Privatsphäre: Kanzlertochter im Visier

Gut gelaunt gibt sich die Familie Gusenbauer, wenn der Anlass ein öffentlicher ist. Aber auch Politiker - und vor allem ihre Kinder - haben ein Privatleben.
Gut gelaunt gibt sich die Familie Gusenbauer, wenn der Anlass ein öffentlicher ist. Aber auch Politiker - und vor allem ihre Kinder - haben ein Privatleben.(c) AP (Lilli Strauss)
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"Österreich" bringt Falsch-Meldungen über Selina Gusenbauers Schulerfolg. "Sauerei", sagt Medienanwalt Michael Pilz. Mutter Eva Steiner hat bereits juristische Schritte eingeleitet.

Die Bildbearbeitung der Tageszeitung „Österreich“ hat Selina Gusenbauer am Dienstag ein Nagetier auf die Schulter montiert. Schlagzeile dazu: „Wegen einer Ratte: Kanzlertochter fliegt von der Schule“. Die 16-Jährige „kann einem wirklich leidtun“, schrieb das Boulevardblatt. Wegen der Ratte und dreimaligen Sitzenbleibens sei sie von der Schule, dem Lycée Français, geflogen – was Direktor Jean Bastianelli umgehend dementierte. Auch sei „unrichtig, dass sie das vergangene Schuljahr wiederholen hätte müssen. Sie hat das Schuljahr bestanden. Das Lycée hätte Selina gerne weiterhin als Schülerin behalten, respektiert aber ihre persönliche Entscheidung des Schulwechsels.“

Am Mittwoch nun machte sich „Österreich“ auf die Suche nach einem geeigneten Job für die Tochter von Alfred Gusenbauer. „Sie wäre die perfekte Verkäuferin“, wird ein Ladeninhaber im Generali-Center an der Wiener Mariahilfer Straße zitiert.

„Hat mit Beruf des Vaters nichts zu tun“

Einen Presserat, der solche „Berichterstattung“ kritisieren müsste, gibt es nicht mehr. Stellt sich trotzdem die Frage: Sind Politikerkinder Personen öffentlichen Interesses? „Nein“, sagt Medienanwalt Michael Pilz klar. „Das ist eine Sauerei. Es gibt kein öffentliches Interesse daran. Das hat mit der beruflichen Tätigkeit ihres Vaters nichts zu tun. Die Bildnisveröffentlichung dient in diesem Fall offenbar auch nur der Verstärkung einer noch dazu unrichtigen Berichterstattung.“ Das betrifft also auch ihre schulische Laufbahn? „Ob sie hinausgeworfen wurde oder nicht – das betrifft den höchstpersönlichen Lebensbereich. In ihrem Fall besonders, geprägt von all der Vorberichterstattung. Das ist kreditschädigend und ehrenrührig.“

Mutter Eva Steiner ist empört: „Hier handelt es sich um Mobbing eines 16-jährigen Mädchens, was ein Ende haben muss. Diese Grenzüberschreitung habe ich im österreichischen Journalismus nicht für möglich gehalten. Und ich werde ihr auch nicht mehr tatenlos zusehen. Juristische Schritte wurden bereits eingeleitet“, sagt sie zur „Presse“. Mehr wollen die Eltern dazu nicht sagen, „weil diese Vorgänge ausschließlich die Privatsphäre des Kindes betreffen“. Nur so viel: „Children are off limits“, habe Barack Obama doch gerade erst vor kurzem gemeint.

Ist absehbar, dass der Prozess ungünstig für „Österreich“ ausgehen wird? „Eindeutig ist nix“, meint Anwalt Pilz. Nach dem Mediengesetz kann Selina Gusenbauer selbst Anträge stellen. „Ich würde zu rechtlichen Schritten raten.“ Tatsächlich kalkulieren manche Medien die Höchststrafe für solche Delikte – 20.000 Euro – ein. Pilz: „Besonders gemein ist es allerdings, wenn Minderjährige Opfer solcher Berichterstattung werden, ein 16-, 17-jähriges Dirndl.“ Meinung S. 37

GEGEN DEN EHRENKODEX

Auch wenn Österreich derzeit über keinen Presserat verfügt, ein journalistischer Ehrenkodex gilt. Dem widerspricht die Berichterstattung über Selina Gusenbauer v.a. im Punkt „Intimsphäre“: „Vor der Veröffentlichung von Bildern/Berichten über Jugendliche ist die Frage eines öffentlichen Interesses daran besonders kritisch zu prüfen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2008)

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