"Die Presse" liest Neuerscheinungen. Diese Woche Tschaikowskys Ballett vom verwandelten Schwan, der dank Lisbeth Zwerger überleben darf.
Die wunderbare Illustratorin Lisbeth Zwerger gehört zu den Menschen, die bei Romeo und Julia immer noch auf ein glückliches Ende hoffen - egal, wie oft sie es gesehen haben. Deshalb konnte sie, als sie sich an "Schwanensee" machte, nicht widerstehen: Sie ließ in Tschaikowskys Ballett vom verwandelten Schwan, der nur durch die wahre Liebe erlöst werden kann, das Leben siegen - unterstützt von einer älteren Fassung des Tanzmärchens.
Man muss aber sagen, dass der Zauber dieses Buchs nicht durch die Handlung (ein Prinz möchte die Schwanenkönigin von ihrem Fluch erlösen und heiraten, ein böser Zauberer funkt dazwischen) entsteht, sondern durch die Bilder. Lisbeth Zwerger ist eine der besten ihrer Generation, die österreichische Künstlerin lässt die anmutigen Figuren über die Seiten tanzen, auch wenn sie jagen, laufen, sich verwandeln. Nur beim Erscheinen der Königin steht alles still.
Peter I. Tschaikowsky: "Schwanensee". Neu erzählt und illustriert von Lisbeth Zwerger. Erschienen im NordSüd Verlag. 32 Seiten, 16 Euro. Alter: Ab 4 Jahren
Nicht viele können das: Zufrieden zu sein mit dem, was sie haben. Wie auch immer sie entsteht, diese Gier nach immer mehr – sie ist zerstörerisch. Der wunderbare Illustrator Oliver Jeffers hat ihr ein Bilderbuch gewidmet, eine moderne Fabel. „Einst lebte ein Mann, der glaubte, ihm gehöre alles. Und er ging hinaus in die Welt, um sich anzusehen, was seins war.“ So beginnt die Geschichte dieses Fausto, der mit Schnauzer und hochgereckter Nase zur Blume hingeht und ihr sagt: „Du gehörst mir.“ Woraufhin die Blume antwortet: „Ja, ich gehöre dir.“ Man ahnt schon, was folgt; Fausto sagt diesen Satz nicht nur zur Blume, er beansprucht nach und nach ein Schaf, einen Baum, einen See, einen Berg. Und wer sich ihm nicht beugt, dem zeigt er, wer das Sagen hat. Mit geballten Fäusten und lauter Stimme. Eltern kennen das vielleicht? Nun, das Ende nicht. Es ist sehr einfach. Sehr einfach wirken auch die Bilder des Erzählers, reduziert zeigt er die Welt um diesen Wüterich, die Blume, die sich brechen lässt, den Baum, der sich beugt. Und rückt in den Blick, was wirklich wichtig ist. Jeffers hat eine Geschichte geschaffen, die sehr schlicht ist und sehr wahr. Ein großes Puzzlestück des Lebens. Oliver Jeffers: Die Fabel von Fausto. Übersetzt von Anna Schaub. Alter: Ab fünf Jahren. 96 Seiten, € 18,50 (Nordsüd Verlag).
Es ist so eine Sache mit traurigen Büchern für Kinder. Da gibt es immer ein kurzes Zögern, sozusagen ein „aber es ist traurig“. Von sich aus greifen Kinder, genauso wie Jugendliche, wohl eher zu den Titeln, die ihnen als lustig oder spannend beschrieben werden. Im Gedächtnis bleiben aber oft die, die sie zu Tränen rührten. Mit "Alles, was wir träumten“ legt die Australierin Karan Foxlee nun ein solches vor. Schon das Setting bekümmert: Im Ohio der 70er Jahre versucht eine Mutter, ihre beiden Kinder mit mehreren Jobs durchzubringen. Der Vater war nie wirklich da und irgendwann ganz weg, das Geld ist knapp, es reicht kaum für Miete, Essen und Kleidung. Und Davey hört und hört nicht auf, schneller als alle anderen zu wachsen. Es ist dieses ständige Größerwerden, das wie eine böse Vorahnung über der kleinen Familie schwebt, immer ist es da, alles nimmt Bezug darauf, und doch dauert es, bis „Gigantismus" diagnostiziert wird. Was den Geschwistern von ihrer Kindheit bleibt, entsteht aus der monatlichen Zustellung eines (gewonnenen) Lexikons in vielen Einzelbänden. Sie studieren die Ausgaben und lassen sich von Bären, Beringsee und Blattkäfern für die Natur begeistern, Lenny entwickelt eine seltsames Interesse an Insekten, Davey, mit sechs Jahren so groß wie ein Jugendlicher, eine Liebe zu Adlern. Die glasklare, melodische Sprache von Karen Foxllee beschreibt die Liebe zwischen dem großen, schiefen Bub, der trotz allem so laut und glücklich ist, und seiner Schwester, die natürlich auch genervt ist und sich für ihn schämt, so fein, so nahbar, dass man das Buch kaum weglegen mag. "Alles, was wir träumten“ von Karen Foxlee. 352 Seiten, 16,95 Euro. Alter: ab 11 Jahren.
Leichtfüßiges Erzählen ist eine Kunst. Wie gerne wird man von beschwingten Ideen überrascht - und wie selten passiert es tatsächlich. Die lettische Autorin Anete Melece hat mit ihrem Bilderbuch „Kiosk“ ein wunderbares Beispiel geschaffen. Da ist Olga, eine runde, rotwangige Frau mittleren Alters. Seit vielen Jahren schon führt sie einen Kiosk mit Zeitschriften, sie mag ihre Kunden, kennt ihre Wünsche. Der eine liest Horoskope, der andere läuft jeden Tag pünktlich um 10.35 Uhr vorbei und kauft eine Flasche Wasser. Und die Touristen fragen nach dem Weg zum Museum. Manchmal wünscht sich Olga hinaus aus ihrem Geschäft, das eine kleine Welt für sich ist. Ihre Welt. Bis Jugendliche versuchen, etwas zu klauen und der Kiosk kippt. Und siehe da: Er ist nicht nur transportabel, sondern sogar ein Transportmittel. Olgas Weg bis zum Meer ist eine herrlich humorvolle Geschichte über das Leben an sich. Über das, was uns einengt und das, was wir daraus machen können. Die kraftvollen und knallbunten Illustrationen stammen von der Autorin, sie sind ebenso achselzuckend fröhlich wie die Geschichte. Ein Buch, das zum Klassiker werden könnte. Anete Melece: Der Kiosk. Erschienen bei Atlantis, 40 Seiten, 15 Euro. Alter: Ab fünf Jahren.
Man braucht Zeit, um sich in diesem prall gefüllten Buch einzufinden: Was im großformatigen „Es steht geschrieben“ alles zum Thema Schrift zu finden ist, überwältigt. Dieses Wissen, das hier locker und flott vermittelt wird, hätte fünf andere Bücher füllen können. Allein schon die Anfänge des Schreibens: Nachrichten per Blume und Blatt, Ornamente im Sand, ein Perlengürtel als Vertrag: die Einfälle weitgehend schriftloser Völker scheint der Autor nett zu finden, doch Keilschrift und Hieroglyphen, die Frage, wie und warum vor tausenden Jahren Zeichen entstanden und wie sie sich entwickelten, ist doch weit beeindruckender. „Ich bringe dir eine Ziege, schreibst du mir einen Beleg?“ Vitali Konstantinov illustriert die Entwicklung der Schrift in Comics, darunter, darüber und daneben sind die Erklärungen zu finden. Auf jeder Seite seltsame Zeichen, Logogramme, Piktogramme, Buchstaben, die ostasiatische Schriftzeichen, Runen, Silbenschriften und Kunstschriften. Mehr als 7000 Sprachen wurden auf der Welt gezählt, die der Rotokas (Ozeanien) hat nur 12 Laute, das Italienische 32, dann gibt es aber auch noch welche mit Klicklauten, etwa in Südafrika, die können auf 160 Laute kommen. Wie kann man das alles schriftlich wiedergeben? Oder: kann man heute in Keilschrift oder vielleicht sogar in der Sprache der Klingonen (ja, die aus Star Trek) mailen oder simsen? Unzählige Fragen werden hier beantwortet, das Buch ist (über)voll gepackt mit Tabellen und Erklärungen, manch ein Kind wird dabei Unterstützung brauchen, manch ein Erwachsener genußvoll darin versinken. Wer bisher kein Fan von Graphic-Novels war, kann hier den Reiz dieser Form entdecken. Das Buch ist übrigens für den deutschen Jugendbuchpreis nominiert. Vitali Konstantinov: „Es steht geschrieben“. Von der Keilschrift zum Emoji. Gerstenberg Verlag, 80 Seiten, 25 Euro. Alter: Ab 10 Jahren
Wann geht uns die Gabe des genauen Hinsehens eigentlich verloren? Oder hapert es irgendwann einfach am Willen? An der Zeit? Kinder machen es ganz selbstverständlich, wenn sie klein sind. Sie können ewig vor einem Ameisenhügel stehen oder Stöcke einsammeln, betrachten die feinen Adern eines Blattes ganz genau. Gerade der Wald bietet einen unerschöpflichen Vorrat an Entdeckungen, er erdet und schärft die Sinne. Genau wie das schmale Büchlein in unscheinbarem Waldbodenbraun, das Linda Wolfsgruber geschrieben und illustriert hat. Sie versammelt in dieser „Kleinen Waldfibel“ Wissenswertes über Ameisen, Bienen oder Waldfrüchte, widmet eden größten Teil der Bestimmung von Bäumen, streut dazwischen Gedichte, von Goethe etwa oder Heinz Erhardt. Auf jeder Doppelseite feine, detailreiche Bilder. Hier findet man Erhellendes und Witziges, lose ineinandergefügt und ohne Inhaltsverzeichnis, sogar Rezepte; insgesamt ist das Büchlein mehr Inspiration als Nachschlagewerk. Die ausnehmend schöne Buchgestaltung so wie die Illustrationen machen es zu einem Kleinod unter den vielen großformatigen, imposanten Sachbücher, die man derzeit oft sieht - es findet durch seine Kompaktheit garantiert noch ein Plätzchen im Wanderrucksack. Vielleicht auch eher in dem der Erwachsenen als dem der Kinder. Linda Wolfsgruber: Die kleine Waldfibel. Buchgestaltung: Christiane Dunkel-Koberg. Erschienen bei Kunstanstifter, 144 Seiten, 24 Euro. Alter: Ab fünf Jahren.
Viele Kinderbücher folgen einem klassischen Heldenschema, und wenn die Protagonisten nicht schon mit dem Wissen um ihren Mut, ihre Stärke und Klugheit zur Welt kamen, so werden sie im Laufe des jeweiligen Buchs erweckt. Helsin ist erfrischend anders. Das an sich sehr fröhliche Mädchen verliert (und welches Kind kennt das nicht?) immer wieder die Kontrolle über sich. Diese Phasen sind kurz und heftig, da kocht die Energie in ihr über und „spült eine rasende rote Welle in Helsins Körper hoch, und dann sieht und hört und riecht und schmeckt Helsin nichts anderes mehr als FEUERROT“. Das, was dann kommt, nennen alle nur den „Spinner“. Ein solcher steht schon am Beginn des Buches von Stefanie Höfler, denn als ein neuer Bub in Helsins Klasse kommt, der die Regeln des Umgangs mit ihr noch nicht kennt, läuft alles anders, als sie es gewohnt ist. Woraufhin sie einige ziemlich schlechte Ideen entwickelt, etwa die Entführung eines Leguans, der dann auch noch den Schwanz abwirft. „Helsin Apelsin und der Spinner“ ist eine humorvolle Geschichte, die in all ihren Wendungen so nachvollziehbar bleibt wie selten ein Kinderbuch. Es ist auch eine Geschichte, die Kindern in klarer, schöner Sprache ihr eigenes Gefühlschaos näher bringt: was für ein Verdienst. Stefanie Höfler: "Helsin Apelsin und der Spinner". 208 Seiten, 12,95 Euro, erschienen bei Beltz & Gelberg. Alter: Ab acht Jahren.
Leselust bedeutet bei vielen Kindern vor allem eins: ein spannendes Buch, das sie nicht mehr aus der Hand legen wollen. Dass der deutsche Autor Patrick Hertweck recht genau weiß, wie er ein solches anlegen muss, zeigt er in seinem historischen Roman rund um zwei Mädchen im Wilden Westen. Während die eine in einer Blockhütte in der Wildnis aufwächst, lebt die andere in einem herrschaftlichen Anwesen, abgeschottet vom städtischen Schmutz und der Kriminalität nach dem Ende des Goldrauschs. Tara und Tahnee sind denkbar unterschiedlich, ihre Leben aber miteinander verbunden. Ein wirklich grauslicher Kopfgeldjäger bringt die Handlung ins Rollen. Er sucht Taras Vater, einen Geheimniskrämer, das Kind muss sich schließlich allein von der Sierra Nevada nach San Francisco durchschlagen und weiß noch nicht einmal warum. „Tara und Tahnee. Verloren im Tal des Goldes“ ist ein Buch, das Kinder ab zehn Jahren verschlingen: Flucht und Jagd, schnelle Wendungen und Geheimnisse, detailreiche Schilderungen des Lebens im 19. Jahrhundert. Patrick Hertweck: „Tara und Tahnee. Verloren im Tal des Goldes“. 304 Seiten, 15 Euro. Erschienen bei Thienemann. Alter: Ab zehn Jahren
Nicht erst seit dem Erfolgsbuch „Good Night Stories for Rebel Girls“, das außergewöhnliche Frauen porträtierte, ist klar: Mini-Biografien mit Botschaft kommen gut an, bei Kindern ebenso wie bei Eltern. Eine recht junge Zielgruppe, nämlich schon Kindergartenkinder, spricht die Buchreihe „Little People, Big Dreams" an, die seit Frühjahr 2019 auf Deutsch erscheint. Auf jeweils 32 Seiten werden hier Menschen vorgestellt und ihre Kindheit, ihre Anfänge gezeigt. Autorin María Isabel Sánchez Vegara filtert Träume heraus und zeigt in äußerst hübsch illustrierten Bänden Vorbilder, die ihren Weg gegen Widerstände gingen, die sich gegen Konventionen oder Ungerechtigkeit auflehnten. Hannah Arendt etwa. Sie war oft allein, erfährt man in dem der Philosophin gewidmeten Büchlein, sie lernte Gedichte auswendig „und spielte Nachdenken“. Am Schulhof wurde sie, die Jüdin war, beschimpft. Lehrer beleidigten sie, doch sie wehrte sich, bis sie von der Schule geworfen wurde. Hannah studierte Philosophie, wurde politisch aktiv, floh vor den Nazis, schrieb aber weiter gegen sie an. All das erfährt man in kurzen, einfachen Sätzen. Mit den Worten „Man muss sich wehren, man darf sich nicht ducken“ schließt das Porträt die Gedanken der Philosphin. Vor allem Frauen fanden ihren Weg in die Reihe: Marie Curie, Rosa Parks, Coco Chanel, Frida Kahlo, Anne Frank, Jane Goodall, Maria Montessori und andere. Es gibt aber auch einige wenige Männer wie Stephen Hawking, David Bowie oder, ebenfalls neu, den Boxer Muhammad Ali. María Isabel Sánchez Vegara, Sophia Martineck: Hannah Arendt. Aus der Reihe Little People, Big Dreams. Insel Verlag, 32 Seiten, 13,95 Euro. Alter: Ab vier Jahren.
Ja, wir sagen Kindern, wie sie sich verhalten sollen. Oder besser: wie nicht. Und ja, das, was wir da fordern, halten wir selbst nicht unbedingt ein. Wahrscheinlich gehen wir oft davon aus, dass sie das nicht bemerken. Im amüsanten Büchlein „So was tun Erwachsene nie!“ wird uns aufgezeigt, dass Kinder natürlich sehr genau beobachten, wie wir fluchen, etwa wenn das Auto liegenbleibt. Wie unsere Schreibtische im Chaos versinken, wie wir ständig aufs Handy starren, auch mal rülpsen, beim Spielen schummeln oder die Schuld auf andere schieben. Und wenn das Haustier dafür herhalten muss. Die Kinder, die in „So was tun Erwachsene nie!" auftauchen, sind, was sie so oft sind: Scharfsinnige Beobachter, ausgestattet mit der Begabung, genau das zu sehen, was wir verstecken wollen. In den peppig-bunten Momentaufnahmen von Davide Cali, Benjamin Chaud und Ebi Naumann schleichen sich mit ihren Notizblöcken, Ferngläsern und Aufnahmegeräten an. Sie finden die perfekten Verstecke, lassen ihrem detektivischen Spürsinn freien Lauf. Und finden Erwachsene, die sich so verhalten, wie sie es nicht sollten. Herrlich komisch, diese Aufdeckerei. Davide Cali, Benjamin Chaud, Ebi Naumann: "So was tun Erwachsene nie!". 40 Seiten, 12 Euro, erschienen bei Thienemann. Alter: Ab vier Jahren.
150 Jahre dauern für die 4,5 Milliarden Jahre alte Erde gerade einmal so lange wie für einen Menschen ein Wimpernschlag. In diesem Zeitraum ist die globale Durchschnittstemperatur um ein Grad gestiegen. Wie es dazu kam und welche Folgen das bei uns und in anderen Weltgegenden hat, erfährt man in „Wie viel wärmer ist 1 Grad“. Die klare Sprache (Kristina Scharmacher-Schreiber) wird ergänzt um eine detailreiche Bildsprache (Stephanie Marian), die bisweilen ins Comichafte geht. Da schlittern Adelige in der Kleinen Eiszeit elegant übers Eis, während sich ein paar Seiten weiter pupsende Kühe in der Illustration zum Treibhauseffekt tummeln und ein Kellner seinen Gästen Ameisen und Grillen schmackhaft macht. Dem Buch gelingt es, klares Wissen und komplexe Zusammenhänge zu vermitteln, ohne in apokalyptische Schilderungen zu kippen. Und es zeigt Auswege aus der Krise – das reicht von einer Energiespar-Checkliste für den eigenen Alltag bis hin zu der Utopie einer klimaschonenden Gesellschaft, in der Dächer begrünt, der Konsum zurückgefahren und Pflanzen aus nicht zu vermeidendem Müll gedüngt werden. Das „Wissenschaftsbuch des Jahres“ beinhaltet einen vollen Rucksack Informationen, mit dem schon Volksschüler in Klimawandel-Fachsimpeleien einsteigen können. Kristina Scharmacher-Schreiber und Stephanie Marian: „Wie viel wärmer ist 1 Grad? Was beim Klimawandel passiert“. 96 Seiten. Erschienen bei Beltz & Gelberg. Alter: ab 7 Jahren. 15,40 €
Dreiecke sind nicht eben für ihre Emotionalität bekannt. Dass die Kinderbuchkünstler Mac Barnett und Jon Klassen gerade geometrische Formen ausgewählt haben, um von Freundschaft und Angst ebenso wie von kleinen Bosheiten zu erzählen, mag deshalb verwundern. Aber es passt zu ihrem minimalistischen Stil, den man schon aus ihren früheren Büchern kennt. Nun werfen in den gleichnamigen Büchern Dreieck, Kreis und Quadrat, die mit großen runden Augen und Strichmännchen-Beinen daherkommen, mit wenigen Worten und Farben ihre philosophischen Themen auf. Etwa: Was ist Vollkommenheit? Wie ehrlich sind wir? Was kann eine Freundschaft aushalten? Oder: Muss man Regeln befolgen? Eine witzige Trilogie, die Grundfragen des Menschseins stellt. So, dass kleine Kinder darüber reden wollen. Nur - aber das ist Meckern auf hohem Niveau - nicht ganz so brillant wie in Klassens „Wo ist mein Hut?“ oder „Das ist nicht mein Hut“. Mac Barnett, Jon Klassen: „Dreieck“, „Kreis“ und „Quadrat“. Erschienen im NordSüd Verlag. Zwischen 40 und 48 Seiten; 15 Euro pro Stück. Alter: Ab vier Jahren.
Oft geht es sehr schnell zu in Kinderbüchern, ein Ereignis jagt das nächste, da bleibt wenig Zeit zu Schmunzeln oder sich ein wenig im Philosophieren zu üben. „Zackarina und der Sandwolf“ von Åsa Lind ist da ganz anders, dieses Buch für Kinder ab sieben Jahren ist gefüllt mit fantasievollen Episoden, die zum Nachdenken verleiten. So wie die Frage nach der Unendlichkeit des Universums, durch die Zackarinas Kopf sich anfühlt, als ob er platzen müsse. Diese Unendlichkeit, die hinter dem Sonnenuntergang lauert und nicht begriffen werden kann. Also besser: nicht könnte, denn der Sandwolf hilft dabei. Wenn Zackaria Dialoge mit ihrem Begleiter führt, dem zufällig von ihr am Sandstrand ausgegrabenen Wolf, dann ist da stets ein leiser Witz, liebeswerter Charme. Wenn das Mädchen entdeckt, wie schwierig es ist, nichts zu tun. Oder sich fragt, was sie war, bevor sie sie selbst wurde. Also bevor sie im Bauch ihrer Mutter zu wachsen begann. Wenn sie überlegt, warum Eltern über schmutzige Schuhe schimpfen. Oder ihre Sprache entdeckt, ihre ganz eigene – und sich fragt, welchen Sinn eine Sprache hat, die niemand versteht. Aber dann versteht sie eben doch jemand. Åsa Lind: Zackarina und der Sandwolf. Erschienen bei Gulliver, 120 Seiten, 9,95 Euro. Alter: Ab sieben Jahren.
Zwei Milliarden Kinder unter 15 Jahren gibt es auf der Welt - aber wie leben die alle? Schwer zu sagen, würde man antworten, hätte man nicht „100 Kinder“ bei der Hand. In diesem Kindersachbuch übt sich der kluge Christoph Drösser gemeinsam mit Illustratorin Nora Coenenberg in der hohen Kunst der Vereinfachung. Wenn die Welt ein Dorf von 100 Kindern wäre, wie viele leben dann direkt am Meer? Wie viele haben keine Schuhe? Wie viele werden von einem König oder einer Königin regiert? Wie viele sind Vegetarier oder gegen Masern geimpft? In dieser wunderbaren Sammlung von Statistiken werden nicht nur nackte Zahlen serviert, sondern allerlei Wissenswertes drumherum, auf bunten Seiten. Etwa zum Thema Fahrrad: In den Niederlanden gibt es genauso viele Fahrräder wie Menschen, in ärmeren Ländern dagegen ist es ein teures Transportmittel und viele Familien besitzen nur eines. Insgesamt haben 52 von 100 Kindern zuhause ein Rad. Christoph Drösser musste im Laufe seiner Recherche übrigens feststellen, dass es zu negativen Themen (Hunger, Krieg, Armut) viel mehr Zahlen gibt als zu Sport, Spiel oder Spaß. Er hat es trotzdem geschafft, das Buch ausgeglichen zu gestalten: Von Kinderheirat bis Kurzsichtigkeit. Christoph Drösser, Nora Coenenberg: 100 Kinder.104 Seiten, 14 Euro. Alter: Ab acht Jahren. Erschienen im Thienemann Verlag.
Die britische Autorin Jess French ist Tierärztin. Und sie mag offenbar alle Tiere, auch die toten, auch die schrecklichen. Weshalb sich in ihrem Buch, das zuerst einmal wegen seiner wunderschönen, großformatigen Illustrationen auffällt, die Schrecken in Grenzen halten. Zwar liest man von stillen und gewalttätigen Riesen, von Faultieren, die so schwer waren wie ein Elefant und von Bären, die zu Zeiten der Römer zur Vollstreckung der Todesstrafe eingesetzt wurden. Aber Illustrator Daniel Long hat besonders furchterregende Tiere in freundlichem Gelb und warmem Orange dargestellt und große Schautafeln daneben gestellt. Im Buch geht es übrigens auch um Lebensbedingungen. Natürlich, denn die - oder besser, die Veränderungen, die die Erde im Laufe der Milliarden Jahre durchgemacht hat - sind ja der Grund dafür, dass immer wieder Tierarten ausstarben. Kontinente haben sich verschoben, Berge und Meere sind entstanden und verschwunden, die Temperaturen haben sich verändert. Und der Mensch ist gekommen und hat zum Sterben einiger Arten recht aktiv beigetragen. Doch das Buch "Verlorene Arten" ist keine große Anklage, gottseidank. Im Zentrum stehen Tiere wie die Wandertauben, derer es einmal so viele gab, dass ihre Schwärme die Sonne verdunkelten. Es geht um prominente Arten wie das Wollmammut, Dodos oder weniger bekannte wie chinesische Flussdelfine oder Riesenmoas (Vögel ganz ohne Flügel). Ganz nach dem Motto: "Verloren, aber unvergessen“. Jess French, Daniel Long: Verlorene Arten. 64 Seiten. Alter: Ab acht Jahren. Erschienen bei Knesebeck. 18 Euro.
„In demselben Jahr, in dem Vida geboren wurde, war der Wächter so alt, dass die Zeit sich abwandte, sobald er ihren Weg kreuzte. Im Gegensatz zu Vida kam der Wächter nicht zur Welt. Er entwuchs aus der reinen Furcht heraus…“ So eigenwillig klingt der neue Roman von Zoran Drvenkar, in dem der Tod in Gestalt eines Habichts auf dem Wipfel einer Tanne sitzt und auf die Geburt eines Kindes wartet. Allerdings eigenwillig im besten Sinn. „Licht und Schatten" ist ein fantastischer Jugendroman voller Naturgewalt, poetisch und herzzerreißend traurig. Er zieht seinen Leser unweigerlich in seinen Bann, packt ihn, wie die Habichte und Krähen im Buch ihre Beute mit festen Krallen umschließen. Das liegt nicht nur an der Figur des dickköpfigen Mädchens Vida, das es so schwer hat, auf die Welt zu kommen und dann in ihr zu bleiben. Eines Mädchens mit unglaublichem Kampfgeist, das der Welt das Licht zurückbringen soll. Das liegt auch an der Sprache des vielfach ausgezeichneten deutschen Autors Zoran Drvenkar, die starke und kluge Bilder schafft, die aus der Zeit gefallen scheinen. Ein wenig erinnern sie an russische Märchen - und die Geschichte beginnt auch im Russland des 18. Jahrhunderts. Man spürt die Kälte und riecht den Schnee. Jedenfalls: Ein Buch mit Suchtfaktor. Zoran Drvenkar: Licht und Schatten. 584 Seiten, 19,95 Euro. Alter: Ab 14 Jahren. Erscheinen bei Beltz & Gelberg.
Auch wenn das Cover anderes vermuten lässt: "Das Abrakadabra der Fische" ist keine Hommage an Großväter, keine idyllische Geschichte über einen wunderbaren Urlaub am Land. Denn die zwölfjährige Vonkie besucht ihren Opa nicht freiwillig. Ihre Eltern streiten viel und wollen sich Zeit nehmen, "einiges miteinander zu besprechen". So kommt das Mädchen auf den Bauernhof, wo abgesehen von traurig aussehenden Kälbern nicht viel ist. Denkt das Mädchen zumindest, denn schnell wird klar, dass der Großvater ein Geheimnis hat. Er erzählt viel aus seiner Vergangenheit, seiner Kindheit, seinen Brüdern. Aber die Fragen seiner Enkelin beantwortet er nicht. Zwischen Rahmen- und Binnenerzählung steckt ein Bruch, der lange Jahre verborgen blieb und dem Vonkie nun auf der Spur ist. Es ist eine spannende Geschichte, die der niederländische Autor Simon van der Geest hier zwischen Gegenwart und Vergangenheit spannt. Sie erzählt von den Dingen, die uns auseinander- und zusammen bringen: Loyalität und Sturheit. Übersetzt übrigens von der großartigen Mirjam Pressler. Simon van der Geest: "Das Abrakadabra der Fische“. 320 Seiten. Empfohlenes Alter: Ab zehn Jahren (aber durchaus früher möglich). Erschienen bei Thienemann. 15 Euro.
Wer Pilze bisher für ein überschaubar interessantes Thema gehalten hat, der kann mit diesem Buch durchaus eines Besseren belehrt werden. Das beginnt schon damit, dass Pilze weder zur Flora, noch zur Fauna gehören. Sie bilden ein eigenes Reich, das Funga genannt wird. Biologen sagen, Pilze sind näher mit Tieren als mit Pflanzen verwandt. Und man nimmt an, dass erst sieben Prozent der Pilze bekannt sind. Es gilt also noch etwa eine Million zu entdecken. Sie wachsen in allen Klimazonen, an Land und im Wasser, unter der Erde, auf ihr und sogar in den Verdauungstrakten von Mensch und Tier. Das und noch viel (!) mehr erfährt man im Buch „Pilze. Verrückte Fakten über Fliegenpilz, Hefe und Co.“, einem großformatigen Buch, an dessen Illustrationen man sich nicht sattsehen kann: Die Bilder von Asia Gwis sind ebenso klar wie kunstvoll. Gezeigt werden Speisepilze und giftige Pilze, Pilze mit lustigen Namen und Baumpilze (die übrigens auch schon im Kampfflugzeugen eingesetzt wurden). Und vielleicht ersetzen Pilze in Zukunft sogar das Plastik. Wer dieses Buch liest, entdeckt seine Liebe zu den Fungi. Nur das Wort „Schwammerl“ vermisst man. Liliana Fabisinska und Asia Gwis: Pilze. Verrückte Fakten über Fliegenpilz, Hefe und Co. Erschienen im Knesebeck Verlag. 96 Seiten; 24 Euro. Alter: Ab acht Jahren.
(c) Knesebeck
Unter allen Rätselarten sind sie bei Kindern wohl am beliebtesten: Labyrinthe. Einem Netz aus Abzweigungen, Kreuzungen und Sackgassen mit dem Finger zu folgen scheint glückstechnisch in derselben Liga wie Tortenessen zu spielen. Der Illustrator Jan Bajtlik hat nun ein ganzes Buch mit zusammenhängenden Labyrinthen gefüllt, die durch die Mythen des antiken Griechenland führen. Der Name für die großformatige Wegsuche liegt wohl auf der Hand: „Ariadnes Faden“. In diesem Buch wandert man nun fröhlich mit dem Finger durch das Gewirr der vielen feuerspeienden Köpfe des Ungeheuers Typhon. Oder begleitet Prometheus durch ein Gewirr von Gipfeln, an deren Spitzen seine Taten und seine Bestrafung dargestellt sind. Um die und in der Akropolis ist ebenso ein Wegenetz wie auf der Insel der Zyklopen. Im Beastiarium sucht man seinen Weg an den vielen Misch- und Tierwesen vorbei, etwa Chimaira, Greif oder Skylla. Die Wege sind überraschend unterschiedlich gelegt. Dass dabei auch Grausliches zu sehen ist, liegt auf der Hand. Sie waren ja nicht zimperlich, die mythischen Helden. Wie man, wenn man mehr zu den einzelnen Orten, Taten oder Helden wissen will, auch im sehr ausführlichen Anhang nachlesen kann. Insgesamt ein herrlich verspielter Zugang zu einem Kulturschatz. Jan Bajtlik: Ariadnes Faden. 80 Seiten. Alter: ab 8 Jahren. Erschienen im Moritz Verlag.
Zählbücher sind eine recht spezielle Untergattung der Kinderliteratur. Hier werden eins, zwei, drei undsoweiter Gegenstände oder Personen auf die Seiten gemalt, in aufsteigender Folge. Klingt langweilig? Ist es aber keinesfalls. Denn schon seit einer Weile haben wunderbare Illustratoren diese Gattung erobert, und so kann man das Kind am Schoß mit Vergnügen dabei begleiten, wie es alles zählt, was sich zählen lässt. Beispiel gefällig? Im Büchlein „Wenn ich einmal groß bin“ hat Maria Dek sich mit Wasserfarben der Frage gewidmet, wie Kinder sich in der Zukunft sehen. Etwa: „Wenn ich einmal groß bin, werde ich richtig groß sein, so groß wie 1 Riese.“ In diesem Ton und mit schlichten Bildern auf weißem Hintergrund werden wir an Fahrrädern mit 2 Hupen und Eistüten mit 5 Kugeln vorbeigeführt und kommen auch zur Frage der Erwerbstätigkeit: "Ich werde 7 verschiedene Berufe haben - einen für jeden Tag in der Woche“. Da springt man über Lacken und erklimmt Berge oder überlegt sich, was man durch die 13 Fenster seines Baumhauses sieht. Die kinderlogische Mischung aus sehr vernünftig und doch recht absurd macht das Zählen bis 25 in diesem Buch zu einem fantastischen Spaß. Maria Dek: „Wenn ich einmal groß bin“ 48 Seiten, 13 Euro. Alter: Ab drei Jahren. Erschienen im Knesebeck Verlag.
(c) Knesebeck
Wann kann man Kindern Goethe näherbringen? Schon recht früh, wenn man Gerda Muller an seiner Seite hat. Denn die vielfach ausgezeichnete Illustratorin hat die bekannte Ballade "Der Zauberlehrling" um die Geschichte vom Bauernsohn Florian erweitert, der auf der Suche nach einer Lehrstelle den Zauberer Sigiswald findet, dort vieles lernt und dann, an einem Tag, als er allein gelassen wird, jene bekannte Sauerei veranstaltet.Goethes berühmte Worte, das "Walle! walle/ manche Strecke,/ daß, zum Zwecke,/ Wasser fließe/ und mit reichem, vollem Schwalle/ zu dem Bade sich ergieße" findet man erst ganz am Ende, auf der letzten Seite, klein gedruckt. Zuvor kommt die Geschichte. Und vor allem die Bilder, die Mullers schnörkellosen Worten ein Gesicht geben. Sie zeigen Florian zwischen kindlicher Verzweiflung und Machtwahn. Und ein ordentliches Zimmer, in dem ein Skelett als Kleiderständer bereit steht, ein fliegender Fisch über den Köpfen von Herr und Lehrling thront, und eben jene Besen schon bereit stehen. Ein ebenso charmanter wie unaufgeregter Zugang zu einem der berühmtesten Gedichte der deutschsprachigen Literatur. Gerda Muller: Der Zauberlehrling. 24 Seiten. Alter: ab drei Jahren. (besser aber erst später). Erschienen im Moritz Verlag.
(c) Moritz Verlag
Warum lieben Kinder Regen so sehr? Wen diese Frage bisher ratlos zurückließ, der sollte dringen "Weißt du, wo es Katzen und Hunde regnet?" (vor)lesen. In dem Bilderbuch erzählt die kleine Mia, was sie denkt, fühlt und riecht, wenn der Himmel seine Schleusen öffnet. Sie will damit Frau Ernestine den Reiz der prasselnden Tropfen näherzubringen, denn die mag Regen überhaupt nicht. So findet man in der Geschichte vor allem Schöne Sätze wie diesen hier: "Regen riecht nach Hunden und Katzen, nach Asphalt und Bahnhöfen, nach Holz, Gras und Baumrinden, nach Sommer und Schneeflocken". Oder: "Du kannst in den Regen spucken. Sieht keiner." Birgit Unterholzner kleidet Gerüche, Farben und Gefühle in Worte. Clara Frühwirth in Bilder. Ein hübsche kleine Geschichte, die aufmerksam dem Alltäglichen nachspürt. Birgit Unterholzner, Clara Frühwirth: Weißt du, wo es Katzen und Hunde regnet? 32 Seiten. Alter: ab 4 Jahren. Erschienen bei Picus.
Passend zum 50-Jahr-Jubiläum der ersten Mondlandung wird ebenjene auch in Kinderbüchern bestens beleuchtet. John Hare lässt seine Gedanken etwas weiter kreisen, nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Ganz ohne Worte erzählt er die Geschichte einer Schulklasse, die eine Exkursion zum Mond unternimmt. Offenbar ist das nichts Besonderes, da werden Krater besichtigt, Sterne betrachtet und Gräben übersprungen. Eins der Kinder im Raumanzug sitzt lieber in einer Kule und malt, woraufhin es - so etwas passiert - am Mond vergessen wird. Allein ist es dort aber nicht, aufmerksame kleine Betrachter entdecken bald freundliche (und etwas ängstliche) Mondbewohner. Es ist eine besondere Geschichte der Annäherung, die in "Ausflug zum Mond" erzählt wird. Die weichen, runden Darstellungen zeigen, was trennt und verbindet - und die klug eingesetzten Farben schlagen eine Brücke zwischen Kind und Aliens. Ein wunderbarer, sensibler Erstling des Grafikdesigners John Hare. John Hare: Ausflug zum Mond. Erschienen im Moritz Verlag, 48 Seiten; 14 Euro. Alter: ab 4 Jahren.
Ein wenig altmodisch kommt sie daher, diese Biographie von Neil Armstrong, aber das passt ja auch zum Thema: 50 Jahre ist es her, seit "der Adler gelandet ist", seit der erste Mensch den Mund betreten hat. "War Armstrong deshalb ein Held?", fragt Autorin Katrin Hahnemann in ihrem Buch. Und: Er selber hätte Nein gesagt. Insgesamt 400000 Techniker und Wissenschaftler, Piloten und Ingenieure waren an dem Projekt beteiligt. Mit viel historischem Bildmaterial erzählt die Autorin in "Neil Armstrong: Der erste Mensch auf dem Mond" die Lebensgeschichte des Astronauten, bettet sie ein in die Zeit, erklärt die Umstände. Und schreibt auch darüber, wie er später mit seinem übermäßigen Ruhm umging. Eine gelungene Biographie: verständlich und spannend. Katrin Hahnemann: Neil Armstrong: Der erste Mensch auf dem Mond. 104 Seiten; 12,99 Euro. Alter: ab zehn Jahren. Erschienen bei arsEdition.
Nein, sie heißt nicht "Meerjungfrau". Im tieftraurigen Märchen des Dichters Hans Christian Andersen ist es die kleine "Seejungfrau", die aus Liebe zu einem schönen Prinzen alles aufgibt. Ihre Geschichte (von der wir übrigens mittlerweile wissen, dass Andersen darin ein Stück seines Dramas als Homosexueller versteckte) findet sich in einer neuen Ausgabe der "schönsten Märchen" des Dänen. Fünf sind es insgesamt, neben der Seejungfrau finden sich noch "Des Kaisers neue Kleider", "Das hässliche junge Entlein", und "Die chinesische Nachtigall" in dem Märchenbuch. Auch das "Däumelinchen", das nicht ganz so schön und weise ist wie die anderen Geschichten, findet sich darin. Die wunderbaren, verträumten, großformatigen Bilder des tschechischen Illustrators Josef Palecek setzen sie perfekt in Szene. Hans Christian Andersen, Josef Palecek: „Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen". Erschienen im NordSüd Verlag. 176 Seiten; 20,60 Euro. Alter: Ab vier Jahren.
NordSüd Verlag
„Ich mache mir den Eintopf von gestern warm und stell das Radio an. Dann kommt dieses Lied. Es fängt an und dudelt nicht einfach, wie Radio so dudelt. Es kommt zu mir und schaut mir ins Gesicht und tippt mir auf die Schulter, dass ich glaub, ich bin damit gemeint.“ Dieses Ich, das ist Pauline. Und es ist nicht nur Musik, die sie plötzlich anders wahrnimmt: Sie steckt irgendwo zwischen Kind und Pubertät, und das ist nicht einfach. Besonders, weil sich in letzter Zeit alle verlieben. Viele Bücher scheitern daran, die Gefühlswelt von Heranwachsenden zu beschreiben, manche versuchen es witzelnd, andere geben Allwissenheit vor. „Wörter mit L“, geschrieben von der vielfach ausgezeichneten Autorin Tamara Bach, ist die große Ausnahme. Ein feinfühliges Buch, das Großes nicht kleinredet und Kleines nicht groß. In klaren, einfachen Sätzen schreibt Bach über Brüche in Paulines Freundschaften und Familie (wunderbar die Passagen über ihren kleinen Halbbruder, der für sie so gar nicht halb ist) und über ihre Wut und Unsicherheit, wenn sich alles verändert. Oft sucht Pauline nach Wörtern; oft sind es die Leerräume, das Nichtgesagte, mit denen die Autorin Türen öffnen. Man möchte sie dafür umarmen. Tamara Bach: „Wörter mit L“. Erschienen im Carlsen Verlag, 176 S., 11 Euro. Alter: ab 11 Jahren.
(c) Carlsen
Es ist schon gemein, wie manche Tiere vorgehen, wenn sie hungrig sind. Zum Beispiel der Steinadler, der aus großer Höhe Schildkröten fallen lässt. Ob er sie dann immer wiederfindet? Einfallsreicher ist da etwa der Schützenfisch, der, man errät es, seine Opfer abschießt. Wie das geht? Die Fische können einen starken Wasserstrahl spucken und schießen damit Insekten von Uferpflanzen. Wenn sie ins Wasser fallen, ist Essenszeit. Zehn Meister der Jagd werden in "Tierisch tödlich" vorgestellt, neben den bereits erwähnten etwa auch Einbrecher (Eisbären) und Schauspieler (Hermeline). Das ist nicht nur erhellend, sondern auch sehr unterhaltsam. Autor Markus Bennemann hat Krimis fürs Fernsehen geschrieben und arbeitet heute als Wissenschaftsredakteur - eine gute Kombination. Schön und vor allem kindergerecht sind auch die atmosphärischen Illustrationen und die großen Aufklappseiten im Buch. Markus Bennemann, Janine Czichy: Tierisch tödlich. Die raffiniertesten Jagdtricks in der Natur. 64 Seiten; 20,60 Euro. Alter: ab acht Jahren. Erschienen bei Gerstenberg.
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Das Hochgebirge des Himalaya ist „ein Ort der Entdeckung, der Erfindung und der Fantasie“, steht in der Einleitung von „Everest“. Den Beweis dafür, dass das nicht übertrieben ist, tritt das Buch auf 80 Seiten an. Da wird erklärt, wie man so etwas Riesiges überhaupt messen kann (er sieht übrigens aus der Ferne gar nicht wie der höchste Berg aus), es werden Yaks und Sherpas vorgestellt, von den hinduistischen und buddhistischen Gebetsstätten in den Tälern und auf den Pässen erzählt, vom Bergsteigen und dem Kampf um den Sauerstoff und von Starkwinden. Die Illustratorin stellt all das in einer Klarheit dar, die man oft sucht: mit wunderschönen Bildern auf eindrucksvoll gestalteten Seiten. Ein visueller Genuss in Blau, Grau, Weiß und Rottönen. Übrigens wird auch der Müll am Berg nicht verschwiegen, selbst natürliche Abfälle sind ein Problem, denn bei den Temperaturen am Berg kann nichts richtig verrotten. Lisk Feng, Sangma Francis: „Everest". Erschienen im NordSüd Verlag. 80 Seiten; 20,60 Euro. Alter: Ab sieben Jahren.
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Warum Sachbücher derzeit oft sehr, sehr groß sind? Weil sie gerne mit Grafiken arbeiten, die zumindest so viel erzählen wie der Text selbst. Wer das mag, wird „30 geniale Erfindungen“ schätzen. Das Buch beginnt mit der Erfindung des Rads und geht weiter über das Feuer (die Reihenfolge ist zu willkürlich, um historisch zu sein und zu historisch, um willkürlich zu sein), vom Geld über den Kompass, von der Dampfkraft über den Nagel und von der Kernspaltung bis zur Künstlichen Intelligenz. Dabei werden nette Details (vor der Erfindung des Papiers brauchte man die Haut von 170 Kälbern, um genug Pergament für eine einzige Kopie der Bibel herzustellen) ebenso vermittelt wie die großen Zusammenhänge (der Weg vom Baum über die Hackschnitzel über den Faserbrei durch die Presse zum Papier). Ein hübsches, im Retro-Stil illustriertes Lob auf den Erfindergeist des Menschen. 30 geniale Erfindungen. Vom Rad bis zum Mikrochip. Erschienen bei Gerstenberg, 64 Seiten, 22 Euro. Alter: Ab acht Jahren.
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Die wunderbare Illustratorin Lisbeth Zwerger gehört zu den Menschen, die bei Romeo und Julia immer noch auf ein glückliches Ende hoffen - egal, wie oft sie es gesehen haben. Deshalb konnte sie, als sie sich an "Schwanensee" machte, nicht widerstehen: Sie ließ in Tschaikowskys Ballett vom verwandelten Schwan, der nur durch die wahre Liebe erlöst werden kann, das Leben siegen - unterstützt von einer älteren Fassung des Tanzmärchens. Man muss aber sagen, dass der Zauber dieses Buchs nicht durch die Handlung (ein Prinz möchte die Schwanenkönigin von ihrem Fluch erlösen und heiraten, ein böser Zauberer funkt dazwischen) entsteht, sondern durch die Bilder. Die österreichische Künstlerin Lisbeth Zwerger ist eine der besten ihrer Generation, sie lässt die anmutigen Figuren über die Seiten tanzen, auch wenn sie jagen, laufen, sich verwandeln. Nur beim Erscheinen der Königin steht alles still. Peter I. Tschaikowsky: "Schwanensee". Neu erzählt und illustriert von Lisbeth Zwerger. Erschienen im NordSüd Verlag. 32 Seiten, 16 Euro. Alter: Ab 4 Jahren
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Oftmals gefallen Kinderbücher entweder den Erwachsenen (schöne Bilder) oder den Kindern (süße Tiere). Isabelle Arsenault, von den "New York Times" als "Meisterin des Ausdrucks und der Raffinesse" bezeichnet, erfüllt beide Ansprüche. In ihrem neuen Buch "Die Honigbiene" summen die eben diese Tierchen mit großem Lächeln durch eine herrliche Blumenlandschaft, begleitet von Reimen aus der Feder von Kirsten Hall. "Sie drehen ihre Runden/ Stunden um Stunden/ Bis sie heben, hüpfen, schwer beladen/ ihren Nektarschatz heimtragen." Bienen sehen Farben anders, das Buch lässt dies durchscheinen. Ein Neonorange führt durch die Seiten, in die wunderbarsten Blumen, zu ihrem süßen Staub. Der Weg der Bienen, verschlungen, verschnörkelt und verspielt, lädt kleine Zeigefinger zum Mitverfolgen der Flugrouten ein. Ein leuchtend schönes Buch für kleine Kinder, das ein Jahr aus Bienensicht zeigt: Von einem Frühling in den nächsten. Isabelle Arsenault und Kirsten Hall: „Die Honigbiene“. Nordsüd Verlag. 48 Seiten, 16 Euro. Alter: Ab vier Jahren.
Michael Ende zu lesen ist ganz generell eine wunderbare Reise - aufregend, aber ohne Effekthascherei, mit fantastischen Figuren und fein gezeichneten Charakteren. Seine Geschichten altern kaum, eine neue Aufmachung wie nun im Falle der "Unendlichen Geschichte" kann das betonen: Opulent kommt die Hymne an die Macht der Fantasie nun daher - und leserfreundlich sind die beiden Perspektiven in zwei Farben gehalten. Der Inhalt der Geschichte, die heuer ihren 40. Geburtstag feiert: Ein dicker Außenseiter namens Bastian Balthasar Bux (ein alter Ego von Michael Ende) entdeckt ein Buch über das Land Phantásien, das durch ein wachsendes "Nichts" aufgefressen wird. Dieses Nichts sieht man nicht - es ist, als ob man blind sei, wenn man hinschaut. Im Auftrag der kindlichen Kaiserin soll der junge Atréju die Zerstörung aufhalten. Wer nur den Film gesehen hat: Das Buch ist sehr, sehr viel besser. Michael Ende: Die unendliche Geschichte. Thienemann Verlag. 480 Seiten, 20 Euro. Alter: Ab 12 Jahren.
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Kinder haben ebenso ein Faible für Reime wie für Wiederholungen. Und Kommandos geben sie zweifelsfrei auch recht gern. Schon im vorigen Sommer ist ein Bilderbuch erschienen, das alle diese Vorlieben erfüllt: „Das Nacht-Tier“. Illustrator und Autor Jens Rassmus lässt darin ein Kind einen wild-romantischen Ausritt auf einem blauen Federtier unternehmen. Das alles folgt einer einfachen Logik: „Ich lag im Bett und schlief nicht ein / war noch hellwach und ganz allein / Da plötzlich war an meiner Tür / ein Schatten erst – und dann ein Tier / Wild sah es aus und schien doch zahm / Ich sagte komm! Das Nacht-Tier kam“. Die großformatigen Bilder, in Blau und Gelb gehalten, zeichnen eine poetische Welt zwischen Wachsein und Schlafen. Das Kind dirigiert das großäugige Mischwesen durch die Nacht, lässt es über bedrohliche Gassen springen und steile Hänge hinaufsteigen. Doch erfüllt das Tier tatsächlich jeden Wunsch? Was für ein Vergnügen, kleine Leser die nächsten Reimworte erraten zu lassen. Das Buch wurde bereits ausgezeichnet: Verdienterweise. Es hat das Zeug zum Klassiker. Das Nacht-Tier. Erschienen im G&G Verlag. 48 Seiten, 19,95 Euro. Alter: Ab vier Jahren.
G&G Verlag
Mit Kindern über den Nationalsozialismus zu sprechen, ist nicht ganz einfach. Jedenfalls nicht, wenn sie im Volksschulalter sind. Wie viel will man sagen, wie will man es sagen? Welcher Filter soll zwischen den furchtbaren Verbrechen, dem Leid und dem eigenen Kind stehen? Im schmalen Büchlein "Peter in Gefahr", einer Graphic Novel, stellt sich die Britin Helen Bate dieser Herausforderung. Sie erzählt und zeichnet die Geschichte eines Kindes, die das Grauen zwar erahnen lässt, aber nicht drastisch vor Augen führt. Peter, ein jüdischer Jungen, wächst während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Budapest auf. Eines Tages muss das Kindermädchen die Familie verlassen, dann werden gelbe Sterne auf die Mäntel genäht. Peter bringt seine Spielsachen zum Nachbarn und muss sein Zuhause verlassen. Es werden einige Stationen der Kriegszeit gezeigt, frei von Effekthascherei erzählen Text und Bild, wie Peter friert und hungert, aber auch, wie spielt. Der Bub hat Glück - so wie seine Familie: Sie entgeht der Deportation, findet Unterschlupf, alle überleben. Die Untertitel des Büchleins ist denn auch "Mut und Hoffnung im Zweiten Weltkrieg". Und am Ende findet sich auch ein Foto von Peter: Es zeigt ihn 2015, mit seinen Söhnen und Enkeln. Er lebt übrigens in Wien. Übersetzt hat das Buch die wunderbare, leider kürzlich verstorbene Mirjam Pressler. Peter in Gefahr: Mut und Hoffnung im Zweiten Weltkrieg. Erschienen im Moritz Verlag. 48 Seiten, 12 Euro. Alter: Ab sieben Jahren.
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Die Niederländerin Bibi Dumon Tak, vielfach ausgezeichnete Autorin, erzählte einmal, dass sie sehr zappelig sei, aber zwischen Tieren ruhig werde. Das spürt man, wenn man ihre Bücher liest: Bedächtig und auf großen Seiten erzählt sie nun in einem Prachtband von einzelnen Facetten 30 verschiedener Vogelarten. Das Buch geht auf ein rund 200 Jahre altes vogelkundliche Standardwerk zurück. "Bibi Dumon Taks große Vogelschau" kombiniert wunderschöne, historische Kupferstichen mit frecher und moderner Sprache. Da ist von Luftakrobaten und Kamikazefliegern, von Gesangsvirtuosen und Krachmachern, von Aufziehmännchen mit ADHS und Topmodels unter den Vögeln die Rede. Neu und alt werden humorvoll verbunden und man bekommt auch Einblick in die Arbeit von Forschern dieser und vergangener Zeit. Für Vogelliebhaber jeden Alters. Bibi Dumon Taks große Vogelschau. Von Luftakrobaten, Überfliegern und Krachmachern. Gerstenberg Verlag. 80 Seiten, 26 Euro. Alter: Ab neun Jahren.
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Weil Romys Eltern sich scheiden ließen und ihr Mutter nun mehr arbeitet, muss sie nach der Schule nun immer zu ihrer Oma. Sie geht ungern: Ihre Oma ist ruppig und denkt vor allem an ihren Friseursalon, weniger an die Enkelin. Das ändert sich, als die Oma immer öfter etwas vergisst, immer mehr von der Vergangenheit erzählt und richtig nett wird. Sie ist dement, aber es dauert eine Weile, bis die Diagnose kommt, denn mit Romys Hilfe kann sie das einige Zeit verbergen. "Romys Salon" ist eine warmherzige Geschichte des Kennenlernens, mal lustig, mal traurig, aber immer ehrlich. Sie erzählt davon, dass man einander gerade durch Schwächen näherkommt. 2019 soll die Geschichte auch in die Kinos kommen: Das Buch von Tamara Bos wird verfilmt. Man kann sich auf die Szene freuen, in der das Geld gefunden wird, das eigentlich in der Bank sein sollte: auf der Couch. Tamara Bos: „Romys Salon“. 192 Seiten, 14,95 Euro. Erschienen bei Gerstenberg. Alter: Ab neun Jahren.
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Bei Timothée de Fombelle ist eine Eiche die ganze Welt, ein Volk winziger Baummenschen lebt darauf, vor allem in den bessern Lagen, den urbanen Wipfeln. Der 13-jährige Tobie Lolness, gerade mal anderthalb Millimeter groß, muss mit seiner Familie aber in die niederen Äste - ins Exil. Denn sein Vater will seine wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht weiter geben. Als aber ein Tyrann ein Regime des Schreckens errichtet, ist die Familie aber auch in den entlegenen, unwirtlichen Gebieten nicht mehr sicher. Schon vor zehn Jahren erschienen die beiden Bücher rund um Tobie Lolness auf Deutsch, nun sind sie in einem sehr dicken Sonderband zusammengefasst. Der Franzose Timothée de Fombelle schreibt über den Versuch eines tapferen Teenagers, große Liebe und seine Welt zu retten. Kein Ökokitsch, sondern eine wunderbar poetische und spannende Geschichte, in der die Natur eine wichtige Rolle spielt. Timothée de Fombelle: „Tobie Lolness: Ein Leben in der Schwebe - Die Augen von Elisha“. 784 Seiten, 20 Euro. Erschienen bei Gerstenberg. Alter: Ab zehn Jahren. Kurzrezensionen von Rosa Schmidt-Vierthaler >>>
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Eigentlich ist es schon vor ein paar Jahren erschienen, das wunderbare Landkartenbuch der beiden polnischen Künstler Aleksandra Mizielinska und Daniel Mizielinski. Aber weil „Alle Welt“ nun noch praller gefüllt wurde, soll es auch hier noch einmal empfohlen werden. 140 Länder sind in der erweiterten Neuausgabe zu erforschen, und für jedes einzelne muss man sich ausreichend Zeit nehmen: Die Doppelseiten sind gespickt mit Miniaturen. In Lettland etwa finden wir Marienkäfer mit nur zwei Punkten, dort wird im Mittsommer das Johannisfest gefeiert (bei dem Männer offenbar riesige Kränze aus Eichenlaub tragen), es gibt Schlösser, Wälder, Windmühlen und Sauerampfersuppe. Die traditionellen Handschuhe sehen ein wenig aus wie Bischofsmützen, der Maler Mark Rothko ist hier geboren, er dürfte Kümmelkäse gegessen haben. Und das ist nur ein Bruchteil dessen, was man über Lettland - abgesehen von geographischen Gegebenheiten - erfährt. Ein wunderbarer Atlas, mittlerweile schon in 32 Sprachen übersetzt. „Alle Welt. Das Landkartenbuch“. Erschienen im Moritz Verlag, 152 Seiten, EUR 34. Alter: Ab sechs Jahren.
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Seit einigen Jahren kann man sich auf eins verlassen: Kaum hat Jon Klassen ein neues Kinderbuch herausgebracht, wird es als „Meisterwerk“ bezeichnet. Seine sehr speziellen, reduzierten Illustrationen werden allseits gelobt – und das ist auch hier nicht anders. Klassens Bilder rücken (oft aberwitzig) ins Zentrum, was wir nicht sehen: Was die Figuren denken, hoffen oder in sich tragen. Und das kann so allerhand sein. „Eines frühen Morgens traf eine Maus auf einen Wolf und wurde gleich verschlungen.“ Fressen und gefressen werden ist bei Klassen ein häufiges Thema, und es geht nicht immer so gut aus wie in „Der Wolf, die Ente & die Maus“, einer Geschichte von Mac Barnet. Hier sind verschluckt und gefressen werden zwei sehr verschiedene Dinge. Wir entscheiden selbst, was das Leben mit uns macht: wunderbar absurd und gleichzeitig sehr wahr. „Der Wolf, die Ente & die Maus“. Erschienen im NordSüd Verlag, 40 Seiten, EUR 15. Alter: Ab fünf Jahren.
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Die besten Kinderbücher folgen der speziell kindlichen Logik Schritt für Schritt, ohne sie jemals der Lächerlichkeit preiszugeben. Aufs Charmanteste tut dies stets die französische Autorin Catharina Valckx – bekannt ist etwa ihre Reihe um den Hamster Billy. Etwa so: Der Rabe Federico trägt heute ein Ritterkostüm, weshalb er auch ein Schlachtross braucht. Natürlich muss er auf diesem (ja, gut, es ist sein Freund, der Hund Taps) in den Kampf ziehen. Doch gegen wen? Weil der große böse Wolf aus der Distanz schon zu gefährlich erscheint, suchen Ross und Reiter andere Feinde, verwerfen die Entscheidung aber jedes Mal wieder. Bis sie dann tatsächlich einem besonders grantigen Wolf gegenüberstehen. Es ist eine kleine Geschichte von großem Heldenmut, die in „Edler Ritter Federico" erzählt wird. Das gesamte Personal, vom Mäuschen bis zum Wolf, ist dabei so charaktervoll, dass man sich jeden in einer eigenen Geschichte als Held wünscht. Edler Ritter Federico. Erschienen im Moritz Verlag, 40 Seiten, EUR 13,40. Alter: Ab vier Jahren.
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Sein riesiges Bilderbuch „Bienen“ hat dem polnischen Cartoonisten und Imkersohn Piotr Socha im vergangenen Jahr den Deutschen Jugendliteraturbuchpreis in der Kategorie Sachbuch beschert. Eine solche Meisterleistung gelingt nicht zweimal – aber höchstens dieser Vergleich schmälert den Genuss seines neuen enzyklopädischen Riesenbilderbuchs „Bäume“. Nicht nur von Bäumen in allen erdenklichen Formen handelt das Buch, sondern auch von dem, was der Mensch so alles daraus geformt hat, und von Bäumen in unserem Denken, Darwins Lebensbaum, Stammbäumen, Baumungeheuern . . . Ein Buch für viele Alter. Piotr Socha, Wojciech Grajkowski: Bäume. 80 S., 25,70 € (Gerstenberg Verlag). Alter: Ab fünf Jahren. (Rezension vor Anne-Cathrin Simon)
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Um eines gleich vorwegzunehmen: Die Altersempfehlung dieses Buchs sollte man wirklich ernst nehmen. Es ist ein beklemmender Roman mit einer wütenden und seltsamen Protagonistin, der 18-jährigen Katrina. Die junge Tischlerin ist völlig allein auf der Welt, man weiß nur, dass ihr etwas Schreckliches zugestoßen ist, denn sie ist ist von Rachephantasien besessen. Von anderen Menschen erwartet sie nicht viel, durch ihr entstelltes Gesicht (sie trägt ein Tuch vor der Mundpartie) weicht ihre Umwelt vor ihr zurück. Katrinas Vergangenheit bleibt lange nebulös. Sie sehnt sich in ihre Kindheit zurück, die sie aufgrund rätselhafter Umstände völlig abgeschottet nur mit Vater und Schwester in einem Wald verbrachte. Der Name des Hauses: Hyde. „Hyde“, das neueste Buch der talentierten Antje Wagner, zeichnet eine sehr kalte und harte Welt. Allein, stets frierend und hungernd sucht die Protagonistin nach einem Platz in ihr. Ein packendes und dunkles Buch, stilistisch auf hohem Niveau, nur am Ende doch ein wenig übertrieben. Hyde. Erschienen bei Beltz. 408 Seiten, EUR 17,95. Alter: Ab 15 Jahren.
Es gibt nicht wenige Sachbücher für Kinder, die aufwändig und schön gestaltet sind. Das großformatige Bilderbuch „Ägypten“ von Carole Saturno und Emma Giuliani durchblättert man dennoch staunend: Was für ein Reichtum an aufklappbaren Elementen und Seiten, gefalteten Details und versteckten Hinweisen. Diese Elemente bilden eine Einheit mit dem Thema; die antiken Hochkultur ist vielschichtig, geheimnisvoll, will ergründet werdenMan kann Pyramiden begehen, Schächte und Grabkammern entdecken, kurze und eher nüchterne Texte erklären die Bilder. Lässt sich die Türe der Mastaba öffnen? Es ist nur eine Scheintür: sie symbolisiert, dass der Tote zwischen Diesseits und Jenseits hin- und herwechseln kann. In farbintensiven, grafischen Bildern - stilistisch an die altägyptische Bildtradition angelehnt - werden Totenkult, Rituale, Religion und Alltag gezeigt. Ein Wissensschatz. Ägypten. Erschienen bei Gerstenberg, 24 Seiten, EUR 28,80. Alter: Ab acht Jahren.
Natürlich war es keine Absicht, dass der Kinderwagen irgendwann allein am Strand zurückbleibt. Und dass er schließlich im Wasser landet noch viel weniger. Doch so kommt es - und damit startet eine Reise durch die Meer, aber vielmehr noch durch das Gefühlsspektrum eines kleinen Kindes. Begleitet und behütet von den wunderbar sorgsamen Spielsachen der großen Schwester (einem seekranken Hasen, einer Puppe und einem alten Pandabären), geht es für das Baby durch Wellen und Sturm. Auch wenn das Cover von "Baby an Bord" ein wenig altbacken, vielleicht sogar gewöhnlich wirkt: Im Inneren dieses Büchleins tut sich eine Welt auf, die aufregend und tröstlich, fantastisch und doch ganz nah an der kindlichen Wirklichkeit ist. Dieses Buch zu lesen fühlt sich an wie heiße Milch mit Honig zu trinken. Den rhythmisch wogenden Text von Allan Ahlberg übersetzte übrigens Andreas Steinhöfel. Alter: Ab vier Jahren. Erschienen im Moritz Verlag, 40 Seiten, EUR 14,40.
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Eine Weile boomte der Begriff des unnützen Wissens. Das ist natürlich Unsinn, Wissen ist generell eine feine Sache. So sieht das offenbar auch die Autorin des Buches "321 superschlaue Dinge, die du unbedingt wissen musst", die Journalistin Mathilda Masters. Sie stellte ein wunderbares Sammelsurium an Aha-Erlebnissen für Kinder zusammen, die Bandbreite reicht vom Herzschlag der Formel-1-Fahrer bis zu den Knien von Pinguinen, von bartlosen römischen Kaisern bis zu einer unterirdischen Stadt in Australien und dem Goldgehalt von Goldmedaillen. Auf knapp 300 Seiten geht es bis zu den Sternen und weiter, illustriert sind die nicht allzu kleinen Happen anschaulich, fröhlich, humorvoll. Ein Wissensbuch, in dem man wunderbar schmökern kann. Alter: Ab elf Jahren. Erschienen bei Hanser, 288 Seiten, 22 Euro.
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Zuerst Lindbergh, dann Armstrong, nun Edison: Torben Kuhlmann liebt historische Erfinder- und Abenteuergeschichten und erzählt sie aus Mäusesicht neu. Das macht er vor allem über seine wunderbaren Bilder, in denen wissbegierige Mäuse mit kleinen Rucksäcken und Knopfaugen über Skizzen tüfteln und Taucheranzüge oder U-Boote entwerfen wollen. "Edison - Das Rätsel des verschollenen Mäuseschatzes", sein neuestes Buch, entführt kleine Leser in die Tiefen des Ozeans und der Geschichte der Glühbirne. Kuhlmann erzählt zwei Geschichten in einer, das gelingt vor allem wegen seiner imposanten, großformatigen Aquarelle mit den feinen Details. Kleine Textschwächen kann man somit verzeihen. Alter: Ab fünf Jahren. Erschienen im NordSüd Verlag, 112 Seiten, 22 Euro.
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Manches kann man nicht erklären, es ergibt keinen Sinn. Etwa wenn die beste Freundin, die gut schwimmen kann, im Meer ertrinkt. "Manchmal passieren Dinge einfach", hört die 12-jährige Suzy von ihrer Mutter - aber das kann sie nicht akzeptieren. Und weil sie höchst wissenschaftlich denkt, sucht sie nach einer kaum sichtbaren, giftigen Quallenart, die der Grund sein könnte, warum das Herz der Freundin nur 412 Millionen Mal schlagen durfte. Sie ist tieftraurig und schön, diese Geschichte von Freundschaft, Verlust und Akzeptanz. Mit „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ debütierte die US-Autorin Ali Benjamin, der einfühlsame Roman wurde für den National Book Award nominiert und rasch zum Bestseller. Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will, wenn man einmal damit begonnen hat. Alter: Ab 12 Jahren.Erschienen im Hanser Verlag, 240 Seiten, € 17,50.
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Der tiefe Blick in den menschlichen Körper ist nicht jedermanns Sache. Wenn man ein hübsches Auge vor sich hat, die Papierklappe hebt und dahinter der ganze Augapfel erscheint, gehalten von dicken Muskelsträngen, und unter der nächsten Klappe noch die Nervenbahnen, Hornhaut, Linse und Iris, kann das schon leicht gruselig sein. Oder faszinierend, je nach Geschmack. Die Illustratorin Hélène Druvert deckt in "Anatomie" Schicht für Schicht auf, was dem Auge abseits der Seziersäle verborgen ist. Durch filigrane Scherenschnitte oder Klappen bekommt man Zugang zu den inneren Organen, zum Blutkreislauf oder dem Nervensystem. Filigran bedeutet: nur für bedächtige Kinderhände bestimmt. Die feine Ästhetik des Buches ist jedenfalls einzigartig, Eltern können sie aber vielleicht besser schätzen als Kinder. Alter: ab 8 JahrenErschienen bei Gerstenberg, 40 großformatige Seiten, 26 €.
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Mr Griswold, ein älterer Herr mit Spazierstock, wurde von Unbekannten angegriffen und liegt nun im Koma. Das schockiert die vielen Fans seiner Bücherjagd - einem ausgeklügelten Spiel, bei dem Leute ihre Bücher verstecken und Hinweise im Netz posten. Emily, neu in der Stadt, ist eine der Codeknackerinnen und findet einen besonderen Hinweis. "Mr Griswolds Bücherjagd" ist eine Mischung aus Schnitzeljagd und Krimi, ein detektivisches Vergnügen. Mit ihrem Debütroman landete Jennifer Chambliss Bertman wochenlang in der New York Times-Bestsellerliste. Übrigens handelt es sich um eine Trologie: Zwei weitere Bände folgen bald. Alter: ab zehn Jahren. Erschienen bei Mixtvision. 361 Seiten, € 15,40.
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Mark Twain war vor allem auch ein Vater. Und, wenn man den Überlieferungen glauben darf, ein sehr liebevoller. Er dachte sich (auch spontan) immer wieder Geschichten für sie aus, die lange als verloren galten, doch 2011 wurde im Nachlass auf der Suche nach Rezepten ein handgeschriebenes Manuskript vom "Verschwinden des Prinzen Oleomargarine" gefunden. Das Gerüst der märchenhaften Erzählung setzte nun das hoch angesehene Künstlerduo Philip und Erin Stead um: Philip Stead macht dabei Mark Twain zu seinem Freund, der ihm kürzlich drei Viertel der Geschichte erzählte. Ein wenig skurril geht es darin durchaus zu, erzählt wird mit vielen Umwegen und kleinen Zwischengesprächen: Der einsame Johnny kommt, nur in Begleitung seines Huhns (das nach einem Lieblingsfluch des Großvaters Pest und Hungersnot heißt), in den Besitz einiger magischer Samen. Diese ermöglichen es ihm, mit Tieren zu sprechen. Wodurch er sich schließlich auf die Suche nach dem verschwundenen Prinzen Oleomargarine begeben kann.Alter: Ab sechs Jahren laut Verlag, besser aber ab acht.Erschienen im Knesebeck Verlag 2018; 160 S., 25 €.
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Bücher über Toleranz und Anderssein kommen oft recht, nun ja, belehrend daher. Humorlos und manchmal auch mit politischem Duktus. Das „Ich so du so“ ist eine schöne Ausnahme, rotzfrech und trotzdem sensibel. In kunterbunter Unbefangenheit feiert das neue Werk der „Labor Ateliergemeinschaft“ das unperfekte Ich.Darin findet man kleine Geschichten, Bilder aus vergangenen Zeiten und viele kreative Illustrationen wie einen Schubladenkasten der Eigenschaften. Außerdem eine Reihe von Interviews mit Kindern aus aller Welt, die erzählen, mit wem sie zusammenleben, was sie heute gegessen haben oder wie sie ihren Geburtstag verbrachten. Und mit Erwachsenen, die davon berichten, was sie früher an sich unnormal fanden und was ihnen geholfen hat. Das Buch wurde für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert - verdienterweise. Zeigt es doch, wie normal es ist, verschieden zu sein. Alter: Ab 9 Jahren. Erschienen bei Beltz & Gelberg; 176 Seiten, 16,95 €
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Essen kann einen und Essen kann trennen. Letzteres tritt vor allem dann ein, wenn es Differenzen bei der Portionierung von Wohlschmeckendem gibt. Das Dilemma ist bekannt. Wie charmant man es in einem Kinderbuch inszenieren kann, zeigt Jörg Mühle, der auch schon einige andere wunderbare Bücher für ganz Kleine geschaffen hat. Das Grundproblem in „Zwei für mich, einer für dich“ ist durch den Titel des Büchleins schon aufgezeigt. Wie sollen die drei Pilze, die der Bär gefunden, aber das Wiesel in der Pfanne geschmort hat, aufgeteilt werden? Wie man es dreht und wendet, es bleibt ungerecht - auch wenn man Körpergröße, Körperfülle und Hunger der Beteiligten einbezieht. Die Illustrationen und der reduzierte Text sind ebenso witzig wie liebenswürdig, sie bringen Kinder zum Lachen und zum Nachdenken. Ein wunderbar gelungenes Buch. Alter: Ab 4 JahrenErschienen im Moritz Verlag; 32 Seiten, 12,95 €.
Emma ist eine gute Katzenbesitzerin. Sie gibt der kleinen Kitty, die sie verlassen findet, ein Zuhause. Erklärt ihr, was ignorant bedeutet, oder weise. Sie verwöhnt das Kätzchen manchmal mit einer halben Scheibe Räucherschinken – und keinem Fitzelchen mehr. Aber Emma ist alt. Und wird eines Tages von der Rettung abgeholt. Kitty muss sich nun selbst um ihr Überleben kümmern. „Ich bin‘s, Kitty. Aus dem Leben einer Katze“ von Mirjam Pressler kommt bescheiden daher. Doch es ist nicht einfach nur ein Buch über Katzen, es geht um das Erinnern und Vergessen, das Leben und die Liebe. Selten ist ein Kinderbuch so poetisch und klug, so greifbar und gefühlvoll geschrieben worden. Es steckt voller kleiner, handfester Weisheiten. Wie etwa, dass Wenn-dann-Sätze selten etwas Gutes bedeuten und dass das Leben nie bleibt, wie es ist. Oder: „Es mag vielleicht nur Zufall sein, am Ende zählt das Glücklichsein“. Perfekt zu den kapiteleröffnenden Reimen passen die Illustrationen der großartigen Rotraut Susanne Berner. Wärmste Empfehlung. Alter: Ab zehn Jahren.Erschienen bei Beltz & Gelberg; 206 Seiten; 14,95 Euro.
(c) Beltz
"Etwas Gewundenes schien sich in der Flasche zu bewegen. Es war dunkel und gleichzeitig glitzernd. Vielleicht war es auch nur ein Schatten. Das Fläschchen war sehr hübsch, dennoch bekam Stella eine Gänsehaut. Mr Filbert hatte versucht, darauf aufzupassen. Und sie hatte versprochen, das zu tun. Und jetzt war er tot."In Stellas Leben scheint es zwar wenig Liebe und Geborgenheit, dafür neuerdings umso mehr Abenteur zu geben: Mit drei alten, bösen und offenbar reichen Tanten verbringt sie ihre Zeit in einem Hotel, das ein wenig an den "Zauberberg" erinnert. Dort passiert ein mysteriöses Verbrechen, dessen Erforschung dem Mädchen schließlich auch eine Wahrheit über sich selbst offenbart. "Stella Montgomery und die bedauerliche Verwandlung des Mr Filbert" ist ein Abenteuerroman in bester Manier: Packend, überraschend, sprachlich elegant. Und wurde dafür in Australien bereits mit einer ganzen Reihe von Preisen ausgezeichnet. Übrigens: Im Buch finden sich viele feine Zeichnungen der Autorin.Alter: Ab 10 Jahren.Erschienen bei Thienemann; 272 Seiten; 13,99 Euro.
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Welches Kind kennt noch das Wort "Morgenland"? Wir sprechen wohl eher über den Nahen Osten mit ihnen - und teilen ihn in Krisenregionen ein. Von Zauber und der Magie ist dabei nicht die Rede. Wer den Dschinn aus der Flasche vermisst und beim Vorlesen gern in Palästen mit Zwiebeltürmen spaziert, wer von Sultanen und dem Glanz von tausend Sternen hören will, kann nun auf eine modern gestaltete orientalische Märchensammlung zurückgreifen."Das Flüstern des Orients" von Franziska Meiners will die Märchen ein wenig verändert wissen, die Magie aber erhalten. Und das ist recht gut gelungen. Die Bilder, meist nur in zwei Farben gehalten, erinnern an Hozschnitte. In den Texte finden sich Wörter, die so wohl nicht immer dort standen: Das schöne Bauernmädchen, das den Prinz verzaubert, ist gleichzeitig ein "intelligentes Bauernmädchen". Am Ende des Buches kann man noch Fliesenmuster malen und arabische Schriftzeichen ausprobieren. Insgesamt sehr nett. Alter: Ab sechs JahrenErschienen im NordSüd Verlag, 112 Seiten, 25 Euro.
Zum ersten Mal hat Cornelia Funke (etwa: "Tintenherz", "Die wilden Hühner"), die berühmte deutsche Kinderbuchautorin mit Wahlheimat in Los Angeles, ein selbst illustriertes Bilderbuch gemacht, zum ersten Mal zunächst auf Englisch veröffentlicht. Jetzt ist es auf Deutsch erschienen. „Das Buch, das niemand las“ erzählt von einem fünfjährigen Buch namens Morry – eine Anspielung auf Maurice Sendak, dem Funke auch in den entzückenden Illustrationen deutlich ihre Reverenz erweist. Morry steht im Regal und will endlich gelesen werden; im Unterschied etwa zu Nietzsche neben ihm, der froh ist, wenn er keine Fingerabdrücke abbekommt. Eine empfehlenswerte Petitesse über das Glück, (s)einen Leser zu finden. Alter: Ab vier Jahren.Erschienen im Dressler Verlag. 48 S., € 16,50 Kurzrezension von Anne-Catherine Simon
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„Immer ist Winter nur im Winter, nie im Sommer“, maulte Hase herum. „Ja, das ist ungerecht“, stimmte Fuchs ihm zu. Wohin könnte Hase gehen, um dieses Problem zu lösen? Freilich unter der Prämisse, dass er nicht zu weit weg muss, denn sonst würde Fuchs ja schreckliche Sehnsucht nach ihm bekommen. Es sind Probleme wie diese, die die beiden Freunde Fuchs und Hase (von Kristina Andres auch bildlich wundervoll in Szene gesetzt) beschäftigen. Sie pflanzen Gurken, beißen in Wolken und analysieren stets, was sie tun. Aus ihrem Alltag speisen sich 13 kleine Geschichten: „Donnerwetter, sagte Fuchs“ ist ein Vorlesebuch, wie man es sich nur wünschen kann: warmherzig erzählt, voll Sprachwitz und wunderbar absurder Ideen, die stets sehr vernünftig klingen. Alter: Ab sechs Jahren.Erschienen im Moritz Verlag, 64 Seiten, 14,95 Euro. Kurzrezensionen von Rosa Schmidt-Vierthaler >>>
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Böse Zungen sagen, dass Kinder heute in zunehmendem Maß egozentrisch sind, sich nicht einordnen können, nicht als Teil von etwas begreifen. Ob darin ein Körnchen Wahrheit liegt oder nicht: In dem Gedanken, Teil der Welt zu sein, liegt eine Schönheit, die das Buch "Leben" in starken, klaren Bildern zeigt. "Du kannst jedes Tier der Welt fragen: Was magst du besonders am Leben? Der Habicht sagt: Den Himmel. Das Kamel sagt: Den Sand. Die Schlange sagt: Dasss Grasssssss." Auch die düsteren Bilder fehlen nicht, beängstigende Stürme, schroffe Berge: "Das Leben ist nicht immer leicht. Zuweilen gibt es wüste Stracken". Wie wahr. "Doch auf die eine oder andere Art kommt man da auch wieder raus." Cynthia Rylants Text und Brandan Wenzels Bilder formulieren gefühlvoll und lebensbejahend, ohne in den Kitsch abzugleiten. Alter: Ab vier Jahren. Erschienen im NorsSüd Verlag, 48 Seiten, 16 Euro.
(c) NordSüd Verlag
Wer, bitte, wusste das? Der Penis des Libellenmannes hat – für den Fall, dass vor ihm schon einer da war – eine Art Löffelvorrichtung, um den Samen des Vorgängers wegzuschaffen. Er selbst beginnt erst, wenn alles blitzeblank ist. Der Klett Verlag, bekannt für schräg-lustige und unkonventionelle Bücher, hat mit „Das Liebesleben der Tiere“ ein wahres Feuerwerk der humorvollen Sexbetrachtungen herausgebracht. Unter „Bestechung, Bezahlung, Geschenke“ finden sich die Eisvögel ebenso wie Javeneraffen. Im Kapitel „Ganz schön sportlich“ sind Fledermäuse (ja, kopfüber!) ebenso wie Plattwürmer (Penisfechten!) aufgelistet. Auch Schwangerschaft, Geburt und Familienleben bleiben nicht ausgespart, sondern werden, ganz im Gegenteil, durch detaillierte Zeichnungen in Szene gesetzt. Weil das Thema Aufklärung ja heute oft bierernst angegangen wird, kann man dieses Büchlein als Starthilfe für ein Gespräch jedenfalls empfehlen. Wer auf der sensibleren Seite zuhause ist, sei aber gewarnt: Im Tierreich geht’s oft heftig zu, und das Buch spart nicht mit Details. Alter: Laut Verlag ab acht. Erschienen bei Klett Kinderbuch, 144 Seiten, 18,50 Euro.
(c) Klett Verlag
Sie ist in etwa so groß wie ein Pinguin, spricht Vorwärts – und Rückwärtszisch, hat stets einen Tropenhelm auf dem Kopf und entwickelt ganz wunderbare Ideen in ihm. Sie benutzt Worte wie „seltwürdig“ und geht gern auf „Salafari“, was ihr allgemeiner Ausdruck für Abenteuer außer Haus ist. Wer möchte „die kleine Dame“ nicht zur Freundin haben?Seit dem ersten Band der Reihe von Stefanie Taschinski wohnt sie mit Lilli und ihrer kleinen Schwester Haus an Zelt, doch nun, im vierten großen Abenteuer, wollen Lillis Eltern ausziehen, was die Mädchen und die kleine Dame freilich zu verhindern suchen. „Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar“ beleuchtet das Leben Brezelhaus näher und lässt dem allzeit grantigen Hausmeister Leberwurst eine besondere Rolle zukommen. Mit dem federleichten Charme einer Mary Poppins – sie hat nur statt eines Schirms, mit dem sie fliegen kann, ein Chamäleon, das sie unsichtbar macht – erobert die kleine Dame die Leser. Bleibt zu hoffen, dass dem vierten Band noch viele weitere folgen: Es sind die perfekten abendlichen Vorlesebücher. Alter: Ab acht Jahren.Erschienen bei Arena, 184 Seiten, 12,99 Euro.
(c) Arena
"Viele halten den Chief für meinen Besitzer. Aber der Chief ist keiner, der andere besitzen will. Er und ich sind Geschäftspartner. Und Freunde." Es ist eine recht ungewöhnliche Konstellation, auch für ein Kinderbuch: Sally Jones, das wird nach ein paar Seiten deutlich, ist eine Gorilladame. Sie spricht nicht, kann aber schreiben, Werkzeuge schmieden, Schach spielen. In ihren ersten Erinnerungen saß sie mit einer Kette um den Hals auf einem Steinboden. Der Chief ist ihr Freund; ein Seemann, der unter Mordverdacht gerät. Um seine Unschuld zu beweisen, verlässt Sally die dunklen, engen Gassen Lissabons und folgt dem Kriminalfall bis nach Indien. Der schwedische Autor Jakob Wegelius wurde für „Sally Jones. Mord ohne Leiche“ im Oktober verdientermaßen mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis geehrt. Der düstere Abenteuerroman besticht durch seine kunstvolle Struktur; er ist packend, aufwühlend, hintergründig - eben echte Literatur für junge Leser. Alter: Dem Verlag zufolge ab neun Jahren, aber besser erst ab zehn oder elf.Erschienen im Gerstenberg-Verlag, 624 Seiten, 19,95 Euro.
"Zweihundert Jahre lang suchten europäische Abenteurer nach Eldorado, einer verlorenen Stadt aus Gold in Südamerika, aber alles, was sie fanden, war die Erkenntnis, dass nicht alles Gold ist, was glänzt." Vier Seiten widmet das Buch "Die größten Schätze aller Zeiten" dieser Legende, erzählt von Konquistadoren und furchtlosen Frauen, von Landkarten und einem heiligen See. Vier Seiten bekommen auch all die anderen Schätze: Die Brüder Sass werden ebenso vorgestellt wie die Fabergé-Eier, die Terrakotte-Armee ebenso wie die Bundeslade. Raphael Honigstein und Caroline Attia erzählen die faszinierenden Geschichten von zwei Dutzend Schätzen in klaren Worten, mit farbenfrohen Bildern in einem wunderschön gestalteten Buch. Das Sammelsurium von Abenteuern entführt den kleinen Leser in die verschiedensten Winkel der Welt, in die verschiedensten Epochen, in die verschiedensten Köpfe. Ein wunderbares Sachbuch, rundherum gelungen. (rovi) Alter: Ab acht Jahren. Erschienen bei Kleine Gestalten. 96 Seiten.
(c) Kleine Gestalten
So sehr im Hier und Jetzt sein können wie kleine Kinder ist eine Gabe. Man sieht ihnen dabei zu, wie sie in völliger Versunkenheit etwas betrachten, ohne Gedanken daran, dass der Trockner sicher gleich piepst oder man ein Dokument doch lieber noch dem Kollegen hätte weiterleiten sollen. Und will das auch können. Ein Stück bedächtige Langsamkeit findet man, wenn man das Büchlein "Von Zeit zu Zeit" durchblättert. Immer vier sehr klar gezeichnete Bilder ergeben eine Mini-Geschichte. Da schiebt sich etwa die Schnecke in den Sichtbereich. Ein Stück. Und noch ein Stück weiter. Sie kriecht heran, und das ist alles, was passiert. Oder es zieht eine Wolke über ein Haus. Oder eine kleine Schneekugel findet sich neben einer großen Schneekugel. Dann ist die kleine auf der großen Kugel. Und schließlich der Schneemann fertig. Wie erfreulich. Und beinahe lyrisch. Bernadette Gervais: Von Zeit zu Zeit. Alter: Ab zwei Jahren. 64 Seiten, 16 Euro.
Besonders viele Fantasy-Romane gibt es derzeit für junge Leser ab zehn Jahren. Da freut man sich umso mehr, wenn reale Geschichten sich auf eine Art mit realen Problemen beschäftigen, die einfühlsam ist, Kinder aber nicht überfordert. So etwa in "Comedy Queen", der Geschichte eines zwölfjährigen Mädchens, das den Selbstmord seiner Mutter verarbeiten muss. Sasha will keinesfalls werden wie sie, will ihr nicht einmal mehr ähnlich sehen. Und weil die Mutter Depressionen hatte und Menschen zum Weinen brachte, will Sasha ihr Umfeld zum Lachen bringen. Sie beschließt, Stand-up-Comedian zu werden. Die Schwedin Jenny Jägerfeld, mit dem Astrid-Lindgren-Preis ausgezeichnet, besticht weniger durch ihre Sprache als durch ihre Glaubwürdigkeit. Und durch ihre Gabe, ein sehr schweres Thema mit Witz zu erzählen. Sasha, die trotzig in bunte Ringelpullover gekleidet der Trauer den Stinkefinger zeigen möchte, die mit viel Mut und (oft schlechten) Witzen durch die Gegend stapft, erobert jedenfalls das Herz des Lesers. Jenny Jägerfeld: Comedy Qzueen. Übersetzt von Birgitta Kicherer. Alter: Ab elf Jahren. Verlag Urachhaus, 247 Seiten, 17 Euro.
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