Horx: „Zeitungen sind Teil eines Rituals“

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Matthias Horx sagt der Zellulose im Medienbereich ein langes Leben voraus, parallel zur Entwicklung von „Lesefolien“. Und er macht sich um die „Generation Internet“ weder sprachlich noch intellektuell Sorgen.

Die Presse: Werden wir in zehn, zwanzig, fünfzig Jahren die Zeitung noch auf Papier lesen?

Matthias Horx: Papier ist ein sehr guter Datenträger – einfach, billig, inzwischen auch gut recycelbar. Deshalb werden manche Zeitungen auch in hundert Jahren noch – oder wieder – auf Zellulose erscheinen. Es gibt ja auch noch Teller aus Porzellan und Pflastersteine.


Was ist mit Online-Zeitungen oder E-Paper?

Horx: Es wird auch neue Varianten geben. In dem Science-Fiction-Film „Minority Report“ haben die Zeitungen bewegte Bilder und sind so etwas wie flaches Fernsehen, das man unterwegs in der U-Bahn liest – wobei erstaunlicherweise die U-Bahn immer noch dieselbe ist. Das halte ich für ein wenig übertrieben. Aber ich denke schon, dass sich Lesefolien durchsetzen könnten, die sich durch Licht mit Energie versorgen und in einigen Jahrzehnten im Alltagsgebrauch sind. Allerdings ist die Frage der Zeitung für mich vom „Ausgabemedium“ abgekoppelt – Zeitungen sind ja auch und vor allem geistige, kulturelle und soziale Produkte, als solche müssen wir sie betrachten.

Werden bald nur noch die Alten die Zeitung lesen, während sich die Jungen lieber elektronisch informieren?

Horx: Wir müssen zunächst die Soziokultur der Zeitung etwas tiefer beleuchten. Zeitungen sind Teil eines täglichen Rituals – man liest sie vor allem zum Frühstück als eine Art Upgrade der Information, und auch, um nicht immer mit dem Partner reden zu müssen, um im Kaffeehaus nicht andere Leute anstarren zu müssen oder in der U-Bahn etwas zu tun zu haben. Diese Sozialfunktion wird man immer brauchen. Trotz aller Individualisierung brauchen Kulturen immer ein Set an gemeinsamen Informationen – man könnte sogar die These aufstellen, dass dies in einer fraktalisierten Informationswelt noch wichtiger wird. Allerdings wandern mache Funktionen von Zeitungen wie Kleinanzeigen und Kalender ins Netz, und das macht es schlichtweg schwieriger, eine Zeitung ökonomisch zu führen.

Wie wirken sich diese wirtschaftlichen Zwänge auf die Printbranche aus?

Horx: Es kommt zu einem Niedergang der Qualität, weil manche Verlage zu sehr in kurzfristigen Umsätzen denken. In Zukunft wird es deshalb wahrscheinlich weniger, aber dafür noch professionellere Zeitungen geben. Die Zeitung kommt gewissermaßen zu ihrem spirituellen Kern zurück. Sie wird dann allerdings eher ein Outlet eines Medienunternehmens, weniger ein autonomes Wirtschaftsprodukt.

Welchen Stellenwert wird die Zeitung haben?

Horx: Als Newslieferanten haben Zeitungen ihr Monopol längst verloren. Sie konnten nie so schnell sein wie das Radio oder Fernsehen. Ihre Stärke liegt im Reflektorischen, im Diskursiven, in der Welterklärung. Zeitungen wie die „Presse“, die „FAZ“ oder die „Zeit“, wo ich einige Jahre Redakteur war, sind Institutionen. Eigentlich produzieren sie Sinn und Kohärenz. Andere Zeitungen sind erfolgreich, weil sie das Bedürfnis der Leser nach Verankerung ansprechen, also nach Verortung in der Stadt oder Region.

Droht Gefahr aus dem Internet?

Horx: Die Gefahren, die der Zeitung drohen, drohen ihr nicht von der Technik, sondern von einer Art Selbstaufgabe. In den letzten zehn Jahren gibt es eine gewaltige Boulevardisierung, eine Vertrashung der Medienkultur. Zeitungen werden als Angsterzeuger, als Propagandainstrumente, als Reizsignalgeber benutzt. Das führt zu einem Niedergang der Zeitungskultur, vor allem, weil sich viele seriöse Zeitungen nun auch dieser reißerischen und Infotainment-Tendenz anschließen, weil sie Angst haben, sonst Auflage zu verlieren. Man begeht gewissermaßen Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Sind Leute, die sich mehr über das Internet als über Printmedien informieren, genauso gut informiert? Werden sie nicht eher darauf gepolt, durch Bilder informiert zu werden, als einen komplizierten Sachverhalt zu lesen?

Horx: Ich halte das für eine typische kulturpessimistische Negativbetrachtung. Dass junge Leute heute nicht wissen, was sie wählen sollen, hat vielleicht auch mit dem politischen Angebot zu tun. Bilder und Grafiken haben im Universum der Information eine wichtige Funktion, das würde ich nicht denunzieren, und gute Zeitungen sind auch in der Lage, damit zu arbeiten. Ich würde auch glattweg bestreiten, dass die Jungen heute weniger informiert sind. Die Jungen sind selektiver in ihren Wahrnehmungen, aber sie sind heute breiter informiert und gebildet, als wir in unserer Jugend in den 60er- oder 70er-Jahren waren. Wer durch das Internet sozialisiert wurde, hat vielleicht nicht mehr eine so durchgebürstete Weltanschauung. Er hat erlebt, dass die Dinge sich ändern können, und dass es viele Meinungen gibt. Man entwickelt eine Art coole Welthaltung. Das interpretieren Ältere gerne als meinungslos oder wertelos.

Der „Spiegel“ fragte unlängst am Cover, ob das Internet „doof“ macht. Ist das so?

Horx: Das zeigt, dass auch seriöse Institutionen wie der „Spiegel“ zu Boulevardmedien werden, die jedes kollektive Vorurteil in Schlagzeilen verbraten. Das Internet macht die Klugen klüger, die Wissenden wissender. Es macht aber nicht die Dummen dümmer. Es ist ein Medium, das aktives Verhalten, Interesse und bestimmte Kulturtechniken verlangt. Wer ins Internet geht, muss wissen, was er sucht, oder er verirrt sich, und dann wird es schnell langweilig. Der „Spiegel“ verwechselt, wie das so oft gemacht wird, das Medium mit den kognitiven Zugängen, die Frage der Bildung mit Informationsweisen. Das Fernsehen verdummt die Menschen ja auch – wenn man die falschen Sender sieht. Für Gebildete, die es selektiv nutzen, ist es ein Fenster in die Welt.


Verändert sich durch E-Mail, SMS und Internet auch unsere Sprache?

Horx: Ja, Sprache verändert sich, weil sie sich immer schon verändert hat. Wollen wir sprechen, wie man im Mittelalter gesprochen hat, in einer Art lateinisch-steifdeutschem Dialekt? Das Englisch wird immer mehr in das Deutsche eingehen, auch, weil man im Englischen viele Dinge eleganter und emotionaler ausdrücken kann. Globalisierung, Medien, Subkulturen – all das hinterlässt Abdrücke in der Sprache – und macht sie letztendlich reicher, vielfältiger und differenzierter, auch in der Schriftform.

Heute werden wir mit Informationen geradezu bombardiert. Bis in den Urlaub verfolgen einen News-Flash und E-Mail. Wie lange werden wir das noch aushalten?

Horx: Wir erleben heute ja, wie Menschen langsam lernen, mit dieser Flut umzugehen. Wir immunisieren uns langsam gegen den Info-Müll, indem wir ihn einfach ignorieren. Leider wird Medienkompetenz nicht in unseren Schulen gelehrt, deshalb entfaltet sich dieser Prozess autochthon, also in der Gesellschaft, und viel zu langsam. Die Gebildeten verabschieden sich heute vom Fernsehen. Die Jüngeren sehen auch immer weniger fern. Das Netz wird derzeit ein Metamedium, aber es macht uns natürlich noch Schwierigkeiten, damit umzugehen. Deshalb jammern wir erst einmal über den „Kulturverlust“, den die neuen Medien mit sich bringen. Das ist seit 5000 Jahren so. Plato hat über die Schrift als Verlust von gesprochenem Wort geflucht, im 19.Jahrhundert galt Romanlesen als Anzeichen von Realitätsverlust und Verdummung.

Wir leben in der Informationsgesellschaft. Was wird die nächste Entwicklungsstufe sein?

Horx: Leben wir wirklich in der „Info-Gesellschaft“? Was soll das heißen? Ich glaube, wir leben in einer Gesellschaft, die gerade lernt, mit vielen Informationen sinnvoll umzugehen. Daraus wird irgendwann eine Wissensgesellschaft werden. Wissen ist viel mehr als Information. Wissen ist eine Verknüpfungsfrage, eine Frage der Social Skills, der Schulung der Sinne, des Instinkts, der Intelligenz in einem weiteren Sinne. Wenn man weiß, dass in Finnland 90Prozent aller 20-Jährigen Matura haben und 70Prozent aller Finnen intensiv das Internet nutzen, dann weiß man, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, bis wir die Wissensökonomie erreichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2008)

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