Smalltown-Amerika, irgendwo in Iowa

Tom Drury, die Stimme Iowas, ist selbst in dem unscheinbaren Bundesstaat aufgewachsen.
Tom Drury, die Stimme Iowas, ist selbst in dem unscheinbaren Bundesstaat aufgewachsen.(c) Conrad/The New York Times/Redux/laif
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In der meisterhaften Romantrilogie “Grouse County“ versammelt Tom Drury Durchschnittsamerikaner im vergessenen Mittelwesten: Ein liebevolles, warmherziges Porträt.

Flyover Country nennen die Amerikaner die Staaten im Mittleren Westen, die sie gemeinhin auf dem Trip von der Ost- an die Westküste oder vice versa überfliegen. In New York und Washington, in Los Angeles und San Francisco kümmert sich kaum jemand um „Average Joe“, den Durchschnittsamerikaner zwischen Ohio und Montana, zwischen Minnesota und Oklahoma – außer in Wahlzeiten, wo die republikanisch dominierten Bundesstaaten plötzlich in den Fokus der aufgeregten Berichterstattung rücken.

Die Bewohner Iowas können sich dann vor Aufmerksamkeit kaum retten, und jeder, der genug Neugierde und Interesse aufbringt, kann im Vorwahlkampf jeden der Kandidaten in einen Small Talk verwickeln. Darauf halten sich die Leute in Iowa bei aller Bescheidenheit alle vier Jahre doch einiges zugute. Sonst fristen die Farmer und Arbeiter, zumeist fromme Christen, ein Dasein fernab des Rampenlichts – erst recht in der Kunst und der Literatur. Umso größer war der Schock in den USA nach dem Triumph Donald Trumps im November 2016.


„Von Wahnsinnigen regiert.“ „Erst verlieren wir den Sheriff, bald auch den Bezirksrat. Als Nächstes stellen wir fest, dass wir nur noch von Wahnsinnigen regiert werden“, lässt Tom Drury in seiner Trilogie „Grouse County“ einen Farmer, einen eingefleischten Demokraten, sagen. Es ist ein Schlüsselsatz für das Verständnis der zutiefst gespaltenen Vereinigten Staaten von Amerika, prophetisch einige Jahre vor der Trump-Wahl niedergeschrieben.

Der gelernte Journalist Tom Drury, von Kollegen wie Jonathan Franzen als „großer amerikanischer Autor“ gepriesen, gilt im deutschen Sprachraum noch als Geheimtipp. Mit „Grouse County“, das die Romane „Das Ende des Vandalismus“, „Die Traumjäger“ und „Pazifik“ umfasst, sollte sich dies indessen schlagartig ändern. Mit liebevoll-sympathischem Blick, Fabulierlust und Sinn fürs Detail verfolgt Drury über beinah zwei Jahrzehnte das Schicksal von Louise und Tiny Darling und Sheriff Dan Norman, seinen drei Protagonisten, ihre ineinander verschlungenen Lebensläufe und die ihrer Familien, Freunde und Nachbarn in Grouse County, einem fiktiven Landkreis irgendwo in Iowa.

Drury zeichnet das Porträt eines durch und durch von Weißen geprägten Smalltown-Amerika, in dem die Globalisierung und die große Welt zwar allmählich Einzug halten, das aber dennoch seinen rustikalen Charme bewahrt. Hier tummeln sich Durchschnittsamerikaner wie jene, mit denen er als Farmersohn aufgewachsen ist, darunter manche mit einem kleinen Spleen, Nichtsnutze und Spinner.

Da ist Louise, die ein wenig in die Jahre gekommene Kleinstadtschönheit, die ihrer Ehe mit dem notorischen Verlierer Tiny überdrüssig ist, sich mit dem Sheriff einlässt, eine Fehlgeburt erleidet, zwischendurch nach Minnesota abtaucht, um letztlich wieder zurückzukehren. Tiny schlägt sich als Kleinkrimineller durchs Leben, läuft mittendrin einer verhinderten Schauspielerin und Anhängerin einer dubiosen christlichen Sekte über den Weg, die ihn und ihre Patchworkfamilie schließlich verlässt, um ihren Hollywood-Traum zu erfüllen. Und dann ist da noch Dan, so etwas wie die gute Seele von Grouse County, ein wenig unscheinbar und farblos.

Wie Drury den Leser in diesen provinziellen Mikrokosmos des Mittleren Westens hineinzieht, die Geschichte mit leichter Hand und sanfter Ironie vorantreibt und dabei ein Klima heiterer Gelassenheit evoziert und gleichzeitig die Neugier über den Fortgang der Handlung weckt, ist das reinste Vergnügen. Der dritte Teil endet folgerichtig, wie es der Titel verheißt, in den Wellen des Pazifiks an einem kalifornischen Strand. Drury-Fans hoffen freilich auf eine Fortsetzung in der Trump-Ära.

Neu Erschienen

Tom Drury:
„Grouse County“
Übersetzt von
Gerhard Falkner und Nora Matocza
Klett-Cotta
795 Seiten, 28,80 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2018)

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