Fake News: Skandale, Emotionen und Klicks, Klicks, Klicks

Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner: Hat er Fake News produziert und für politische Werbung verwendet?
Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner: Hat er Fake News produziert und für politische Werbung verwendet? (c) APA/AFP/BRENDAN SMIALOWSKI (BRENDAN SMIALOWSKI)
  • Drucken

Bewusste Falschmeldungen existieren nicht erst seit dem Siegeszug des Internets und der sozialen Medien.

Wien. Es war einmal ein Mädchen. 13 Jahre alt, aus Berlin, Probleme in der Schule und Angst, dies den Eltern zu erzählen. Eines Tages kam Lisa nach der Schule nicht nach Hause, am Tag darauf tauchte sie wieder auf.

So weit, so gewöhnlich. Das Mädchen behalf sich mit einer Lüge: Drei Unbekannte hätten sie entführt, die ganze Nacht festgehalten und vergewaltigt. Südländer. Für Teile der Bevölkerung stand fest: Das müssen Flüchtlinge gewesen sein.

Das Gerücht, kombiniert mit Lisas Herkunft – Russland – und Politik, führte zu Demonstrationen, zu einem Angriff auf ein Asylheim und zu diplomatischen Spannungen. Lisa übernachtete eigentlich bei einem Freund. Fake News sind mächtig.

Fake News! Ein Begriff, der sich spätestens seit Donald Trump in die Hirnrinde der Allgemeinheit eingebrannt hat. „Ich rate dazu, diesen Begriff, so weit es geht, zu vermeiden. Ich selbst kenne ihn erst seit dem Vorjahr. Wir haben viele gute Begriffe für Falschmeldungen aller Art. Hoax, Fake, urbane Legenden, Enten, bewusste Desinformation“, betont Andre Wolf. Er ist Teil des Teams von Mimikama. Die Gruppe hat sich darauf spezialisiert, Falschmeldungen zu untersuchen und zu widerlegen. Bis zu 150 Meldungen erhält Mimikama. Pro Tag. Den Fall Lisa bezeichnet Wolf als Hybrid-Fake: Aus einem echten Erlebnis wird eine falsche Meldung konstruiert oder zumindest extrem tendenziös darüber berichtet.

Es war einmal eine Gruppe von Redakteuren, die über „Protokolle der Weisen von Zion“ schrieb. Sie erzählen von einem Treffen jüdischer Weltverschwörer, was die Londoner „Times“ bereits 1921 als Fälschung entlarvt hatte. In der Zwischenkriegszeit verbreitete sich dieses antisemitische Pamphlet dennoch – auch heute glauben manche Kreise an deren Wahrhaftigkeit. Fake News sind beharrlich.

Drohungen, Verleumdungen

Verschwörungstheorien sind oft in sich schlüssig und wappnen sich schon gegen ihre Widerlegung. Wolf verweist auf die satirische „Bielefeldverschwörung“. Demnach existiert Bielefeld nicht, und jeder, der etwas anderes behauptet, hat eine Gehirnwäsche hinter sich.

Wolf: „Kürzlich hat uns ein Blog angegriffen, weil wir uns einem Artikel zur vermeintlichen Inexistenz von Masernviren gewidmet haben.“ Auf einen Kleinkrieg mit Verschwörungstheoretikern will sich Mimikama nicht einlassen. Allerdings kämpft das Team mit Drohungen und Verleumdungen. Einmal stand der Verfassungsschutz im Büro und suchte ein Waffenlager.

Es war einmal Edgar Allan Poe. Er veröffentlichte 1844 in der „New York Sun“ eine Geschichte über Monck Mason, der mit einem Gasballon in 75 Stunden den Atlantik überquerte. Viele Zeitungen druckten die Geschichte ab. Bloß: Sie war komplett erfunden. Fake News sind schwer durchschaubar.

Manchmal gehen auch seriöse Medien auf den Leim. Facebook, Twitter und Co. bergen neue Gefahren, schildert Wolf: „Medien versuchen mitzuhalten. Aber Twitter wird immer schneller bleiben.“ Mit der Digitalisierung hat sich nicht nur die Zahl der Falschmeldungen vervielfacht. Sogenannte Bots – also Programme – versuchen, Relevanz vorzutäuschen.

Jemand, der sich mit diesem Phänomen beschäftigt hat, ist Peter Welchering. Er ist deutscher Journalist, regelmäßiger Gast im Computerklub und Erfinder des Begriffs „Bundestrojaner“. Welchering widmete sich dem amerikanischen Wahlkampf.

„Trumps Schwiegersohn Jared Kushner betrieb politisches digitales Direktmarketing.“ Er habe Leaks (veröffentlichte geheime Informationen) genutzt und daraus eine Falschmeldung konstruiert. Mit Datenanalysen hat Kushner deren Empfänger ermittelt. Dann kamen „Social Bots“ ins Spiel. Sie liken, retweeten und kommentieren Meldungen. Facebook glaubt dadurch, die Nachricht sei wichtig, und verbreitet sie. „Manchmal meinen sogar Journalisten, eine Nachricht mit vielen Likes sei automatisch relevant“, erläutert Welchering. Auch in Europa wird mit Bots gearbeitet.

„Botswatch“ hat festgestellt, dass bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein um 18.35 Uhr 722 Social-Bots etwas zur Wahl gepostet haben. 16,85 Prozent aller Tweets mit dem Hashtag stammten von Robotern.

Der Ton wird rauer

Es war einmal eine spanische Frau, die 28 Jahre vorgetäuscht hat, blind zu sein. Was für eine Story! Viele schrieben ab, Ö24 etwa: „Gegenüber dem spanischen Nachrichtenportal ,Hay Noticia‘ rechtfertigte sich Jimenez folgendermaßen: .Ich wollte einfach keine Menschen mehr sehen und stehen bleiben, um sie zu grüßen. Ich war nie sehr sozial.‘“ Mimikama machte sich schlau, und voilà: „Hay Noticia“ ist eine Satireseite. Fake News sind verlockend.

Darum geht es vielen Portalen: Klicks, Klicks, Klicks. Welchering erläutert: „Falschmeldungen skandalisieren, emotionalisieren und wir möchten wissen, wie es weitergeht.“ Je nach Aktualität ändern sich Inhalt und Verbreitung. In Zeiten fehlender politischer Dispute erfreuen sich Kettenbriefe guter Konjunktur. 2015 wurde der Ton rauer, viele Falschmeldungen mit Flüchtlingen machten die Runde. Mittlerweile stehe der Islam im Vordergrund, sagt Wolf. Eine Taktik: Jahrealte Meldungen werden ohne Datum erneut gepostet.

Fake News: alte Phänomene unter neuen Vorzeichen. Auch die Gesellschaft muss sich anpassen. Einerseits die Medien, wie Welchering fordert: „Journalisten müssen auch auf Twitter und Facebook die Quelle hinterfragen.“ Wolf nimmt Schulen in die Pflicht: „Dort muss Medienkompetenz gelehrt werden: Wie kann ich Quellen überprüfen? Welche sind zuverlässig?“

Whatsapp für Kettenbriefe, Facebook für Flugblätter, Blogs für Desinformation. Falschnachrichten hat es unter Herodot gegeben, im Römischen Reich, im Mittelalter. Edgar Allan Poe, Zion, Verschwörungen, Massenvernichtungswaffen, um in den Irakkrieg einzumarschieren. Die Austria Presse Agentur (APA) entstand nach einer Falschmeldung über die Schlacht von Magenta im Juni 1859. Mimikama wurde vor sieben Jahren geboren, als der Gründer auf eine Abofalle bei „Farmville“ reinfiel. Fake News gab es, gibt es, und wenn sie nicht gestorben sind, dann fälschen sie auch morgen.

Serie: #RESPEKT

Die Serie #RESPEKT ist eine Zusammenarbeit der „Presse“ mit den Bundesländerzeitungen „Kleine Zeitung“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“ und „Vorarlberger Nachrichten“. Analysen und Interviews widmen sich den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kommunikation. Dabei werden Themenbereiche wie Hass im Netz, Desinformation sowie Fake News erschlossen.

diepresse.com/respekt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Medien

Und plötzlich im Auge des Shitstorms

In Entrüstung mischen sich Argumente schnell mit Beleidigungen oder gar Drohungen. Im Umgang mit Kritik raten Experten zu „Ruhe und Authentizität“. Auch Klagen sind leichter möglich, als manche denken.
Jan Hinrik-Schmidt, Medienforscher des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg.
Medien

Wie Internet-Trolle die Kommunikation stören

Trolle sind scheue Wesen. Sie brüllen im Internet in Großbuchstaben und sind wie vom Erdboden verschluckt, wenn man sie nach ihrem echten Namen fragt. Was bringt Menschen dazu, sich im Netz destruktiv auszulassen?
Wladimir Putin (Bild) kritisiert häufig westliche Medien. Das russische Staats-TV steht unter rigider Kontrolle des Kreml.
Medien

Der Krieg um die (Des-)Information

Fake News. Soziale Medien haben das Tempo, mit dem Lügen im Internet verbreitet werden, noch einmal beschleunigt. Heutige Propaganda will „Versionen“ der Wirklichkeit schaffen.
Medien

Social Bots: Ein Wahlkampf der Algorithmen

Computer reagieren selbstständig binnen Sekunden auf Nachrichten. Damit können – wie das Beispiel der USA zeigen – möglicherweise sogar Wahlen beeinflusst werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.