Kämpferisch-kreativ wie „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein

(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Am Mittwoch vor 70 Jahren begann der Aufstieg des deutschen Nachrichtenmagazins. Gleich zu Beginn zeigten sich seine Macher kompromisslos und schrieben gegen ihre Förderer, die britischen Besatzer. Enthüllungsjournalismus machte das Blatt groß. Derzeit befindet es sich in einer Krise.

Ein junger Deutscher Anfang 20 und einige Gleichgesinnte träumen vom Journalismus jenseits der Propaganda der Nazi-Zeit. Ein noch jüngerer britischer Besatzungsoffizier von 21 Jahren glaubt an diesen Traum, ihm selbst schwebt eine deutsche Variante des US-Magazins „Time“ vor. Hannover, 1946: John Seymour Chaloner stellt dem Greenhorn Rudolf Augstein und dem gut zwei Jahrzehnte älteren Hans J. Troll die Mittel zur Verfügung, eine Zeitschrift erscheinen zu lassen. Erster kommissarischer Chefredakteur ist Presseoffizier Harry Bohrer, der in der NS-Zeit nach England emigrierte und 1945 als britischer Soldat nach Deutschland zurückkehrte. „Diese Woche“ nennt sich das schmale Heft, das erstmals am 16. November 1946 unter der Kontrolle der britischen Militärverwaltung in der Hauptstadt von Niedersachsen erscheint. Die Auflage des Newcomers beträgt 15.000. Mehr ist damals wegen der Papierrationierung nicht möglich.

Die Story, die am meisten Aufsehen erregt und die Redaktion sogleich in existenzielle Schwierigkeiten bringt, stammt von Augstein, der das Deutschland-Ressort leitet: „Hunger an der Ruhr“ sucht die Konfrontation mit den Förderern des Projekts, den Briten. Die Besatzer werden hart kritisiert, in der ersten jener Aufdeckergeschichten, für die das Nachrichtenmagazin später so berühmt wird. Das Foreign Office fordert deshalb nach sechs Nummern die Einstellung, Chaloner gelingt es aber, das Blatt in deutsche Hände zu übergeben. Augstein übernimmt die Führung. Er wird mit zwei Kollegen Lizenzträger der Zeitschrift, die ab 1947 „Der Spiegel“ heißt, und fungiert als dessen Chefredakteur wie auch Herausgeber. Letzteres wird er bis zum Ende bleiben, seinen finalen Kommentar im „Spiegel“ schrieb er 2002, wenige Wochen vor seinem Tod – eine Polemik gegen die Nahostpolitik der USA.

1946/47 begann dank Rudolf Augstein eine rasante Erfolgsgeschichte. Sein Blatt wurde bald zum Marktführer, in der besten Zeit wurden Anfang der Neunzigerjahre weit mehr als eine Million Exemplare verkauft, für mehr als sieben Millionen Leser. Kein Montag ohne „Spiegel“. In Boom-Phasen, so die Fama, soll es vorgekommen sein, dass Inserate abgelehnt werden mussten, weil sie den Umfang des Heftes gesprengt hätten. Solch eine Lizenz zum Gelddrucken kann auch überheblich machen. Ist die typische „Spiegel“-Sprache auch deshalb so schnoddrig? Und wer kontrolliert die Kontrolleure?

Zum Jubiläum Abbau Dutzender Stellen

Heute, bei wesentlich stärkerer Konkurrenz und dem wachsenden Einfluss der Onlinemedien, liegt „Der Spiegel“ bei der immer noch recht beachtlichen Auflage von knapp 800.000. Davon sind inzwischen rund sieben Prozent digitale Abonnements. Auch dieses Leitmedium befindet sich im Umbruch, die redaktionellen Kämpfe zwischen Online und Print sind bereits legendär, der Sachzwang ist brutal. Ausgerechnet diese Woche wurde der Abbau Dutzender Stellen verkündet.

Wie aber hätte der Gründervater auf die derzeitige Dauerkrise reagiert? Gedruckt oder elektronisch, die Frage ist müßig. Nebensache. Auf den Inhalt kommt es an! Augstein sah sein Blatt stets als „Sturmgeschütz der Demokratie“, er blieb den Prinzipien treu, die seine erste Story in „Diese Woche“ geprägt hatten: im Zweifel stets gegen die Mächtigen. Augstein war sogar bereit dazu, für sein Blatt ins Gefängnis zu gehen. Als er und einige Mitarbeiter 1962 in der „Spiegel“-Affäre nach einem Aufdeckerartikel über ein Nato-Manöver wegen Landesverrats festgenommen wurden, kam er für mehr als hundert Tage in Haft. Am Ende aber musste damals der bullige, in diverse Skandale verwickelte Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) gehen. Der Chef des „Spiegels“ hatte sich nicht einschüchtern lassen, er blieb im Kräftemessen mit der Politik auch moralischer Sieger. Und den größten Erfolg erzielte dabei die Pressefreiheit. Für sie müssen Journalisten immer kämpfen. In harten Zeiten besonders beharrlich und kreativ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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