Israel: Im unerklärbaren Land

Ben Segenreich und seine Ehefrau Schaur-Wünsch Society Menschenseite by Akos Burg
Ben Segenreich und seine Ehefrau Schaur-Wünsch Society Menschenseite by Akos Burg(c) Akos Burg
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70 Jahre nach der Staatsgründung Israels erzählen Ben und Daniela Segenreich vom Leben als Einwanderer in einem „fast normalen“ Land.

Zu Ostern, am Karfreitag, am Ostersonntag, da ist die kleine Altstadt von Jerusalem in den Händen der Christen. Ganz genau wird da eingeteilt, wann welche Prozession der vielen verschiedenen Bekenntnisse in die Grabeskirche darf. Für Ben Segenreich ist es üblicherweise Zeit, vor die Kamera zu treten, um den Österreichern zu erzählen, wie in Israel gefeiert wird.

Fast gar nicht, wäre die richtige Antwort, die man im Fernsehen nicht sieht. Im Großteil des Landes spüre man Ostern nicht, sagt Segenreich. „In Israel leben Muslime und Juden – Christen sind eine Minderheit von zwei Prozent.“ Gleichwohl fällt das jüdische Pessachfest meist mit Ostern zusammen – heuer beginnt es heute, am 30.März, und dauert bis 7.April.

Über dieses Leben, jenes hinter den Fernsehbildern, hat Ben Segenreich nun gemeinsam mit seiner Frau, Daniela, ein Buch geschrieben. Genau genommen, das wird im Gespräch mit den beiden klar, war sie die treibende Kraft dahinter. Sie war es, die mit Blick auf ihren Mann fand, „dass jemand, der mehr als 30 Jahre lang in Israel gearbeitet hat, viel zu sagen hat“.

Selbst Journalistin und Kunsttherapeutin, hat sie ihm sogar vorgezeigt, wie das mit dem Bücherschreiben geht, und 2014 in „Zwischen Kamelwolle und Hightech“ von starken Frauen in Israel erzählt. Am Ende wurde der ORF-Korrespondent von seiner eigenen, starken Frau ausgetrickst: Sie hatte dem Verlag den Tipp gegeben, anlässlich des anstehenden 70-Jahre-Jubiläums der Staatsgründung Israels noch einmal bei ihrem Mann anzufragen. Er willigte ein, als sie vorschlug, das Buch gemeinsam zu schreiben.

Wien „nicht der richtige Platz“

Das ist auch eine Rückkehr zu den Anfängen. Schon in seinen ersten Jahren in Israel hat das Paar auch gemeinsam geschrieben, Dani Scheinebergen war das Anagramm ihrer Namen. Ben Segenreich, studierter Physiker, war da eigentlich noch Informatiker. Zu schreiben begann er für eine jüdische Wochenzeitung; wenig später wurde er erst Korrespondent des neu gegründeten „Standard“, dann Kollege von Moshe Meisels, dem langjährigen Nahost-Berichterstatter des ORF, der Unterstützung brauchen konnte. Der erste Golfkrieg 1991 mit seinen nächtlichen Einsätzen wurde für ihn zum journalistischen Durchbruch. Zunächst arbeitete er für das Radio, nach einem einwöchigen Crashkurs auf dem Küniglberg auch für das Fernsehen.

„Ich wollte dort leben“, erklärt er den Entschluss für seine Auswanderung. In Wien geboren und aufgewachsen, habe er doch „das Gefühl gehabt, dass es nicht der richtige Platz für mich ist“. Zu oft sei damals in den Wiener Kaffeehäusern – es waren die Achtziger, die Zeit des ersten Libanon-Krieges – die Gespräche „in eine antiisraelische, antijüdische Richtung“ gekippt. Daniela Segenreich, auch sie Nachfahrin Überlebender, sagt ebenso, sie sei das ewige Ohrenspitzen leid gewesen. Sie hat ihren späteren Mann auf einem Israel-Urlaub kennengelernt, wenig später für die gemeinsame Zukunft das Angebot eines österreichischen Wirtschaftsmagazins abgelehnt.

1988, 40Jahre nach der Staatsgründung, kam sie in Israel an, „gerade als die erste Intifada zu brodeln begann“. Wenig später folgten Saddam Husseins Drohungen, fand sich das Paar bei Giftgasalarm mit Gasmasken im abgedichteten Badezimmer wieder. Es sind diese Dinge, die das Leben in Israel nur „fast ganz normal“ machen. Jedenfalls, sagt Ben Segenreich, sei es viel normaler, als viele Österreicher glauben, die oft (und gerade auch durch die Nachrichten) vor allem Bilder von Attentaten und Gefahren im Kopf haben.

Das alltägliche Israel aus dem Blickwinkel europäisch geprägter Einwanderer wollen die Segenreichs mit ihrem Buch schildern. Es ist Daniela Segenreich – sie schreibt u.a. für die „NZZ“ und arbeitet als Kunsttherapeutin mit Jugendlichen und Flüchtlingen aus Eritrea –, die dabei aber auch wieder die „schweren“ Aspekte des Lebens anspricht. Die schildert, wie im „Land der Sirenen“ zu Jom Haschoah und Jom Hasikaron, den Gedenktagen für Holocaust und die gefallenen Soldaten, für eine Minute das Leben komplett stillsteht. Oder wie es ist, Töchter in der Armee zu haben.

Aber natürlich denke man im Alltag weder ständig an die Shoah noch an Terror, „sondern an Wohnungspreise, überfüllte Spitäler oder Korruptionsermittlungen gegen den Premier“, relativiert Ben Segenreich. „Die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags ist kleiner als die eines Verkehrsunfalls.“

Ein paar Mal im Jahr kommt das Paar nach Österreich, Fixpunkt ist der Sommerurlaub am Millstätter- und Wolfgangsee, „um der furchtbaren Hitze in Israel zu entfliehen“. Im Herzen, sagt Daniela Segenreich, sei sie immer noch Wienerin. „Die Generation, die den Schritt macht, zahlt den Preis“, formuliert es ihr Mann, man sei „nicht ganz da und nicht ganz dort“. Anders als in Österreich werde man in Israel immerhin schnell als Bürger betrachtet, „aber Israelis sind wir nicht“. Das Buch sei jedenfalls der Versuch, die widersprüchliche neue Heimat zu erklären – ein Land, das trotzdem immer auch „unerklärbar“ bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2018)

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