen Nachwort des Autors: "Ich beantworte darin einige Fragen, die mir häufig, und einige, die mir nie gestellt wurden", kündigt Nadolny an. "Die Überschrift könnte heißen: 'Mein Leben mit John Franklin'". (Ag.)

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