Die Dämonen von Neapel

Wanda Marasco erzählt anhand einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungvon den dunkelsten Seiten der süditalienischen Stadt.

Rosa sitzt am Totenbett ihrer Mutter Vicenzina. Sie beobachtet sie lange, spricht mit ihr. Die Tochter will noch ein letztes Mal versuchen, diese harte Frau zu verstehen. Sie beschwört den Geist der Sterbenden – indem sie Vicenzinas Leben und das Neapel der 1950er- und 60er-Jahre erzählt.

In szenenhaften Rückblicken lässt sie die Vergangenheit der Mutter Revue passieren: die Kindheit am Land, gezeichnet von Elend, Gewalt, Wahnsinn; die Ehe mit einem verarmten Adeligen, geprägt von Demütigungen und Enttäuschungen. Und Vicenzinas „Karriere“ als Wucherin: Die Geldeintreiberin nimmt bei ihren Streifzügen durch Neapels Elendsviertel die kleine Rosa als „Buchhalterin“ mit.

Marascos düsterer Roman, der für den renommierten Literaturpreis „Premio Strega“ nominiert wurde, ist ein lyrisches Klagelied auf Neapel: Die Autorin erweckt die Dämonen der süditalienischen Stadt, wenn sie über diese brutale, blutige Welt mit ihren Klageweibern, Mördern und Dieben schreibt. Im Gegensatz zu Elena Ferrantes Neapel-Bestsellern verzichtet Marasco auf packende Erzählungen mit romantischen Protagonisten. Sie konzentriert sich auf Impressionen: Ihre Figuren huschen wie unruhige Schatten durch das Buch, getrieben von einer archaischen Magie.

„Am Hügel von Capodimonte“ ist kein einfaches Buch. Dafür dringt es umso tiefer in die Seele Neapels ein und nimmt den Leser mit auf eine faszinierende Reise in die dunkelsten Seiten dieser einzigartigen Stadt.

Wanda Marasco: „Am Hügel von Capodimonte“, übersetzt von Anette Kopetzki, Zsolnay-Verlag, 240 Seiten, 22,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2018)

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