Sabine Scholl: "In kein Muster mehr eingesperrt sein"

Sabine Scholl kein Muster
Sabine Scholl kein Muster(c) Michaela Bruckberger
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Sabine Scholl lebte eine Zeit lang in Chicago und New York, in Portugal und in Japan. Zurzeit wohnt sie in Berlin. Nun hat sie ihren ersten Krimi vorgelegt: "Giftige Kleider", das erste Buch zu einer geplanten Serie.

Sie waren bisher recht unstet, haben in Portugal, New York, Chicago und im japanischen Nagoya gelebt. Wo haben Sie sich am wohlsten gefühlt?

Sabine Scholl:Ich habe von überall etwas mitgenommen. In Portugal habe ich z. B. Geduld gelernt. Das ist eine wichtige Tugend dort. „Paciência“, das bedeutet, dass die Dinge nicht sofort passieren können. Ich musste Geduld und Gelassenheit lernen, die man dort braucht, weil die Leute sie ganz selbstverständlich pflegen.

Und wie war es in den USA?

In Amerika habe ich Chicago als Kreuzungspunkt von verschiedenen Kulturen kennengelernt. Sehr viele Mexikaner sind dort, viele Schwarze, die in den 1920er- und 1930er-Jahren nach Norden gezogen sind, dann eine Million Polen. Wir haben in einem Viertel gewohnt, wo die alle zusammengekommen sind. Das hat mich fasziniert. Begeistert haben mich die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen.

War das in Japan dann anders?

Nein, gar nicht. In Japan ist vielleicht die Höflichkeit am auffallendsten. Als Ausländer hat man es in so einem Land ja meistens mit Leuten zu tun, die Freunde im Ausland haben. Und die sind dann relativ offen, weil sie sich darüber freuen, dass sie Kontakt mit der „Außenwelt“ haben. Außerdem habe ich dort an einer Uni für „Intercultural Studies“ unterrichtet, das heißt, es war gewollt, dass ich über einen anderen Teil der Welt berichte.

Denken Sie, dass sich im Zuge der Globalisierung die Kulturen einander angleichen?

Nein. Ein paar Dinge vielleicht. Andere bilden sich aber gerade in der Gefahr der Angleichung wieder als identitätsstärkend heraus. Da greift man dann auf Traditionen zurück oder kommt überhaupt erst einmal drauf, was einem als Franzosen oder Spanier wichtig ist. Die jungen Leute basteln sich so Modelle, wo Altes und Neues zusammen lebbar sind. Wenn ich an die Generation meiner Tochter denke, die jetzt 17 ist, in Amerika groß geworden, französisch orientiert aufgewachsen ist, die nimmt sich von überall her Identitätsbruchstücke. Viele davon sind global, worüber sie etwa mit ihren Freunden in Chicago kommunizieren kann, andere sind ganz bewusst auf den Ort bezogen, wo sie jetzt lebt, also auf Berlin. Da identifiziert sie sich schon damit. Ihre Ausbildung wiederum ist französisch. Sie liest deshalb viel französische Literatur. Man hat jetzt eben Wahlmöglichkeiten, aber man muss auch die Kraft haben, solche Modelle selbst zu basteln.

Lösen sich solcherart Nationalitäten auf oder bildet sich das Bewusstsein einer nationalen Zugehörigkeit zurück?

Ich weiß nicht, ob Nationalität noch das richtige Wort ist. Also ich würde sagen: kulturelle Identität, die sich aus verschiedenen nationalen Bruchstücken zusammensetzt. Das Wort Nationalität stellt ja sehr auf diese formellen bürokratischen Dinge ab. Man weiß ja nicht, wie sich die EU weiterentwickeln wird, ob es einen Backlash geben und sie zerbrechen wird. Aber an dem Punkt sind wir jetzt, dass Bedrohungen klar werden, aber noch nicht sichtbar ist, in welche Richtung es weitergeht.

Sie haben nicht die Befürchtung, dass sich Identitäten auflösen und uns orientierungslos zurücklassen?

Nein. Es kommt darauf an, wie man Identitäten definiert. Es wäre ja nur nach rückwärts definiert, würde man sagen, früher war alles besser. Stimmt ja nicht. Man muss nur an diese Einschränkungen denken, die man hatte, z. B. nur in einer Region zu leben, sich nicht wegbewegen zu können, in ein Muster eingesperrt zu sein, das man von der Wiege bis zum Grab erfüllen musste. Für mein persönliches Leben war das eine sehr große Befreiung, dass es diesen Aufbruch geben konnte. Ich wäre todunglücklich geworden, hätte ich da bleiben müssen, wo ich hineingeboren wurde.

Grieskirchen war Ihnen zu eng?

Vielleicht nicht Grieskirchen, aber diese kleine Kindheitswelt, diese bäuerliche Welt, die nicht mehr wirklich funktioniert hat. Dieses System hat nur noch in Bruchstücken bestanden, und die Leute haben ja darunter gelitten. Viele, die geblieben sind oder die nicht weg konnten, sind ja auch draufgegangen dabei. Für mich wars wirklich eine Frage des Überlebens, da rauszugehen.

Aber Weggehen bringt doch auch Probleme mit sich. Wenn ich etwa an die Ermittlerin in Ihrem Buch, Gina Sonnenfels, denke, von der es an einer Stelle heißt, sie benutze Flugzeuge wie andere Menschen Straßenbahnen. Hat sie das von Ihnen?

Reisen ist wichtig. Sich in anderen Umgebungen wiederzufinden und sich dadurch auch als andere zu finden, das ist es, was mich daran fasziniert. Bei meinen Auslandsaufenthalten habe ich bemerkt, dass immer wieder andere Facetten meiner Persönlichkeit angesprochen werden. Nicht immer die Gleiche sein, der gleiche Mensch, die gleiche Person, dadurch, dass man von seiner Umgebung anders wahrgenommen wird. Das finde ich interessant und mag es als Lebensform.

Zurzeit leben Sie in Berlin, in einer Stadt mit Claus Peymann, der seinerzeit in Wien sehr schnoddrig-preußisch wahrgenommen wurde. Ist es für eine Österreicherin in Preußen leichter als für einen Preußen in Wien?

Vielleicht. Aber es ist auch für Peymann in Berlin nicht einfach. Der ist da so unbeliebt, man macht sich nur lustig über ihn. Niemand nimmt ihn ernst.


Vielleicht liebt er Wien deshalb so, weil er da so ernst genommen wurde.

Ja, das glaube ich auch. Da hat er eine richtige Funktion gehabt, da hat er etwas bewegen können. In Berlin ist er ein „künstlerisch nicht geschätzter Theatermensch“. Er wird da nur als Kasperl dargestellt, wo man sich darüber wundert, dass er dieses Theater (das Berliner Ensemble, Anm.) überhaupt noch führen kann.

Sie beschäftigen sich schon lange mit der Haut und was sie bedeckt. Hat das mit Ihrer Lust zu tun, die Identität zu wechseln?

Ja, dieser Verkleidungseffekt, dass man sich so verschieden präsentieren kann, dass es so viele Codes gibt, die mit Kleidern in Zusammenhang zu bringen sind. Es ist das Spielerische, das mich schon als Kind daran fasziniert hat. Meine Mutter hat nämlich für verschiedene Leute genäht, aber auch für uns Kinder. Für mich hat sie aus alten Kleidern neue genäht. Und da steckte ich dann in etwas, das sie kreiert hatte. Das war für mich der schönste Bezug zu meiner Mutter, dieses Spiel zwischen Frauen mit den Stoffen, mit den Kleidern, mit den Formen.

Denkt man an Sendungen wie „Germany's Next Topmodel“, dann hat die Modebranche doch auch eine antifeministische Komponente. Stört Sie das nicht?

Ich habe eine Freundin, die ist Designerin. Sie hat mich dazu angeregt, das Buch zu schreiben. Die ist sehr kritisch gegenüber der Modeindustrie, die ist gegen die Körperverbesserungsmethoden oder psychopharmakologische Interventionen. Diese „ernsten“ Themen versuche ich anzutasten. Etwa die ausgebeuteten Textilarbeiter, die Magermodels, schlechte Materialien, das Stehlen von Ideen, die Geschwindigkeit, mit der Modelle sich abwechseln, wo man als Konsument gar nicht mehr nachkommt. Also da gibt's genug „Fashion Victims“, also Opfer dieser Modeindustrie – und die können ja alle noch vorkommen innerhalb meiner Serie.


Und wie sehen Sie die Rolle des Feminismus in Österreich?

Bedenkt man die Ansprüche, würde ich sagen, dass es der Feminismus in Österreich nicht sehr weit gebracht hat. Im Vergleich zu Deutschland sind die Frauenrollen hierzulande noch viel konservativer definiert, schon allein diese Präsidentschaftskandidatin, die den Wählern serviert wird, die scheint noch aus der Generation meiner Urgroßeltern zu stammen. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Frauen in Deutschland etwa im Business und im wissenschaftlichen Betrieb bewegen, vor allem in den höheren Positionen, das ist hierzulande noch viel seltener.


Die Ermordete in Ihrem Krimi stirbt im und bis zu einem gewissen Grad am Dirndlkleid. Was bedeutet Trachtenmode für Sie?

In erster Linie: interessante Stoffe. Die gefallen mir so, wie mir auch ein mexikanischer Schal oder ein Kimonostoff in Japan gefällt. Das ist traditionelle Wertarbeit. Was mir widerstrebt, ist, wenn das ideologisch aufgeladen wird mit einer rückwärtsgewandten Traditionsliebe und der Vorstellung, dass in alten bäuerlichen Strukturen, wo man diese Kleidung noch selbstverständlich trug, das Leben schöner gewesen wäre. Weil das einfach nicht wahr ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2010)

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