„Unterwerfung“: So darf Literaturverfilmung sein

(c) rbb/NFP/Stephanie Kulbach
  • Drucken

Die ARD zeigt am Mittwoch die filmische Adaption von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“. Mit einem herausragenden Edgar Selge in der Hauptrolle.

Kaum ein anderes Buch hat in den vergangenen Jahren für so viele Diskussionen gesorgt wie der Roman „Unterwerfung“ (Französisch: „Soumission“) von Michel Houellebecq. Das Porträt des einsamen, chauvinistischen Literaturwissenschaftlers François, der sich in einem zunehmend islamisierten Frankreich der nahen Zukunft immer weniger zurechtfindet. Am Tag der Veröffentlichung, dem 7. Jänner 2015, stürmten in Paris zwei bewaffnete Männer in die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe über Houellebecqs Islamkritik lustig gemacht hatte, und töteten zwölf Menschen.

Für die einen formuliert der Roman präzise die Ängste vieler Europäer vor Überfremdung, für die anderen ist er nur plump islamfeindlich. Der Stoff wird seither ständig adaptiert und immer wieder neu erzählt. Seit zwei Jahren spielt Schauspieler Edgar Selge am Schauspielhaus Hamburg die Hauptfigur François in der Inszenierung von Karin Beier. Jetzt hat Regisseur Titus Selge, ein Neffe des Schauspielers, einen Film gedreht, der das Theaterstück und den Roman subtil miteinander verbindet. Und Edgar Selge spielt auch in dem 90 Minuten langen Fernsehfilm, den die ARD heute, Mittwoch, zeigt, die Hauptrolle.

Im Film spielt Selge zuerst sich selbst. Wir sehen ihn zu seiner nächsten Vorstellung am Hamburger Schauspielhaus gehen, den Text des Stückes vor sich hinmurmelnd. Auf dem Weg wird er von drei jungen Männern mit offenbar muslimischem Hintergrund überfallen und ausgeraubt, die ganz genau zu wissen scheinen, dass er das so verhasste Stück „Unterwerfung“ spielt.

Später dann sehen wir Selge auf der schmucklosen, nur mit einem Kreuz ausgestatteten Bühne in der Rolle des François – und plötzlich bricht der Film aus, verlässt die Bühne und liefert die Bilder zum Monolog. Wir sehen die Hauptfigur (gespielt von Edgar Selge) im Paris des Jahres 2022 zwei Wochen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, zwischen den Vorlesungen an der Universität, Mittag- und Abendessen mit seinen akademischen Kollegen und amourösen Treffen mit seinen verschiedenen Exfreundinnen.

Experiment gelungen!

Immer wieder hüpft der Film zwischen den szenischen Bildern und der dunklen Theaterbühne hin und her – und das Experiment geht auf. Das ist vor allem Edgar Selge zu verdanken; er hat die Rolle des grantelnden Intellektuellen François verinnerlicht. Ein Mann, der die Emanzipation der Frau für ein Missverständnis hält und zumindest in diesem Punkt nicht viel anders denkt als Mohamed Ben Abbes, der nach den Wahlen in Frankreich neuer Präsident und somit Nachfolger von Emmanuel Macron wird.

Manchmal spricht die Hauptfigur auch in den Szenen außerhalb des Theaters zu uns Zusehern, durchbricht also die sogenannte vierte Wand. Gelungen ist auch der Bruch zwischen dem immer düster werdenden Plot und den dazu geschnittenen sanften französischen Chansons, die wie musikalische Botschaften aus einer unbeschwerteren Vergangenheit erscheinen. Der Film spart auch nicht jene Stellen aus, in denen die Hauptfigur von sexuellen Abenteuern mit Exfreundinnen oder Prostituierten erzählt – er zeigt aber keine Bilder dazu, sondern belässt es bei der expliziten Sprache.

Dem Regisseur Selge gelang etwas Außergewöhnliches: Der Film ist für Kenner des Romans dank der verschiedenen Ebenen immer noch komplex genug, um Neues zu entdecken – und doch kommen wohl auch die mit dem Stoff nicht Vertrauten auf ihre Kosten.

Hervorragend besetzt ist der Fernsehfilm bis in kleine Nebenrollen, Matthias Brandt gibt den Rektor und Vorgesetzten Robert Rediger, der sich allzu schnell an die neuen politischen Gegebenheiten in Frankreich anpasst – und der Hauptfigur François rät, zum Islam zu konvertieren. Alles in allem also eine gelungene Literaturverfilmung.

„Unterwerfung“: ARD, Mittwoch, 6. Juni 20.15 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.