Sven Regener: "Spökenkieker, Freaks und vernagelte Leute"

Sven Regener im Gespräch im Wiener Rabenhof.
Sven Regener im Gespräch im Wiener Rabenhof. (c) Felbermayer
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Der Autor und Frontmann von Element of Crime im DiePresse.com-Interview über sein neues Buch „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“, fiktive Dialoge, Interaktion im Internet, österreichische Politik und den Songcontest.

Sven Regener, Sänger der Band „Element Of Crime“ und Autor der Herr-Lehmann-Trilogie, hat seine zwischen 2005 und 2010 auf Websites veröffentlichten Blogs in Buchform herausgebracht. Gemeinsamkeit: Der imaginäre Telefonfreund, Kritiker und Seelenverwandte Hamburg-Heiner. DiePresse.com traf Regener im Wiener Rabenhof.

Inhaltsverzeichnis

Seite 1: "Spökenkieker, Freaks und so vernagelte Leute"
Seite 2: "Ich bin generell leicht soziophob unterwegs"

DiePresse.com: Ihr vor kurzem veröffentlichtes Buch „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ ist eine Sammlung Ihrer Blogs aus den letzten Jahren. Wie ist Ihr fiktiver Gesprächspartner Hamburg-Heiner entstanden?

Sven Regener: Ich bin ja in diese ganze Blog-Sause so reingeraten. Aber ich hatte schon am dritten Tag keine Lust mehr, weil mir vorkam, dass das so ein Kolumnisten-Ding werden könnte: Man redet mit sich selbst und gibt seine Meinung zu allen möglichen Dingen wieder. Ich hab nichts dagegen wenn’s andere tun, aber für mich ist das nichts. Darum habe ich mich anrufen lassen, um einen Dialog-Stil reinzukriegen, denn dann wird das dialektisch, dann kann sich auch was entwickeln. Ein fiktiver Dialog kann zu Handlung führen oder kann Handlung sein, weil sich die Fronten ändern - das kriegt einen Zweikampfcharakter. Das schien mir die einzige Möglichkeit zu sein, dass ich nicht selber vor Langeweile dabei umkomme. 

Zum Teil führen Sie ja ein „echtes“ Tagebuch. Sie listen auf, welche Playlist Sie für eine Radiosendung gemacht haben.  Das wirkt schon so als wäre es eben gerade passiert - da wurde Ihnen dann langweilig?

Eigentlich hab ich für Tagebuch und solche Literaturformen  kein Herz und kein Händchen, ich bin auch kein Kunde als Leser, außer für Ausnahmen wie Peter Rühmkorf oder Fritz J. Raddatz.  Aber das ist nichts, was ich selber produzieren könnte. Letztendlich kann ich nur so eine Mischung aus Gonzo-Journalismus und eben Dialog-Trash machen und versuche, auf diese Weise irgendwie durch die Realität zu marodieren.

Man hat als Künstler ja höchstens ein taktisches Verhältnis zur Realität. Man benutzt sie da, wo es in den Kram passt und macht sich ansonsten ein schönes Leben, indem man sich Dinge ausdenkt und sie damit vermischt. Dinge, die tatsächlich stimmen, kommen einem ja oft am komischsten vor, also zum Beispiel dass Hamburg Altona von 1864 bis 1866 als Teil vom Herzogtum Holstein von Österreich verwaltet wurde, das stimmt. Das ist natürlich das, was am allerwenigsten geglaubt wird, während viel anderer Scheiß, den ich da behaupte, absolut aus den Fingern gesogen ist.

Die Reife in diesem Blog-Ding besteht darin, dass es immer blöder wird. 

Das Gegenstück zu Hamburg-Heiner ist die Figur des liebenswert-sympathischen, aber immer wieder naiven Sven, der wiederholt betont,  er lese die Einträge der User auf keinen Fall. Hamburg-Heiner macht ihn aber da immer wieder aufmerksam darauf, als Korrektiv. Liest Hamburg-Heiner ab und zu die Kommentare?

Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Sven Regener während des Interviews.
Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Sven Regener während des Interviews.(c) Köck

(lacht) Sieht so aus als wenn der Hamburg-Heiner da ab und zu mal reinkuckt.  Wichtig ist ja für den Sven, weil er der Urheber dieser Blogs ist, dass er sich nicht dazu verhält. Das ist ein literarischer Blog, das heißt, die Leute, die da Kommentare schreiben, schreiben ja so etwas wie Kurzkritiken. Als Kritiker führen sie zum Teil auch untereinander Auseinandersetzungen, das ist völlig in Ordnung.

Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Redakteurin Christina Köck während des Interviews.
Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Redakteurin Christina Köck während des Interviews.(c) Felbermayer
Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Redakteur Günter Felbermayer während des Interviews.
Diese Schuhdarstellungen sind eine entlehnte Idee aus dem Buch von Sven Regener, bei dem in einigen Kapiteln die Schuhe der Band fotografiert wurden. Hier die Schuhe von Redakteur Günter Felbermayer während des Interviews.(c) Köck

Aber als Künstler verhält man sich nicht zu Kritiken. Man antwortet darauf nicht – man muss es ignorieren. Damit hat man zwei Möglichkeiten: Man kann es trotzdem lesen und sich dauernd ärgern – oder man sagt sich gleich, ich will das nicht. Kann man ja machen, dass man nach einer Lesung Fragen aus dem Publikum beantwortet. Ohne mich! Das tut man nicht, das will auch wirklich niemand. Die ganze Idee von interaktiver Kunst ist ja so ein 60er Jahre-Ding. Wer geht denn wirklich gerne in Mitmach-Theater? Ist nicht eine der größten Ängste, die man hat, wenn man irgendwo in der ersten Reihe sitzt, dass gleich einer kommt und einen da mit reinzieht? Im Grunde genommen will man, dass der Künstler sein Ding macht und sich nicht beeinflussen lässt.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie nach einer Lesung oder nach Konzerten mit Ihrer Band „Element of Crime“ angesprochen werden?

Mich spricht nach Konzerten niemand an, weil uns niemand ansprechen kann. Zwischen uns und den Leuten sind mehrere Gittertüren, Security-Leute und sonstwas. Natürlich kann man das machen, Agitprop – Leute machen das vielleicht oder Liedermacher, die sagen, sie wollen über die Lieder diskutieren, weil sie zur Kunst ein funktionales Verhältnis haben, eines, wo die Kunst dafür da sein soll, etwas anderes zu bewerten, was ja irgendwie auch problematisch ist. Ein Beispiel wäre das Köln-Konzert von Wolf Biermann 1976.

Das ist natürlich was, das im Rock’n’Roll nichts gilt – so wenig wie ich als Zuschauer hinterher mit dem Sänger von den Eels reden kann, genausowenig kann man das mit uns, und warum soll das anders sein?
Es ist ja gar nicht wahr, dass man zu einem Maler hingehen will und sagen will „Hätten Sie da nicht ein bisschen mehr rot verwenden können?“, das will ja niemand.

Wieso gibt es dann diese Interaktion im Internet...?

Es gibt ja gar keine Interaktion im Internet. Was haben wir? Spiegel online, da kann man Kommentare schreiben. Der Autor, der den Artikel geschrieben hat, verhält sich dazu nicht mehr. Da schreiben Leute irgendwelchen Kram rein, denen sonst niemand zuhört, weil es möglich ist. Es gibt diese Posting-Möglichkeit und es ist eine gewisse, kleine Anzahl von Leuten, die das macht. Ich finde das völlig in Ordnung – jeder hat sein Hobby.  Oder es ist eine Vereinsgeschichte.

Sie schreiben in einem der nun abgedruckten Blogs: „Das ist jetzt aber aus der Erinnerung erzählt, recherchiert wird hier gar nichts, hier wird einfach nur behauptet. Schließlich sind wir im Internet.“ Gibt es einen Unterschied zwischen Texten, die im Internet erscheinen und gedruckten?

(schmunzelt) Nein, ich würde auch sonst ganz gern einfach mal etwas behaupten. Aber es ist natürlich eine schöne Ausrede, zu sagen: Wir ja sind im Internet.

In den 70er Jahren war ich im Kommunistischen Bund Westdeutschland organisiert, worauf ich jetzt nicht besonders stolz bin. Aber es gab ein paar interessante Erfahrungen: Etwa wie es ist, wenn man als maoistischer Kommunist an einem Samstagvormittag im Einkaufszentrum steht. Dort kamen die Leute zu einem, denen sonst niemand mehr zuhörte  – wir waren sozusagen die Telefonseelsorge, aber auch gleichzeitig der Watschenmann.

Diesen bizarren Eindruck von den Menschen kriegt man auch, wenn man sich im Internet in den einschlägigen Foren herumtreibt. Da kann man die ganzen Spökenkieker, Freaks, vernagelte Leute und Verschwörungstheorien, die es immer schon gab, so richtig erleben. Meinungsbilder aus Internetforen haben mit gesellschaftlichen Tendenzen überhaupt nichts zu tun, weil da in erster Linie Quatsch behauptet wird. Dass man keine Ahnung hat, ist da überhaupt kein Argument, weil das niemanden davon abhält, zu jedem Scheiß seinen Senf abzugeben. So hab ich es halt auch gemacht, das ist genau die Trash-Note bei Blogs. 

Sven Regener im Gespräch.
Sven Regener im Gespräch.(c) Felbermayer

Steckbrief

1961 Sven Regener wird in Bremen geboren.
1981 Beginn eines Studiums der Musikwissenschaft in Hamburg und Berlin, das er aber abbricht.
1982 Trompeter für die Gruppe Zapotek, mit der er seine erste LP aufnimmt.
1985 Mitbegründer von Element of Crime.
2001 Veröffentlichung des Bestseller-Romans „Herr Lehmann“.
2003 Sein Debüt-Roman wird von Leander Haussmann verfilmt, Regener verfasst das Drehbuch.
2008 Der letzte Teil der Trilogie, „Der kleine Bruder“, erscheint.

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