Die Insel, der Brexit und andere Eseleien

Seit mehr als zwei Jahren Thema Nr. 1 in Großbritanniens Zeitungen: Der Ausstieg aus der EU, für den sich eine Mehrheit beim Referendum fand.
Seit mehr als zwei Jahren Thema Nr. 1 in Großbritanniens Zeitungen: Der Ausstieg aus der EU, für den sich eine Mehrheit beim Referendum fand.(c) REUTERS (Neil Hall)
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In der konservativen Regierung Großbritanniens sind erneut heftige Richtungskämpfe wegen des Brexit ausgebrochen. Recht viele Zeitungen machen Schatzkanzler Hammond zum Buhmann, eine gar zu einer simplen Figur aus Winnie-the-Pooh.

Wenn sich zwei Spitzenpolitiker einer Regierungspartei über das Thema Nr. eins des Landes uneins sind, kann das echten Unterhaltungswert haben. Kaum zu toppen aber ist, wie britische Zeitungen derzeit über Differenzen der Tories zum Brexit berichten. Sie pflegen die hohe Schule der Medienhysterie, sogar ein „Bürgerkrieg“ unter Konservativen wird beschworen. Das grenzt an Rufmord.

Was ist geschehen? Widersprüchliches. Die Regierung hat mitgeteilt, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, falls man sich 2019 ohne Folgeabkommen von der EU trenne. Dominic Raab, der mit dem Austritt seines Landes aus der EU betraute Minister, verkündete, dass ab nun wohl kontinuierliche Verhandlungen mit Brüssel geführt würden. Er hoffe noch immer auf ein gutes Ergebnis – obwohl die dominanten Hardliner unter den Tories fix mit einem „harten Brexit“ rechnen.


Prophet des Untergangs? Nicht einkalkuliert hat er Prognosen des Schatzkanzlers unmittelbar danach: Philip Hammond entwarf ein düsteres Szenario: Der No-Deal würde verheerende Auswirkungen auf die britische Wirtschaft haben. Das alarmierte Tageszeitungen auf der Insel: Der nationalkonservative „Daily Express“ fragt im Aufmacher inquisitorisch, was Hammond sich denn da einbilde, was er da so treibe. Von „civil war“ ist sogar die Rede. Premierministerin Theresa May brauche derzeit alles, nur nicht ein Wiederaufflammen der Tory-Fehden.

Die „Daily Mail“ wird ebenfalls deutlich: „Eeyore Hammond launches Projekt Fear (Pt2)“ – der Minister als depressiver Esel aus den Abenteuern von Winnie-the-Pooh beginne „Projektsangst (Teil 2)“. Hammond lasse nicht nur seine Partei, sondern das ganze Land im Stich, zitiert die Zeitung eine anonyme Quelle. Der ebenfalls konservative „Daily Telegraph“ sieht den Minister stark unter Beschuss. Im Leitartikel steht, dass die Position der Regierung zum No-Deal „so klar wie Schlamm“ sei. Das Blatt lässt schließlich auch noch den für einen harten Ausstieg eintretenden Tory Jacob Rees-Mogg zu Wort kommen: Der Schatzkanzler starte bloß einen verzweifelten Versuch, den Brexit aufzuhalten.

Schelte auch von der „Sun“: Das Massenblatt nennt „Hamm“ einen „Propheten des Untergangs“. Die der politischen Mitte zugerechnete liberale Tageszeitung „i“ schreibt nüchterner von einem frischen Bruch im Kabinett und zählt auf der Titelseite Grausamkeiten auf, welche die Briten erwarten. Kleinunternehmen würden am meisten betroffen sein, auch Engpässe bei Medikamenten sowie höhere Kosten bei Kreditkarten seien denkbar.

Alarmiert titelt „The Times“, Hammond habe „Brexit-Risse im Kabinett offengelegt“, er löse mit seiner Intervention „eine neue Runde an Feindseligkeiten“ mit den Hardlinern aus. Zugleich wird über den Fall des Pfund berichtet, der einsetzte, als die Maßnahmen der Regierung bei einem Ausstieg ohne Folgeabkommen publik wurden.


Boris Johnsons Leibblatt. Alles in Aufruhr also auf der Insel? Nein, eine kleine Enklave in London leistet beharrlich Widerstand gegen den Pessimismus. Das Wochenblatt „The Spectator“, einst vom EU-Kritiker und nunmehrigen Ex-Außenminister Boris Johnson geführt, schreibt sich im Leitartikel unter dem hehren Titel „Wenn Furcht versagt“ den Ausstieg schön. Zwar behaupte die „New York Times“ regelmäßig, dass Großbritannien auseinanderfalle, zwar spreche der niederländische Premier von einem Kollaps, doch das habe sich bei britischen Arbeitgebern, Konsumenten und Beschäftigten noch nicht herumgesprochen. Im Juli habe es den größten Budgetüberschuss seit dem Jahr 2000 gegeben, die Arbeitslosenrate sei so niedrig wie seit 43 Jahren nicht mehr. Es herrsche Öko-Optimismus im Lande. Das hört sich fast so an, als ob Puh der Bär die Welt erklärte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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