Die Angst vor dem Korsett

Tanja Raich: „Jesolo“
Tanja Raich: „Jesolo“(c) Blessing Verlag
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Tanja Raich beschreibt in„Jesolo“den Verlust der Leichtigkeit einer Beziehung, die an einem Schnittpunkt steht: Wem soll man Zugeständnisse machen?

Die Angst einer 35-jährigen Grafikerin, sich „auf ewig“ zu binden, wie es durch ein Kind und das Zusammenleben mit ihrem langjährigen Freund manifestiert würde – um dieses Dilemma kreist „Jesolo“, der Debütroman der in Südtirol geborenen und in Wien lebenden Autorin Tanja Raich. Alle warten schon auf den längst fälligen Nachwuchs: seine Eltern, sein Bruder, ihre Freundinnen, er selbst. Die Ich-Erzählerin aber wähnt sich als Spielball, als Marionette in einem gesellschaftlichen Theater, hin- und hergerissen zwischen ihrer Angst, ihrer Idee vom Leben und den Wünschen und Vorstellungen der anderen und ihres Freundes.

Die Leichtigkeit ihrer langjährigen Beziehung ist längst dahin, können sie noch einmal neu zueinanderfinden? Er drängt sie, zu ihm zu ziehen; sie hält ihn andauernd hin, allein aufgrund der Angst, dann im selben Haus wie seine Eltern leben, ihnen ständig begegnen zu müssen. Ihr Leben in Bildern vor ihr: Sie empfindet Abscheu.

Sie will reisen, vielleicht am Meer leben, vielleicht in Madrid, sie will etwas erleben, frei sein; er sehnt sich nach einer Familie, träumt von einem gemeinsamen Leben, ist konservativer, biederer geworden. Sie hatte nie ein richtiges Familienleben, kennt das nicht. Wie soll sie ein solches erschaffen? Ein Buch, das grübeln lässt und Zweifel schürt: das Sittenbild einer Generation, die sich auf nichts fix einlassen, keine Zugeständnisse machen will – oder die berechtigte Angst, in ein Korsett gedrängt zu werden, aus dem es kein Entkommen gibt? AB

Tanja Raich: „Jesolo“, Blessing Verlag, 224 Seiten, 20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2019)

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